on tour

Aus dem Grünen

Maigh I

Schafe haben in Irland keine offizielle Amtssprache. Die meisten sprechen zunächst Deutsch und verständigen sich mit hellem "mäh". Mit zunehmendem Alter wechseln sie zum Englischen und singen ein kräftiges "baaaah"; gleichzeitig verändert sich die Stimmlage vom Sopran zum Tenor. Nach dem Stimmbruch in die Baritonlage wird aus dem Fühlungsruf ein vornehm französisches "beu", oder das Schaf retardiert zum Chav und gibt ein prolliges "böööööh" von sich. Ältere Böcke und alleinerziehende Schafdamen verständigen sich mit einem Laut, für den es weder im Englischen, noch im Französischen eine adäquate Buchstabenfolge gibt; das voll ausgewachsene Schaf beherrscht nur noch den deutschen Vokal Ö. In Gaeltacht-Gebieten ist oft "baigh" oder "maigh" zu hören; aber auch das Gälische wird offenbar im Zuge des Erwachsenwerdens verlernt.




Maigh II

Der Herr von Connemara ist ungefähr einen Meter hoch, hat ein schwarzes Gesicht und Hörner wie ein Höllenfürst. Gehörte er mir, würde ich ihn Zampano oder Beelzebub nennen. Er bewacht die Straße zwischen Anb Teach Dóite und Sraith Salach. Mal steht er an der linken Straßenseite, mal an der rechten, leicht zu erkennen an dem prachtvoll gedrehten Gehörn. Sein Kumpel, ähnlich groß und schwer, hat erheblich kürzere Hörner - sind sind abgesägt. Wahrscheinlich hätten sie sich sonst in den Kopf zurückgedreht.
Keine Staus, keine Polizeikontrollen, keine Blitzkästen, soweit das Auge reicht. Nur Zampano, der stolz das blaumarkierte Hinterteil zeigt, sobald sich eine Kamera auf ihn richtet. Meine erste Annahme, dass er sich nur zum Posieren am Straßenrand aufhält, stimmt jedenfalls nicht.

Nizza, im Winter gedacht

Wieder in der russischen Kathedrale. Wir suchen eine Ansichtskarte aus mit drei Popen, die in der Eingangstür stehen. Alles, Popen, Sträucher, Bäume, Zwiebeltürme mit Schnee bedeckt, dicke Schneeflocken in der Luft: Das ist die Kathedrale St. Nicolas in Nizza.
Der Schnee sieht gefaked aus; ich bitte meine frankophile Tochter, den Torwärter zu fragen, ob es hier tatsächlich je geschneit habe. Die Antwort, in beleidigtem Ton: "Hier schneit es jedes Jahr!"
Seit meiner Rückkehr sitze ich hier und google mit den Suchwörtern Nizza und Schnee. Nichts. Es könnte immerhin sein, dass es nur auf diese ganz bestimmte Kathedrale schneit. Die Vorstellung gefällt mir. Jeden Winter bekomme die Kathedrale St. Nicolas einen weißen Schopf auf ihren Zwiebelturm. Auf die Rasenflächen ringsum, die Kapelle linkerhand, wo der Thronfolger Nicolaj Alexandrowitsch begraben liegt. Auf seine Ikone, die in der Kirche zu besichtigen ist, mit roten Tropfen übersät: Alles, alles bedeckt jeden Winter eine sanfte Schicht von watteweißem Schnee, während der Rest der Stadt, die Touristen je nach Portemonnaie vornehm gestylt oder rucksackbepackt, allenfalls eine schwachbrüstige Dezemberkühle genießt. Das Bild einer nachsommerlich ausgelaugten Stadt mit einer einzigen verschneiten Kathedrale bleibt hängen, während ich hineingehe, mir eine Grundrisskarte in Deutsch nehme, einen Überblick verschaffe, die Fluchtlinien suche. Aus den Achselhöhlen, an den Rippen herab rieselt der Schweiß, die Schenkel kleben aneinander unter dem dünnen Rock. Ach, Nizza.

