Nachruf: Ein Jahr später

Ich habe nicht gewusst, dass man sich in meinem Alter schon so verabschieden sollte, als sähe man sich vielleicht niemals wieder.

Es gibt vieles, für das ich dir mal anständig hätte Danke sagen sollen, aber irgendwie kam es nie dazu. Das Notebook, das du für mich ersteigert hast, die Fummelei am Heimnetzwerk, die stundenlangen Telefonate, wenn irgendwas nicht funktionierte. Wenn gar nichts mehr ging, bist du gekommen und hast meinen Rechner aufgeschraubt. Ich habe das für selbstverständlich genommen und dir aus Jux Diät-Gummibärchen angeboten, weil die in großen Mengen unbekömmlich sind. Es steht auch auf der Tüte: »Kann bei Verzehr großer Mengen Blähungen verursachen.« Du hast sie trotzdem gegessen. In großen Mengen. Dazu Schokolade, Kekse, Muffins; alles, was ich dir neben den Rechner stellte, während du in seinen Eingeweiden grubst.


Ich wollte etwas über dich schreiben. Nun tippe ich ganze Absätze und lösche sie wieder, weil mir klar wird, dass es nicht stimmt, was ich da behaupte. Zum Beispiel, dass du mir schweinöse Bildchen auf den Rechner kopiert hättest - das ist gerade ein einziges Mal vorgekommen. Dass du dumme Bemerkungen über meinen Musikgeschmack gemacht hast, über Monteverdi vor allem, die Kontertenöre. »Ist das ’n Mann, was da singt??« Dass du, wenn ich etwas erzählen wollte, mit dem wiederholten Einwurf »Komm zum Punkt!« die Pointe verdorben hast. Das war nicht typisch, wie ich mir einbilden möchte. Es war nur einmal.

Warst das nun also du?

Für mich anscheinend ja.

Einmal habe ich mich um vier Uhr nachmittags telefonisch bei dir angesagt, weil das Notebook Macken hatte. »Du kannst gern kommen«, sagtest du am Telefon, »aber bitte erst in einer halben Stunde, ich bin noch nicht angezogen.« Ein Chaot erster Klasse warst du, und du hattest eine erstklassige Messie-Wohnung. Es wird lange dauern, bis deine Freundin sich da hindurchgepflügt hat. Alles geordnet und entschieden hat, was von dem ganzen herumliegenden Zeug dir gehörte, was nur geliehen war, was schon verkauft oder versprochen war und was zur Reparatur angenommen, zum Begucken, zum Begutachten, zum »mal eben so nebenher in Ordnung bringen«. Flachbildschirme, Laptops, externe Festplatten, Laufwerke, Fritzboxen. Nicht gerechnet die sieben Handys, die du auf einen Rutsch bei Ebay ersteigert hast, weil sie billig waren.

Zum Rauchen haben wir dich immer auf die Terrasse geschickt. Ich habe mich gefreut auf den Frühling, weil wir dann wieder alle miteinander draußen sitzen können und du hättest quarzen dürfen, so viel du willst, ohne jemanden zu stören. Wir hatten schon beinahe einen Termin ausgemacht, deine Freundin und ich; sie wollte Kekse mitbringen, nur bis nach der Wahl sollten wir noch warten, bis dahin hatte sie zu viel zu tun. Auch damit hast du mich immer wieder gequält - mit deiner politischen Propaganda. »Wen wählste? Den kannste doch nicht ernsthaft wählen! Weißte, was der neulich gesagt hat? Pass mal auf …« Wirklich immer wieder? Nein, es war nur einmal.

Heute war es warm und ich habe die Pflanzkübel aus dem Keller geholt, das Solanum, die Palmen, den Oleanderstrauch. Die Pflanzen haben grüne Triebe. Du siehst sie nicht mehr.

Blubbern als Kunst!

brille

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"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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