Maloche in Spanien

Den Spaniern als arbeitenden Menschen haftet ein unausrottbares Vorurteil an, nämlich dass sie eigentlich überhaupt nicht arbeiten. "mañana" lautet das Stichwort. Vermutlich sagt diese Vorstellung mehr über den deutschen Touristen aus als über den typischen Spanier. In Wirklichkeit arbeiten die Spanier gern, viel und mit Begeisterung.

An einer typisch deutschen Straßenbaustelle sehen wir zuerst "100"-, dann "80"-, dann "60"-Schilder, einen Blitzkasten und einen Radlader, der sich nicht bewegt. An einer typisch spanischen Straßenbaustelle sehen wir acht Arbeiter in gelben Warnwesten, die knietief in einem Graben stehen und die Pickel schwingen. Meistens stehen außerhalb des Grabens noch ein paar und reden mit ihren Handys, und einer schwenkt ein Fähnchen. Dreieckige Schilder mit aufgemalter "100" erübrigen sich, in Spanien fahren alle gleich langsam, im Gegensatz zum kleinen Nachbarn Portugal (da fahren alle gleich noch schneller). Kommt man ein Jahr später wieder, ist die Straßenbaustelle nicht mehr da. Statt dessen ist da eine Straße, fix und fertig, manchmal schon flankiert von Tamarisken und Oleandersträuchern, alles blühend und dick mit Straßenstaub bedeckt.

Nehmen wir statt der Straßenbaustelle ein Gebäude: Will man in Deutschland eine Hundehütte bauen, stellt man ein Schild auf "Betreten der Baustelle verboten" und daneben vielleicht noch ein Schild "Hier bauen wir für Sie eine Hundehütte. Voraussichtliches Bauende 2012". (Ich bin dann immer in Versuchung, im Schutz der Dunkelheit mit einem fetten Edding aus der ersten 2 eine 3 zu machen.) Will man in Spanien eine Hundehütte bauen, stellt man als erstes mindestens einen Kran auf. In Spanien gibt es annähernd so viele Kräne wie Spanier. Man hat dort so viele Kräne, dass man sie sogar zu Verschönerungszwecken vor Supermärkten aufstellt. Die Spanier bauen rasend gern. In und um Bilbao, Tarragona, Valencia baut man Hochhäuser mit Hunderten von Wohnungen, dass es nur so kracht. Wer das alles bewohnen soll, ist mir ein Rätsel. In Städten wie Oropesa, das sich eines "goldenen Sandstrands" rühmt (in Wirklichkeit sieht man davon nichts, so dicht liegen die Leute drauf) sind wir Deutschen für die Belegung der Bauten zuständig. Aber da es auch von uns Deutschen immer weniger gibt, sehe ich in dieser Hinsicht eher schwarz.



In Barcelona baut man seit 1882 an einer Kirche, der "Sagrada Familia", die ausschließlich aus Eintritts- und Spendengeldern finanziert wird. Bei Wikipedia ist zu lesen, das man hofft, bis 2026, dem hundertsten Todestag des berühmten Architekten Antoni Gaudí, fertig zu werden. Der Bau schreitet deshalb so langsam fort, weil nach Gaudís Entwurf praktisch jedes Bauteil einzeln von Hand gefertigt werden muss. Gaudís Kirche enthält keine geraden Linien. Bei meiner letzten Besichtigung der Kirche im vorletzten Jahr ging ich u.a. durch das Hauptschiff, das einen Wald weißer Säulen mit weißen Blattwerk an den Kapitellen vorstellt. Mitten in dem unsäglichen Lärm und Staub saß an einem kleinen, mit Pappwänden abgeschirmten Arbeitsplatz eine junge Frau und fertigte weiße Blätter aus Stuck. Wir liefen zusammen mit Hunderten anderer Touristen auf einer Brettergalerie über ihrer Nase vorbei. Sie schenkte uns ebensowenig Beachtung wie dem Maschinenlärm und den anderen Arbeitern um sie her. Vielleicht sitzt sie jetzt noch da und schmirgelt selbstvergessen an ihren weißen Stuckblättern.

Die Sagrada Familia soll, wenn sie fertig ist, 13 Türme haben; ich habe bei meinem letzten Besuch acht fertige Türme gezählt. Die übrigen Türme ersetzen einstweilen Kräne.



Auf einem Parkplatz am Stadtstrand von Barcelona habe ich im Juli 2005 einen jungen Mann beobachtet, der dort ganz allein mit einem kleinen Schaufellader einen Graben ausbaggerte. Wir haben ungerechterweise über ihn gelacht. Es hatte annähernd 30 Grad im Schatten; wir latschten mit Schirm Richtung Strand - er saß strahlend auf seinem Schaufellader und baggerte, dass es nur so staubte; mit der Begeisterung eines kleinen Jungen, der im Sandkasten wühlt. Kein anderer Arbeiter war zu sehen, auch kein Polier; er baggerte ganz alleine.

Als wir letztes Jahr wieder dort parkten, war der Bürgersteig fertig. Ein bisschen ungleichmäßig gearbeitet, hier und da holprig, aber es war ein Bürgersteig. Man konnte darauf gehen.

Vielleicht komme ich dieses Jahr wieder nach Tossa. Dort gibt es einen Schmuckladen, der das schönste Angebot hat, das ich bisher gesehen habe. Die Inhaberin hat graue Streichholzhaare und einen Buckel. Wenn ich mit dem Finger gezeigt habe, welches Stück ich haben will, holt sie es mit mürrischer Miene aus dem Glaskasten und poliert minutenlang mit einem Silberputztuch darauf herum, die dunkelbrauen Augen verkniffen wie ein Uhrmacher.

Ich würde gern wieder hingehen. Jederzeit. Nächste Woche.

Wo es holpert

Teppichboden ist verräterisch. Im Lauf der Jahre sieht er aus wie mit Gräben gespurt, an den Stellen, wo man mit dem Stuhl hin und her gerollt ist. Von dort, wo sie sitzt, führt ein solcher Graben zu der Schublade links, wo ein flüchtig geführtes Tagebuch liegt, und ein zweiter, tieferer nach rechts zu der Schublade mit ihrem Schokoladenvorrat. Neben der Tür gibt es eine Erhebung, einen kleinen Buckel unter dem Teppich. Da hat der Teppichleger etwas darunter vergessen. Wenn sie lange genau hinschaut, fällt ihr manchmal ein, dass sie den Teppich selbst verlegt hat, aber was darunter liegt, weiß sie nicht mehr. An einer Stelle holprig. Im Wohnzimmer ist Fliesenboden, das ist besser, der verrät nichts. Nur eine winzige schwarze Stelle, wo sie vor Jahren in einem Wutanfall eine schwere Henkeltasse hinschmiss und damit einen Splitter aus der hellen Fliese trümmerte. An zwei Stellen holprig.

Blubbern als Kunst!

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"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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