Ein herzliches Hallo an alle, die trotz der abrupten Pause noch hier vorbeischauen.

Madeira

Ich bin dem Hund begegnet. Das geschah gute drei Wegstunden außerhalb des letzten bewohnten Orts, auf der Höhe der Levada. Ich war bereits erschöpft vom schmalfüßigen Laufen auf dem Levadamäuerchen, ungesichert über einem dreißig Meter tiefen Abgrund, durch den Nebelfetzen trieben. Meine Hose war schlammbespritzt bis zu den Knien, mein Nacken brannte von der stechenden Sonne. Der Levadeiro, kenntlich an dem zwei Meter langen eisenbeschlagenen Stock, kommt mir leichtfüßig entgegen, in offenem Hemd, mit lächelnder Miene. Ihm folgt mit fünfzehn Meter Abstand der Hund, quälend langsam, mit hängendem Kopf. Er sieht aus wie ein Schäferhund, aber mit blondem Fell. Der Levadeiro strahlt voll Stolz, als ich fragend auf den Hund blicke, macht eine Bemerkung in Portugiesisch und zeigt erst alle zehn, dann sechs gespreizte Finger - sechzehn Jahre alt ist der Hund. Der Hund bleibt vor mir stehen, ohne den Kopf zu heben; er schnuppert nicht einmal an meiner ausgestreckten Hand. Drei Stunden muss er bereits gelaufen sein. Was macht der Mann, wenn ihm der Hund hier, weit oben in den Bergen, auf dem halbmeterbreiten Levadamäuerchen tot oder entkräftet umsinkt? Trägt er ihn auf den Schultern heimwärts? Oder lässt er ihn in den Abgrund fallen? Der Mann lächelt weiter, als ich mich bücke und dem Hund das dicke blonde Brustfell kraule. "Du schaffst das, du schaffst das", flüstere ich dem Hund zu, ohne zu wissen, was eigentlich.

Schilder

In Deutschland haben wir viele, viele Schilder. Bei uns ganz in der Nähe, im Nachbardorf, hat man einen Kreisel gebaut, in den man nur im Tempo 40 hineinfahren darf. Fährt man aus dem Kreisel raus, steht da gleich noch mal ein Schild "40" als Erinnerung. Zehn Meter weiter darf man dann schon 50, belehrt ein weiteres Schild. Weitere zwanzig Meter weiter, wenn man gerade in den nächsten Gang geschaltet hat, mutiert die 50 zur 30. Renitente Autofahrer werden mit Hilfe eines Blitzkastens, der gleich danach folgt, zur Räson gebracht.

In Frankreich hat man weit weniger Schilder, jedenfalls weniger Verkehrsschilder (dafür mehr Reklameschilder, aber das ist ein anderes Thema). Fährt man in einen Kreisel rein, steht an der ersten Ausfahrt etwa ein Schild "Rennes" und an der nächsten ein weiteres mit der Aufschrift "Autres Directions". Manchmal steht überhaupt nur ein einziges Schild da: "Toutes Directions". Irgendwo in der Bretagne, es dürfte um Fougères herum gewesen sein, sah ich auch mal in einem Kreisel zwei Schilder mit den Aufschriften "Toutes Directions" und "Autres Directions".

Na ja. Alles Vorstehende soll ja nur der Einleitung dienen; jetzt kommt die Hauptsache, nämlich dieses Schild, gesehen in Saint-Malo an der Hafenmauer. Gott sei Dank war gerade Ebbe. Aber auch bei Flut dürfte die Gefahr, vor der hier gewarnt wird, eher selten eintreten.



Beachtet mal die locker-unbesorgte Haltung des Surfers. Das ist der wahre Sportsmann.
Rette sich, wer kann.

