Frisch poliert

Es muss auch Leute geben, die gar nichts mehr kaufen, die für den Rest ihres Lebens genug Kleidung Wäsche Bücher Möbel und Kleinkram haben, die im Kaufhaus oder auf dem Markt mit den Händen in den Taschen am Angebot entlangschlendern, locker und entspannt, weil sie nichts brauchen, oder mit verkrampft zusammengezogenem Mund wie ein fest zugeschnürter Beutel – weil sie kein Geld haben.
So eine geht zwischen den Flohmarktbuden hindurch, die Hände nicht in den Taschen, sondern in dicken grauen Wollfäustlingen, den Kopf in ein ebenso graues Wolltuch gehüllt, in einem formlosen grauen Mantel. Sie kann sich noch nicht entscheiden, warum sie nichts kauft: weil sie nicht will oder nicht kann.
Sie ist zum ersten Mal auf dem Flohmarkt: Seit einem Jahr lebt sie allein und geht nur selten unter Menschen. Lieber werkelt sie im Garten und spricht mit ihren Hühnern. Ihre erwachsenen Kinder sind weggezogen, der Ehemann ist gestorben. Erst nach seinem Tod hat sie erfahren, dass er ein geheimes Konto hatte. Es überraschte sie nicht, von seinen Freundinnen hat sie immer gewusst. Die Ersparnisse ihres Mannes erlaubten ihr, das kleine Haus auf dem Land zu kaufen. Es war billig, da viel daran zu machen sei, verriet ihr der Makler. Sie ist nicht der Meinung, dass viel oder überhaupt etwas zu machen sei. Sie lässt alles, wie es ist, bringt nur den Garten in Ordnung und repariert den Hühnerstall.
Als sie einzog, war es Frühling und die Apfelbäume in ihrem Garten hatten grüne Spitzen. Ihr Staunen darüber hält an. Wenn sie morgens um sechs aus dem Fenster schaut, ist ihre Welt noch so strahlend und frisch wie am Einzugstag.
Sie braucht nicht viel. Keine neue Kleidung; das, was sie schon besitzt, reicht völlig. Ihr Gesicht will ihr Alter nicht preisgeben. Sie ist dunkel und knittrig wie jemand, der bei jedem Wetter draußen ist und sich um Hautpflege nicht schert. Die Falten auf Stirn und Wangen sind wie Wege auf einer Landkarte, die sich immer deutlicher ausprägen. Jetzt jedoch geht sie neue Wege und lässt die alten liegen.
Bücher kauft sie auch nicht; sie hat beim Unzug ein paar Bücher mitgenommen, aber das Lesen interessiert sie nicht mehr. Meistens setzt sie sich mit ihrem Buch ans Fenster. Nach wenigen Seiten schaut sie öfter aus dem Fenster als ins Buch, und irgendwann merkt sie, dass sie gar nicht aufnimmt, was sie liest. Bücher haben nichts mit ihrer Welt zu tun. Das gleiche gilt für Radio und Fernsehen.

Im Sommer nach ihrem Einzug hat sie schlecht geschlafen. Die Nächte waren zu heiß. Meistens stand sie nachts mehrmals auf, setzte sich ans Fenster und strickte. Sie brauchte dazu kein Licht, der Mond schien hell genug. Die Hennen gluckerten schläfrig im Stall.
Da plötzlich strahlt der Himmel auf. In der sternenbesäten Schwärze verschiebt sich etwas, die Welt rückt zurecht, und sie sieht eine Unzahl Lichter herabstürzen wie leuchtende Streifen. Zehn, zwölf, fünfzehn, achtzehn; ein ganzer Schauer ferner Lichtpunkte regnet auf die Erde. Wieviel Uhr ist es? Sie hat keine Ahnung, es muss weit nach Mitternacht sein. Vielleicht ist sie die einzige weit und breit, die diesen Gruß aus dem All sieht.
Vielleicht ist er für sie bestimmt?



Sie findet keinen Schlaf mehr. Morgens gegen fünf, als sie in Pantoffeln zum Hühnerstall geht, rollt ihr etwas vor die Füße. Ein schwarzer Stein, porös und löchrig wie ein Schwamm. Sie hebt ihn auf: Er ist ganz leicht. Als sie ihn schüttelt, verlagert sich etwas in seinem Innern und rutscht hin und her, wie in einem frisch gelegten Ei.

Sie schlendert über den Flohmarkt, betrachtet Küchengerät und schadhaftes Spielzeug – sie hat Enkel, weiß aber nicht wie viele und wie alt sie sind, da die Kinder sie nie besuchen oder schreiben. An einem Stand mit altem Schmuck bleibt sie stehen und betrachtet eine Granatbrosche, fragt aber nicht nach dem Preis, obwohl ihr die Brosche gut stehen würde. Neben der Brosche steht eine Schale mit Steinen – Halbedelsteine, Flintsteine und unscheinbare dunkelgraue Steine. Sie greift in die Schale und nimmt einen grauen Stein heraus, umschließt ihn fest. Er bebt in ihrer Hand.

(Foto: Lothar Reichardt)

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"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
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