Extreme Bedingungen

In dem Klassikforum, in dem der Schmollfisch hin und wieder schwimmen geht, wurde vor kurzem diskutiert, inwieweit es legitim sei (man verzeihe mir diese Häufung von Nebensätzen), einen Sänger wegen seines Äußeren für bestimmte Rollen abzulehnen. Mit "ungeeignetem Äußeren" ist natürlich ein zuviel an Gewicht gemeint, denn (fast) alle anderen Makel kann man ja wegschminken. In jenem Klassikforum hat man sich auf ein dezidiertes Jein geeinigt, denn je nach Inszenierung kann es ja vorkommen, dass dem betreffenden Sänger das vorgesehene Kostüm absolut nicht steht. Ich meine, bis zur Lächerlichkeit nicht steht.

Noch lächerlicher macht sich unter Umständen das Fehlen eines Kostüms. Damit wäre ich beim Thema, nämlich dem Sonderpreis für Singen unter extremen Bedingungen. Ich schicke gleich voraus, dass ich natürlich nur von den mir vorliegenden Bildern ausgehen kann. Wer regelmäßig zu den Wagnerfestspielen geht, hat vermutlich noch mit ganz anderen Sachen aufzuwarten. Aber ich lasse Wagner mal außen vor und beginne mit meinem ersten Preisträger Yosemeh Adjei, der hier im "Ezio" von Händel die Titelpartie singt (und dem sein Kostüm recht gut steht):

(Bild gelöscht)

Das sieht auf den ersten Blick nicht nach erschwerten Bedingungen aus; in der Badewanne singen ja viele Leute (obwohl die meisten, die das tun, eine größere Wanne zur Verfügung haben). Aber dass wir uns recht verstehen: Der Sänger sitzt tatsächlich nackt in der Wanne. Ich weiß das, denn ich habe ihn hineinsteigen sehen. Da sang er allerdings nicht, deshalb zeige ich das hier nicht. Ätsch!

Gerade diese, nennen wir sie mal so, "Wannen-Arie" war übrigens derart bewegend und großartig gesungen, dass ich mir heute morgen bei Youtube einen Wolf gesucht habe, weil ich sie gern als Video verlinkt hätte. Aber nein, so viel Glück haben wir nicht. Das heißt, meine Leser nicht. Ich schon, ich hab die DVD. Ätsch.

Kommen wir zu der ersten bekannten Oper überhaupt, die obendrein meine persönliche Lieblingsoper ist, nämlich "L'Orfeo" von Claudio Monteverdi. Hier im Vordergrund Orfeo (liegend) und im Hintergrund Apollo (schwebend):

(Bild gelöscht)

Apollo steht vermutlich auf einem Brettchen und hält sich (das ist in den Detailbildern zu erkennen) mit den Händen an Griffen fest, die in die Wand montiert sind. Für eine längere Koloraturpartie mit Sicherheit nicht die beste Bedingung; aber ein echter Profi kann in jeder Lebenslage singen. Zu Beginn der Szene steht Apollo sogar kopf. Aber da singt er noch nicht.


(Bild gelöscht)

Peter Rose habe ich in einem früheren Eintrag schon mal gezeigt. Allerdings läuft er hier außer Konkurrenz, denn inzwischen glaube ich zu wissen, wie Herr Rose unter diesem Eselskopf mit gleichbleibender Inbrunst weitersingen kann: Wahrscheinlich trägt er ein Kopfmikrofon. Dieser Kopf ist, wie schon früher erwähnt, eine technische Meisterleistung mit beweglichem Unterkiefer und deutlicher Mimik. Er gehört natürlich in Brittens "Midsummer Night's Dream" in der Inszenierung von Robert Carsen.

Deanne Meek singt ihre Hermia in der gleichen Inszenierung mit Kissen werfend, liegend und zwischen zwei Herren mit dem Kopf nach unten hängend. Den richtigen Schnappschuss zu finden, ist gar nicht so einfach. Nehmen wir diesen, bei dem sie den Kopf immerhin noch ein wenig oben hat. Übrigens singen die beiden Herren auch.


(Bild gelöscht)

Ein weit größeres Päckchen zu tragen hat indessen der arme Mensch, der in der Figaro-Inszenierung von Claus Guth den Grafen zu singen hat: Er trägt bei der Rache-Arie den Weltmeister im Einradfahren, Uli Kirsch, auf den Schultern. Uli Kirsch stammt übrigens aus Fulda (jawohl!) und ist, vermute ich mal, auch nicht gerade ein Leichtgewicht, da er als Amor-Engelchen einen gut gewachsenen und austrainierten Eindruck macht. Davon kann ich leider hier kein Bild zeigen, aber dafür per Link auf zwei Herren verweisen, die sich in dieser Rolle als Kraftpakete profilieren durften:

Erstens: Bo Skovhus (bitte klicken)

Zweitens: der von mir überaus geschätzte Simon Keenlyside (bitte klicken), den wir oben als im Liegen singenden Orfeo schon mal hatten - da gleicht sich's dann Gott sei Dank wieder aus. Man muss halt nehmen, was man kriegt.

Ich finde diese Leistungen allesamt beachtlich und möchte noch ausdrücklich hervorheben, dass alle ausnahmslos sängerisch Bestleistungen abgeliefert haben. Die moderne Tendenz zum Regietheater wird uns sicher noch weitere liebenswerte Verrücktheiten bescheren.

PS. Als Außenseiter möchte ich diese Szene hier nicht unerwähnt lassen, sonst erwähnt sie womöglich jemand anders. Ich habe sie in meine persönliche Liste oben vorläufig nicht aufgenommen, weil mir die Inszenierung nicht gefällt - ich kenne sie allerdings nicht vollständig, vielleicht hat sich mir dieses Konzept einfach nicht erschlossen. Wie dem auch sei, Zachary Stains steht als Ercole in "Ercole sul Termodonte" von Anfang bis Ende nackt auf der Bühne.

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