Baumgedanken, die zweite

Die Frage, ob man in diesen Zeiten über Bäume reden darf, wurde mir schon mal gestellt, und gedacht war sie damals als Schreibaufgabe. Im Literaturforum Rhein-Main war das, das leider nur kurze Zeit online war, aber soweit ich mich erinnere, habe ich - ganz gegen meine sonstige Gewohnheit - alle Schreibaufgaben des Webmasters Ulrich D. brav bearbeitet und viel Spaß dabei gehabt, denn es waren wirklich feine Schreibaufgaben.

Diese hier ging leider einen unglücklichen Gang, denn kurz nachdem sie gestellt wurde, hörten wir von den unseligen Madrider Zuganschlägen.





fast ein verbrechen ... 11.3.2004

letztes jahr im märz
sang die nachtigall
an den flussufern
der alhambra
und die mandelbäume
blühten

wir erinnern uns
und schweigen
darüber

die bäume blühen
trotzdem

eigentlich

ich wollte dir erzählen
von granada
den nachtigallen am flussufer

dem wind an tarifas küste
der uns weißen schaum vom atlantik
um die ohren blies
ich wollte erzählen
von den grünen brunnen im wald von bucaco
und den goldenen kacheln
in der kleinen kirche
in almancil

damit du weißt
wo ich
geblieben war

doch dann waren
deine wände so weiß
und dein blick
so stumm

salamanca (farbumschlag IV)

„running over the same old ground ...”
Pink Floyd



der uniplatz von salamanca
ist ein goldfischglas

in den abendstunden
drängen sich schwärme darin

man hat die nase im sektschwenker
und schwätzt
aufsteigende blasen
die nacht hält sich heraus
und schweigt smaragdgrün
ich möchte glauben
an gottes
strahlendes auge

in grün zu
schwarz

weit gereist

wie viele kilometer
arbeiten wir ab
so weit gereist
der wind
der durch die wipfel atmet
ist der gleiche
der vor tagen
durch mich ging
und kälte trug

mit einem oh
erstirbt er mir
im mund



(für Katrin, 21.7.2006)

farbumschlag II

vor zeiten hingen wir
an einem himmelsanker
schwalben waren unsere nachbarn
ihre schreie schnitten
durch unser zeltdach
wir rahmten das blau
mit flinken händen
... so muss es
gewesen sein

gefallen sind wir nicht
nur gesunken
türkis zu
tintenblau





(Dachlandschaft Barcelona, Sommer 2006 - oder wie ich diese Stadt, die ich seit drei Jahren kannte, zu lieben begann ...)

Blubbern als Kunst!

blaue-flecken

Wort des Monats

"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

Aktuelle Beiträge

Geschlossen.
Dieser Blog ist geschlossen. Bilder wurden entfernt,...
schmollfisch - 1. Apr, 23:42
Gesprächskultur
Mein früherer Schreibgruppenleiter hat mir mal (bei...
schmollfisch - 3. Mär, 10:27
Horrortrip in Düsseldorf
Ein alter Schreibfreund noch aus Lupenzeiten hat mir...
schmollfisch - 3. Nov, 08:46
Der Zauberstab
(Aus urheberrechtlichen Gründen alle Bilder sicherheitshalber...
schmollfisch - 7. Sep, 11:08
Extreme Bedingungen
In dem Klassikforum, in dem der Schmollfisch hin und...
schmollfisch - 5. Feb, 11:13

Suche

 

Archiv

April 2024
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 
 

Status

Online seit 6306 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 1. Apr, 23:42

Credits

Knallgrau New Media Solutions - Web Agentur f�r neue Medien

powered by Antville powered by Helma


xml version of this page
xml version of this topic

twoday.net AGB

kostenloser Counter


fischgrund
oberwasser
on tour
quilting bee
Rhöner Literaturwerkstatt
schmollfisch lauscht
schmollfisch liest
subtitles
Tagesblupp
Vitrine für gewagte Thesen
Wider den Methodenzwang (mit Ewald)
Wo der Hase hinlief
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren