Schmollfisch
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2021-04-01T21:42:05Z
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Schmollfisch
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schmollfisch
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...
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Ihr habt mir<br />
das wichtigste<br />
verschwiegen.<br />
<br />
das bedrohliche rauschen einer springflut im frühling. nachts.<br />
ein hauch algengrün auf einem balkongeländer, im morgennebel gesehen. ein verlassenes spinnennetz, von tauperlen bedeckt.<br />
der schlag einer nachtigall am flussufer.<br />
die von vielen händen blank gescheuerte haltekette am beginn der hängebrücke. der mann, der mir auf halber strecke entgegen kommt, unsicheren schritts auf schwankenden brettern, das gesicht verbrannt, die augen grell.<br />
die rundgeschliffenen kiesel auf dem grund des flusses.<br />
in der ferne ein zaun.<br />
<br />
worte.
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2013-10-12T22:50:00Z
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Pubertät die zweite
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In der langen Kette der <a href="http://schmollfisch.twoday.net/stories/235551963/">Katerbesuche</a> heute ein bizarrer Tag.<br />
Kater schwarz, stammt von nebenan, besucht uns seit letzten Frühsommer (damals gerade mal eine Handvoll Kater) kam heute nicht in Begleitung seines großen roten Freundes, sondern allein. Streunte zur offenen Terrassentür herein. Schnurrte lauthals. Wollte Leckerli. Ich nahm ihn hoch und ließ ihn vor Schreck beinahe wieder fallen, weil er am Bauch einen sieben Zentimeter langen kahlen Fleck hatte. Die Haut darunter seltsam bläulich. Eine lange rote Narbe.<br />
Was hat ihm gefehlt? Keine Ahnung. Mir schien er immer kerngesund. Ich habe mir vorgenommen, die Nachbarn zu fragen. Bis dahin setze ich insgeheim vor dem Wort „Kater“ einen Vorbehalt. Mir wurde er als Kater vorgestellt und hat einen Männernamen. Aber dass er hinten herum irgendwie anders aussah als Kater rot, das habe ich mir schon länger gedacht. Vielleicht sind die Nachbarn auf den gleichen Gedanken gekommen.<br />
<br />
Irgendwann nach zehn Uhr abends, als ich mit meiner Tochter fernsah, kam Kater rot an die Tür. Ich machte auf. Er kam schnurrend hereinstolziert, wollte Leckerli. Kater rot ist etwas freundlicher (und meiner Meinung nach intelligenter) als Kater schwarz. Ich biete ihm gern eine Kleinigkeit an, daher weiß er, wo die Büchse steht. Als er vor mir her in die Küche lief, fiel mir das Herz in die Hosen. Auch Kater rot ist kein Kater mehr. (Wenn Kater schwarz denn je einer gewesen war.)<br />
<br />
Das Erstaunliche ist, dass beide Kater aus verschiedenen Häusern stammen. Schwarz gehört nach nebenan, Rot irgendwohin um zwei Ecken, ich weiß es nicht genau. <br />
<br />
Mir war wehmütig zumute. Noch wehmütiger stimmte mich das Verhalten, das laute Schnurren, das Betteln, das Gleich-wieder-weg-Wollen, der unverhohlene Katzenegoismus: Bis jetzt hat sich nichts geändert. Warum sollte es auch.
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Tagesblupp
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2013-03-07T00:34:00Z
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Hotel Schneegipfel
https://schmollfisch.twoday.net/stories/291042616/
<i>(hier gepostet für Neda. Danke fürs Ausgraben!)<br />
</i><br />
<br />
<br />
Sie kamen bei hereinbrechender Dunkelheit an und suchten in dem fremden Ort nach ihrer Unterkunft.<br />
<br />
»Hotel Schneegipfel heißt es«, erklärte Ute den beiden Kindern zum x-ten Mal. »Bitte helft mir beim Suchen. Ich weiß nicht, wo es liegt.«<br />
<br />
»Hier ist aber alles voller Hotels, Mama«, bemerkte die achtjährige Ilka.<br />
<br />
Der ganze Ort bestand aus Gasthöfen. Die meisten waren große weiße Gebäude im ländlichen Stil, mit holzverschalten Giebeln und breiten, geschnitzten Balkonen. <br />
Vogelfutterhäuschen und Schneemänner schmückten die Vorgärten. Auf allen Dächern lag dicker Schnee. Ute fuhr langsam, und sie und die Kinder versuchten, im trüben Straßenlampenschein die Hausnamen zu entziffern, die entweder auf große Holzschilder oder auf den Putz gemalt waren. »Hotel Jachmann«, las Ilka langsam und stockend, »Haus Reserl, Zum Kahlwirt – nein, zum Karlwirt.« Ihre kleine Schwester Reni stieß sie in die Seite, und beide begannen haltlos zu kichern.<br />
<br />
<i>Haltet doch die Klappe!</i> Ute widerstand dem Impuls, die Kinder anzuschnauzen. Das Lachen würde ihnen ohnehin bald vergehen. <br />
<br />
»Jetzt ist Schluss. Achtung, ich fahre weiter. Achtung, mitlesen!«<br />
<br />
An beiden Straßenseiten war der Schnee zu kniehohen Wällen zusammengeschoben. In manchen Fenstern funkelten noch Lichterbögen, obwohl es schon lange nach Dreikönig war, und an den Türen hingen Tannenkränze mit roten Schleifen. <br />
<br />
»Ich will morgen Schlitten fahren!«, verkündete die kleine Reni, in einem kühnen Gedankensprung vom Weihnachtsschmuck zu ihrem Weihnachtsgeschenk. »Mama, können wir morgen Schlitten fahren?«<br />
<br />
Ute antwortete nicht, sondern lehnte sich weit nach vorne und schaute an den Hausfassaden hinauf. Sie hatte das Ende der Straße erreicht, wendete und fuhr zurück, um einen Abzweig in die zweite Hauptstraße des Ortes zu nehmen. <br />
<br />
<i>Morgen muss ich mit euch Schlitten fahren. </i>Doch wie sagt man zwei kleinen Kindern, dass ihre Familie vor der Auflösung steht?<i> Papa ist nicht mitgekommen. Nicht, weil er arbeiten musste, sondern, weil er keine Lust hatte. Hört ihr? Er hatte keine Lust. Hatte Besseres vor. Versteht ihr das? Ist das bei euch angekommen??</i> »Schneegipfel, schaut bitte«, wiederholte sie.<br />
<br />
»Hotel Kreischanfall«, sagte Ilka und wies auf ein Haus im Rohbau. Reni prustete los, und ihr Kichern steigerte sich zu hilflosem Gackern, als Ilka hinzufügte: »Bei uns liegen Sie richtig!«<br />
<br />
Das war ein beliebter Scherz, den sie von ihrem Vater übernommen hatten. Ute trat heftig auf die Bremse; das Auto rutschte ein Stück weiter und prallte gegen einen Schneewall. Sie musste den Rückwärtsgang einlegen und ein paar Mal Gas geben. <br />
<br />
»Mama, du sollst nicht so wild bremsen, wenn es glatt ist!«, belehrte Ilka. <br />
<br />
<i>Halt die Klappe. Halt doch endlich die Klappe.</i> Sie bog in die Abzweigung. »Haus Geranie«, »Rosenhalde«, »Schönblick«. Die meisten Hotels hatten kleine Abstellplätze für die Autos der Gäste, und rundherum lag der Schnee in hüfthohen Haufen. Schneeschieber und Säcke mit Streusalz lehnten an den Hauswänden. Hier und da stand ein vergessener Schlitten am Straßenrand.<br />
<br />
Die Straße führte wieder aus dem Ort hinaus. Am Ende stand ein Gebäude mit Klappläden, das mit einer Unmenge Eiszapfen geschmückt war. Zu Hunderten hingen filigrane Tropfsteine von den Fenstersimsen und klebten in dicken Trauben am Balkon. Es war eine Welt aus Weiß, mit feinem Schnee bestäubt wie mit Puderzucker.<br />
<br />
Die kleine Reni hüpfte aufgeregt auf dem Rücksitz. »Mama, Mama! Das muss es sein! Das ist es ganz bestimmt! Ein Märchenschloss!«<br />
<br />
»Ich sehe nirgends Licht.« Ute bremste und schaute an dem Haus hinauf. Aber es war das letzte Haus an der Straße. Wenn es nicht das richtige war, musste sie wenden und wieder in den Ort hinein fahren. Und von vorne beginnen mit der Suche. Sie lehnte die Stirn gegen das Lenkrad und seufzte.<br />
<br />
»Was ist denn, Mama? Ist das nun unser Hotel, Mama? Mama!«<br />
<br />
Ute riss die Tür auf und stieg aus. <br />
<br />
»Wartet mal hier«, wies sie die Kinder an und schloss die Tür wieder, um den Wagen nicht auskühlen zu lassen. <br />
<br />
Das weiß bepuderte Haus lag dunkel. Neben dem doppelflügeligen Eingangstor hing das übliche Namensschild. Es handelte sich also um ein Hotel oder einen Gasthof. Doch auch das Schild war mit einer Menge nadelscharfer Eiszapfen übersät und unleserlich.<br />
<br />
Ute zögerte, den Gehsteig zu verlassen, aber endlich stieg sie doch in den knöchelhohen Schnee und watete an dem niedrigen Zaun entlang um das Haus herum. Auch an der Seite des Gebäudes war alles voller Eiszapfen; sie hingen reihenweise von den Fensterbänken und an der Dachtraufe wie ein erstarrter Wasserfall. »Wenn nur keiner runterfällt«, dachte sich Ute und schauderte zusammen, als sie sich die kalte, scharfe Spitze in ihrem Nacken vorstellte. <br />
<br />
Dann sah sie die Rückseite. Das halbe Obergeschoss fehlte. Der Dachstuhl war zertrümmert, und schwarzes Gebälk ragte wirr in den Nachthimmel. Die Fassade des Untergeschosses war rußgeschwärzt.<br />
<br />
Das Haus hatte gebrannt. Und die Eiszapfenpracht, dachte Ute, während sie die verkohlten Wände betrachtete, kam zweifellos vom Löschwasser der Feuerwehr.<br />
<br />
»Mama!«, rief eine Kinderstimme. »Mama!«<br />
<br />
Rasch machte Ute kehrt und lief an der Seite des Hauses zurück. Ilka war ausgestiegen und winkte ihr heftig zu. »Was ist jetzt, Mama? Wohnen wir in dem Märchenschloss, Mama? Das ist doch bestimmt unser Hotel, nicht wahr, Mama?«<br />
<br />
Ute stapfte durch den hohen Schnee zur Straße hin. »Nein«, sagte sie, während sie den Schnee von ihren Stiefeln abklopfte und sich wieder auf den Fahrersitz setzte. »Nein, dort dürfen wir nicht wohnen. Es ist ein Haus für Feen. Nur für Feen und Elfen. Nicht für Menschen wie uns.«
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fischgrund
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2013-03-01T21:48:00Z
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Neben der Kappe
https://schmollfisch.twoday.net/stories/264165793/
Ein Mann findet einen Gegenstand. (Später denkt er manchmal, dass wahrscheinlich eher der Gegenstand ihn gefunden hat.) Der Gegenstand hat die Kraft, seinen Träger unsichtbar zu machen. Er zeigt außerdem ein gewisses Eigenleben und verändert seinen Besitzer psychisch: Es fällt dem Mann immer schwerer, das Ding wegzulegen, andererseits wird er irgendwie immer weniger, wenn er es trägt. Manchmal möchte er das Ding loswerden, aber wenn er es verlegt hat, findet er keine Ruhe mehr, bis er es wiedergefunden hat, und am Ende wird ihm klar, dass es vernichten muss.<br />
<br />
Klingelt es? Und jetzt kommt das große Ätsch: Nein, es geht nicht um einen Ring, sondern um einen Hut; der Mann heißt nicht Frodo, sondern Simon, und der Hut gehorcht auch nicht irgendeiner strunzbösen Entität irgendwo im Osten, wo die Schatten drohn, sondern es bleibt ganz ungeklärt, woher er stammt (wenn es auch ein paar interessante Theorien dazu gibt). Und es geht auch nicht um ein ausuferndes Epos von mehreren tausend Seiten Länge, sondern um ein kleines Buch, das man an zwei Abenden auslesen kann. Das Buch heißt „Die Tarnkappe“ von Markus Orths und ist meine erste große Lesefreude dieses Jahres. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich den Autor irgendwoher kenne, vielleicht aus einem Schreibforum – egal, er beherrscht sein Handwerk und sprudelt nur so über vor Schreibfreude, wie man jedem Absatz seines Buchs anmerkt. Es ist keine amüsante Lektüre; das Buch hat sehr viel mehr mit unserer Wirklichkeit zu tun, als der erste Absatz vielleicht vermuten lässt, und der Leser bleibt mit einer Menge Denkanstöße zurück. Aber vor allem hat hier jemand geschrieben, weil er schreiben muss, nicht weil der Verlag meint, es sei mal wieder Zeit für einen neuen Dingsda und die Leser drauf warten. Auch das merkt man dem Buch an. Hier waltet echte Schreibwut. <br />
<br />
Die Verneigung vor Tolkien gefällt mir – einmal ist sogar von der „Kappe der Macht“ die Rede (gemeint ist die titelgebende Tarnkappe), und so sehr ich Tolkien schätze, noch mehr mag ich Phantastika im wahren Leben. Simon ist kein mittelalterlicher König, Truchsess, Zwerg oder Ork. Er ist so gewöhnlich, dass es beinahe schon weh tut.<br />
<br />
(Eben sehe ich, dass im ersten Absatz vielleicht der Eindruck entsteht, ich hätte alles verraten. Nein. Das Buch endet nicht damit, dass dem Mann klar wird, dass er das Ding vernichten muss. Es endet ganz anders. Aber mehr sag ich nicht.)
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2013-02-20T21:47:00Z
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Wortgesang reloaded - die Fallgrube zwischen zwei Worten
https://schmollfisch.twoday.net/stories/264163195/
Eine hinreißende Wortgeste entschlüpft A.J.Cronins Heldin Lucy Moore. Daran ist Cronin selbst mit einiger Sicherheit völlig unschuldig, wahrscheinlich auch sein Übersetzer Richard Hoffmann: Lucy erfindet ihr Bonmot ganz alleine. Lucy ist ein taffes Frauchen und hätte, lebte sie in der Gegenwart, bestimmt Karriere gemacht. Leider ist sie um 1880 geboren, was ihr nicht viel Spielraum lässt. Genau genommen gar keinen außer der Option, aus ihrem Gatten einen Mann zu machen. Leider ist der aber ein Schlaffi und trotzt ihren Bemühungen mit einem stillen, sympathischen Galgenhumor.<br />
Ein scharfes Auge hat Lucy auf die Kusine Anna, die sie selbst für eine Woche eingeladen hat (wofür sie sich später ohrfeigen möchte). Anna ist trocken-direkt, auf sinnliche, etwas träge Art attraktiv, intelligent und selbstbestimmt. Obendrein hat sie, wie Lucy hintenherum erfährt, vor Jahren ein uneheliches Kind gehabt (es ist im Babyalter gestorben) und den Vater dazu nie benannt. Das schlägt dem Fass den Boden aus. Lucy traut sich kaum noch, ihren Mann mit diesem Vamp allein zu lassen. Ihren hausfraulichen Ehrgeiz gibt sie indessen keine Minute auf. Anna bekommt jeden Tag ihr Frühstückstablett und ein vorher geplantes Picknick wird mit größter Sorgfalt vorbereitet: Lucy macht nach meiner Rechnung für drei Erwachsene und einen achtjährigen Jungen mindestens zwölf belegte Brote, eine Tüte Krapfen, einen Obstkuchen, ein Paket Zwieback und einen Schwung hartgekochte Eier zurecht (das nur nebenbei). Sie selbst will nach dem Picknick Himbeeren pflücken gehen, ihr Sohn seine Angel ausprobieren – wer beaufsichtigt aber ihren Mann und Anna? Die Sorge treibt Lucy ununterbrochen um und gibt ihr, als an Ort und Stelle der Picknickplatz gewählt wird, die Frage an Anna ein:<br />
„Möchtest du fischen oder pflücken?“<br />
<br />
Vielleicht muss man, um diese Frage so zu lesen wie ich, vorher zehn engbedruckte Seiten lang Zeuge von Lucys Sorgen und Ängsten geworden sein. Ich habe jedenfalls weder „fischen“ noch „pflücken“ gelesen, sondern ein anderes Wort, das genau zwischen fischen und pflücken liegt .... Und so kommt Lucys Mann auch, getrieben durch Lucys ununterbrochenen Argwohn, fünf Seiten später zu Fall.<br />
<br />
Genauso wie ich, ihe Leserin.
schmollfisch
schmollfisch liest
Copyright © 2013 schmollfisch
2013-02-17T22:07:00Z
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Pubertät
https://schmollfisch.twoday.net/stories/235551963/
<a href="http://schmollfisch.twoday.net/stories/219022851/">Der kleine Bruder</a><br />
<br />
Abends gegen acht öffne ich ein letztes Mal die Terrassentür, um das Wohnzimmer durchzulüften, und setze mich solange mit meinem Buch und dem letzten Kaffee in die Küche ... <br />
<br />
Da stehen sie plötzlich neben mir, einer links, einer rechts.<br />
Der eine schwarz, der andere rot. Der schwarze gehört dem Nachbarn, das weiß ich. Der rote ist von weiter weg, aber es ist ein Kater, unkastriert (soweit ich das erkennen kann), sieht gepflegt aus.<br />
<br />
Sie haben Hunger. Sie sitzen vor dem Kühlschrank, obwohl ich nichts aus dem Kühlschrank gebe; das wissen beide. Ich habe nur Trockenfutter, Leckerli. Zwei Handvoll schütte ich auf den Boden. Sie fressen heißhungrig und drehen danach eine Runde durch das ganze große Esszimmer/Wohnzimmer/Wintergarten, alles ist offen, überall kriechen sie hin und begutachten alles. Ich bin nicht sicher, ob sie stubenrein sind, deshalb behalte ich sie genau im Auge. <br />
Das ist anstrengend, aber schnell vorbei. Binnen fünf Minuten sind sie wieder draußen. Habe ich die Terrassentür inzwischen zugemacht, weil mir zu kalt wurde, stehen sie davor und miauen.<br />
<br />
Es sind junge Männer. Sie wollen raus. <br />
Sobald ich die Tür aufmache, rennen sie davon auf neue Abenteuer. Draußen ist Schneesturm, aber das ist ihnen egal. <br />
<br />
Ich schaue ihnen nach (mit leisem Neid), dann schließe ich die Tür endgültig; mittlerweile ist es viertel nach acht - Tatortzeit - und ich stelle den Fernseher an und nehme mein Strickzeug.
schmollfisch
Tagesblupp
Copyright © 2013 schmollfisch
2013-02-05T21:57:00Z
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Cora auf Reisen
https://schmollfisch.twoday.net/stories/235548986/
Cora ist online. <a href="http://annarinnschad.twoday.net/topics/Cora+auf+Reisen/">Hier klicken!</a><br />
<br />
Schöne Grüße vom Schmollfisch!
schmollfisch
Tagesblupp
Copyright © 2013 schmollfisch
2013-02-01T23:05:00Z
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Cora, again
https://schmollfisch.twoday.net/stories/235544463/
Wie soll man das nennen? Magie, oder Flow? Eins ist sicher: Noch nie hat Cora so viel und so schnell gelesen. Am achten Tag ihres Aufenthalts hat sie schon fünf dicke Bücher verschlungen. Sie hat sich einen Zeitplan angewöhnt: Vormittags hat das Café geschlossen; Cora frühstückt in ihrem Apartment auf der Terrasse und hört dem Donnern des Meeres zu, geht danach Brot und Wasser kaufen und macht und einen Spaziergang; zweimal rafft sie sich zu einer längeren Wanderung auf, aber der Höhepunkt des Tages ist der Besuch im Lesecafé. Es ist immer ein Stuhl für sie frei. Das Publikum wechselt; manchmal steht noch ein vierter Tisch da, der (gleichfalls wohl durch Magie) noch in dem winzigen Hof Platz findet; manchmal sitzen bis zu sieben Leute da – irgendwie reicht es immer für alle, das ist geradezu biblisch. Und immer ist noch ein Stuhl frei für Cora. Sie nimmt jeden Tag ein neues Buch. Es kann noch so dick sein, bis zum Abend hat sie es durch. Am zweiten Tag liest sie „Der Schatten des Windes“ von Zafon. Der traurig dreinblickende Keller bringt ihr eine Halbliterflasche Rotwein und ein Holzbrettchen mit knusprigem Brot, Serranoschinken und karamelisierten Zwiebeln, auf Holzspieße gesteckt – köstlich. Am dritten Tag greift sich Cora, die bei der Buchwahl noch immer nicht richtig hinsieht, einen Roman von Jane Austen und bekommt dazu einen Teller Ingwerkekse und eine Kanne mit erlesenem Tee von orangeroter Tönung. Am vierten Tag sucht Cora ihr Buch endlich gezielt aus und tut prompt einen Fehlgriff – der Autor ist ein deutscher Krimischreiber, der Krimi ein unlogisches Gestotter, und zu essen gibt es eine Riesenschüssel Kartoffelchips. Cora lässt beides halb bewältigt stehen und nimmt sich vor, die Auswahl am nächsten Tag wieder dem bewährten Zufall zu überlassen. <br />
Der Zufall schenkt ihr den „Mantel“ von Gogol, und Cora bibbert beim Lesen auf ihrem Stuhl, schlürft die heiße Rassolnik-Suppe vom Löffel und isst Kartoffelbrot dazu. Die Suppe wärmt so angenehm – sie friert tatsächlich, so ohne Mantel! Am Morgen darauf hat sie zum ersten Mal das Gefühl, vielleicht doch nicht ganz das Richtige zu tun. Während sie auf ihrem Balkon frühstückt, kommt ihr das Meer lauter vor als je zuvor, und ein paarmal kommen vereinzelte Gischtspritzer über das Geländer geflogen. Der Kaffee schmeckt unangenehm – irgendwie nach Salz.
schmollfisch
quilting bee
Copyright © 2013 schmollfisch
2013-01-25T23:43:00Z
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Der kleine Bruder
https://schmollfisch.twoday.net/stories/219022851/
Wenn ich die Haustür öffne oder das Garagentor, ist der Kater da. Er gehört nicht mir, sondern irgendwem in der Nachbarschaft.<br />
<br />
Er ist klein; wahrscheinlich irgendwann im späten Frühjahr geboren. Im Sommer wirkte er immer sehr zart und zerbrechlich. Er drückte sich durch den Türspalt und gab krächzende Laute von sich, als müsse er das Maunzen erst noch lernen. Ich gab ihm alles mögliche zu fressen, weil er aussah, als hätte er überhaupt keine Substanz.<br />
<br />
Später erfuhr ich, dass er es in der ganzen Nachbarschaft ringsum ebenso trieb. Im Herbst war ich zwei Wochen verreist. Als ich zurückkam, war er doppelt so groß geworden. Noch immer nicht das, was man einen ausgewachsenen Kater nennen könnte, aber kräftig und selbstbewusst. Wenn ich draußen Holz für den Kamin hole oder die Briefe aus dem Briefkasten, kommt er ganz selbstverständlich mit herein. Manchmal habe ich keine Lust auf Kater und schließe die Tür vor seiner Nase. Fünf Minuten später öffne ich sie wieder, weil es mir leid tut, ihn abgewiesen zu haben. Dann kommt er ganz selbstverständlich hereinstolziert. Er hat in aller Ruhe neben der Tür gewartet; er weiß, dass ich sie früher oder später für ihn aufmachen werde.<br />
<br />
Er begibt sich in die Küche und bleibt vor dem Kühlschrank stehen.<br />
<br />
Manchmal möchte ich ihm lieber nichts geben, weil ich weiß, dass er sich in der ganzen Nachbarschaft durchfrisst. Ich gehe nach nebenan und setze mich vor den Schreibtisch, um zu arbeiten. Er bleibt vor dem Kühlschrank sitzen. Ich vor dem Schreibtisch, er vor dem Kühlschrank. Er weiß, wer zuerst aufgibt. Immer ich.<br />
<br />
Wenn er gefressen hat, möchte ich ihn auf den Schoß nehmen und mit ihm kuscheln. Er schnurrt so laut, dass sein ganzer Körper zittert. Ich halte ihn fest und kraule seine Ohren, streichle die vibrierende Kehle. Er reckt den Kopf nach hinten; das grüne Licht in seinen Augen wird schmäler und erlischt beinahe ganz; er streckt die Beine und fährt alle Krallen aus. Dann beginnt er ganz leise zu knurren. Das ist der erste Signal, dass seine Geduld ausgeht. Wenn ich ihn nicht sofort loslasse, schlägt er Krallen und Zähne in meine Hand. Es tut nicht wirklich weh; er meint es nicht ernst. Aber ich muss ihn loslassen. Dann will er auf der Stelle wieder hinaus.<br />
<br />
Ich weiß, dass er anschließend bei einem meiner Nachbarn das gleiche Spiel spielt. Links, rechts, oben, unten, es ist überall das gleiche.<br />
<br />
Manchmal frage ich mich, ob er mich überleben wird.
schmollfisch
fischgrund
Copyright © 2012 schmollfisch
2012-11-20T22:14:00Z
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Die männliche Aufblaspuppe ...
https://schmollfisch.twoday.net/stories/202639529/
Über den Sprachgebrauch der Krimischreiberin Frau Th. habe ich <a href="http://schmollfisch.twoday.net/stories/4274656/">hier</a> schon einmal gelacht. Da meine Regale von eher durchschnittlichen Krimis inzwischen überquellen, habe ich mir inzwischen ein energisches Krimi-Kaufverbot verordnet, das ich höchstens für ganz außergewöhnliche Krimis zu durchbrechen gewillt bin. Für die durchschnittliche Mord-und-Totschlag-Ware habe ich den Trekstor in Betrieb genommen, der schon seit fast einem Jahr hier herumliegt, ohne bislang etwas anderes speichern zu dürfen als Strickmuster. (Auf Strickmuster komme ich gleich wieder zurück.)<br />
<br />
Wider Erwarten habe ich mich inzwischen gut an den Reader gewöhnt. Meine Frühstückskrimis leihe ich per Onleihe aus. Darunter nun auch den dritten Krimi von Frau Th., an der ich ihre Fähigkeit schätze, Häuser und Gärten stimmungsvoll zu schildern. Frau Th. ist Germanistin laut Klappentext. Dann sollte ihr allerdings dieses Haus hier eher nicht unkorrigiert durchrutschen:<br />
<br />
<i>Katharina war fünfundsechzig, lebte seit dem Tod ihres Mannes vor zwanzig Jahren völlig allein in einem riesigen Haus mit einer ebenso riesigen Dogge ...</i><br />
<br />
Nun, Riesen sind ohnehin ein Thema. Hier nämlich, um auf Strickmuster zurückzukommen, kreiert Frau Th. ganz nebenher einen solchen.<br />
<br />
<i>Magda suchte sich graue Wolle aus, die von dünnen blauen Fäden durchzogen war. Außerdem hatte sie einen Pullover von Johannes dabei und fragte die Verkäuferin, wie viel Wolle dieser Sorte man für eine Jacke dieser Größe brauche.<br />
Die Verkäuferin maß und rechnete und schob dabei immer wieder ihre rutschende Brille zurück bis zur Nasenwurzel.<br />
"Es soll ein Weihnachtsgeschenk für meinen Mann sein", erklärte Magda, (...)<br />
"Brava" sagte die Verkäuferin und schrieb Zahlenkolonnen auf einen Zettel. (...) "Ich habe nicht genug Wolle da. Ungefähr die Hälfte müsste ich nachbestellen. (...) Nächste Woche Freitag müsste der Rest hier sein."<br />
(...)<br />
Magda schenkte der Verkäuferin ihr strahlendstes Lächeln und verließ mit einem Teil der Wolle in einer riesigen, sackähnlichen Plastikhülle den Laden.</i><br />
<br />
Ich beleuchte diese Episode mal vom Standpunkt einer Strickerin, wobei ich betonen möchte, dass man keine gelernte Handarbeitsfachverkäuferin sein muss, um zu dieser Beurteilung zu kommen, sondern eine zwei- bis dreimalige Erfahrung im Stricken von Oberteilen genügt:<br />
<br />
Um den <i>ungefähren</i> Wollbedarf für eine Jacke zu berechnen (Magda legt einen Pullover vor und bittet um Umrechnung in eine Jacke, aber das macht keinen Unterschied) braucht man ein Lineal, um die Größe auszumessen, und einen Blick auf die Banderole der Wolle, auf der Lauflänge, vorgeschlagene Nadelstärke und durchschnittliche Maschenprobe angegeben sind. Der Rest ist Kalkulation über den Daumen gepeilt. Um zu einer <i>genauen</i> Berechnung zu kommen, braucht man eine ausreichend große Maschenprobe in dem Muster, das die Kundin stricken möchte, und zwar <i>von der Kundin gestrickt</i>. Da die Verkäuferin diese nicht zur Verfügung hat, gibt es keine Parameter, auf deren Grundlage sie Zahlenkolonnen schreiben könnte. Der ganze Absatz ist stricktechnisch Unsinn.<br />
Unsinn ist es auch, "die Hälfte der Wolle" mitzunehmen und die andere Hälfte zu bestellen. Keine Verkäuferin, die halbwegs bei Verstand ist, macht so etwas. Wolle für einen Pullover verkauft jedes Geschäft grundsätzlich auf einmal, weil das die einzige Garantie ist, dass die Wolle wirklich durchgehend die gleiche Farbe hat. Ist nicht genug Wolle da, wird nachbestellt, aber dann die komplette Wolle auf einmal, nicht die zweite Hälfte. Wer mir nicht glaubt, kann ruhig mal in einem Handarbeitsladen die Probe aufs Exempel machen. Vielleicht hätte Frau Th. gut daran getan, es auszuprobieren.<br />
Dann wäre ihr nämlich auch der dritte und letzte Schnitzer nicht passiert: Magda verlässt "mit einem Teil der Wolle in einer riesigen, sackähnlichen Plastikhülle den Laden". Eine riesige, sackähnliche Plastikhülle hatte ich zuletzt, als ich auf Inishmore zweieinhalb Kilo Aranwolle in Strängen gekauft habe. Was Magda in der Hand hat, kann nicht mehr sein als 500 bis höchstens 600 Gramm Wolle. Das nimmt ungefähr soviel Raum ein wie vier Tüten Milch. Es sei denn, Johannes sei ein Riese. Es soll ja Männer geben, die veritable Strickzelte benötigen, um sich ausreichend zu bekleiden. Aber nein, Magda hat Johannes kurz zuvor über den Hof geschleift, um ihn im Garten zu begraben, und dabei erschöpft konstatiert, dass er neunzig Kilo wiegt. <br />
Wenn mir jetzt jemand erklärt, wie ein neunzig Kilo schwerer Mann eine derartige Ausdehnung haben kann, dass die Hälfte der Wolle, die er für eine Jacke braucht, eine riesige, sackähnliche Plastikhülle ausfüllt, dann verzeihe ich Frau Th. Eher nicht. Oder sollte am Ende Johannes selbst auch nur eine riesige, sackähnliche Plastikhülle sein? Eine männliche Aufblaspuppe? Die braucht man aber nicht im Garten zu vergraben. Die braucht man nur abzustechen und anschließend klein zusammenzufalten. Vielleicht der ideale Ehemann. Nach Gebrauch leicht in einem kleinen Paket zu entsorgen. Was Gott sei Dank auch für geliehene ebooks gilt. Das Datenpaket braucht nicht mal eine Plastikhülle. Aber wirklich wichtige Bücher bestelle ich nach wie vor beim Buchhändler meines Vertrauens.<br />
<br />
ps. Nachtrag vom 14.11.: Frau Th.'s Mangel an Sachkenntnis beschränkt sich übrigens nicht auf handarbeitstechnische Fragen. Auch im Gemüsegarten geht nicht alles mit rechten Dingen zu: der aufblasbare Neunzig-Kilo-Johannes setzt in seinen Garten "Tomaten, Salat, Gurken, Melonen und <i>Kartoffelpflanzen</i>".
schmollfisch
schmollfisch liest
Copyright © 2012 schmollfisch
2012-11-13T10:19:00Z
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Wohnungssuche zweitens und letztens
https://schmollfisch.twoday.net/stories/202638997/
<i>… Man erzählte sich, dass die alte Eva einen zweiten Frühling erlebte und mit einem der Schnitter hinter den Strohmieten Zusammenkünfte hielt. Ihr Mann konnte sie nicht daran hindern, da er seit dem April mit Reißen in allen Gliedern darniederlag. Im Herbst starb er, und sofort liefen Gerüchte um, die alte Eva hätte ihn so vernachlässigt, dass er elend verhungert sei. Das Gerede kam der Gutsherrin zu Ohren, und sie machte sich auf den Weg zur alten Eva. Groß und herrisch stand sie in ihrem Kutschermantel in der Tür, und der weiße Haarschopf streifte beinahe den Türrahmen. „Was höre ich da, Eva? Du hast deinen Mann verhungern lassen?“<br />
Die alte Eva brach sofort in Tränen aus. „Das erzählen sie, die Leute, ja! Aber es ist nicht wahr! Ich konnte nicht so nach ihm sehen, wie ich sollte, ich musste doch hinaus zur Arbeit. Aber ich habe immer für Essen gesorgt. Er hat alle Tage sein Brot und seinen Kornkaffee gekriegt!“<br />
„Brot und Kaffee? Gute Frau, wie soll denn ein Kranker damit zu Kräften kommen, wie soll er überleben mit nichts als Brot und Kaffee?“<br />
„Ich hatte keine Zeit zu kochen“, schluchzte die alte Eva, „ich musste doch auf den Acker und konnte keine Krankenkost zubereiten. Aber in meiner Jugend hatten wir auch oft wochenlang nur Brot und Kaffee! Keiner ist verhungert! Und wir haben schwer gearbeitet!“<br />
Das machte die Gutsherrin nachdenklich. Ja, es stimmte, in früheren Zeiten hatten die Menschen mit nichts anderem als Brot und Kaffee schwere Arbeitstage überstanden und sich dabei wohl befunden. Wie kam es, dass diese einfache Nahrung heute nicht mehr hinreichte, um Leib und Seele zusammenzuhalten? Und sie fasste den Verdacht, dass es an der modernen Arbeitsweise liegen könne. Man machte fast nichts mehr mit eigenen Händen, es liefen Maschinen über die Äcker, niemand griff in die Krume. Vielleicht hatte das Korn seine Seele verloren und war nicht mehr so nahrhaft wie früher. Die Gutsherrin gab Anweisung, einen Teil ihrer Äcker wieder wie früher zu bewirtschaften, und stellte eigens dafür einige Arbeiter ab, solche vom alten Schlag, die sich nie ganz an die Sä- und Erntemaschinen gewöhnt hatten. Sie sollten die Saat wieder mit bloßen Händen ausstreuen und, wenn das Korn stand, wie früher mit Sense und Sichel mähen. Dann würde man sehen, welche Frucht nahrhafter war für Mensch und Vieh. </i><br />
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Ein Schatten fiel über das Buch – so erschien es mir. Als wäre jemand am Fenster vorbeigegangen. Was ausgeschlossen war in dieser Höhe.<br />
Ich hatte ungefähr zwei Stunden gelesen. Der Roman war aus dem Schwedischen übersetzt und spielte irgendwann um die vorletzte Jahrhundertwende. Schnee und Dunkelheit im Winter, singende Erde im Sommer. Inzwischen war auch in der Wohnung die Sonne weiter gewandert; das Gitter vor dem Schlafzimmerfenster malte dunkle Linien an die weiße Wand. Draußen tönten Vogelschreie; das war sicher die ganze Zeit so gewesen, doch das Geräusch war am Rand meines Bewusstseins entlang gekrochen wie eine ferne Erinnerung. Jetzt klang es schriller denn je. Die alte Frau auf dem Bild musterte mich streng. „Und?“, fragte ich sie. „War das Experiment erfolgreich? Und haben Sie auch daran gedacht, sich bei Vollmond aufs Feld zu stellen und Kräutertee linksherum in die Furchen zu schütten?“ Sie antwortete nicht. Wahrscheinlich hielt sie es für unter ihrer Würde, einem überfütterten Menschen unserer Zeit Rechenschaft abzulegen. Wer das Brot beim Bäcker holte und nie im Leben Kornkaffee getrunken hatte, der hatte vermutlich kein Recht, solche Fragen zu stellen.<br />
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„Ich hätte nichts gegen einen Kaffee jetzt“, sagte ich, stand auf und ging ein wenig hin und her, weil meine Knie steif geworden waren. „Gucken Sie mich nicht so abfällig an. Ich bin keine Gutsherrin wie Sie. Ich kann nicht mal mein Haus behalten. Deshalb bin ich ja hier.“ Dann fiel mir eine andere Szene aus dem Buch ein – wie die Gutsherrin am Weihnachtsabend in den Stall gegangen war, um den Kühen und Ziegen für ihre Dienste zu danken. „Wäre vielleicht nett gewesen, in Ihrer Zeit zu leben“, sagte ich. „Kein Fernsehen, keine Banken, keine Scheidungen. Aber das kann sich niemand aussuchen. Wenn Sie mir also keinen Rat geben wollen, werde ich Sie aus dem Fenster werfen müssen. Ich weiß jedenfalls nicht, wie ich mich sonst bemerkbar machen könnte. Schließlich will ich hier nicht die Nacht verbringen.“ Wieder wanderte ein Schatten durch das Zimmer, so rasch wie ein Vogelflug. Ich drehte mich rasch zum Fenster um – vielleicht eine Taube? Als meine Augen zu dem Bild zurückkehrten, schien die Alte ihre Haltung verändert zu haben: Sie lehnte sich rückwärts an die Stuhllehne, und ihre Hände lagen ganz entspannt aufeinander. Sogar ihr Blick war weniger kritisch.<br />
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„Die Idee scheint Ihren Gefallen zu finden“, sagte ich. „Dann fange ich jetzt mit diesen beiden Rahmen hier an, die sind sowieso kaputt. Ich verspreche jedenfalls, dass Sie die Letzte sind, die an die Reihe kommt.“ Ich trug die Bilderrahmen nach nebenan und nahm auch den Stapel Polsterkissen mit, weil ich etwas zum Draufsteigen brauchte. Es gelang mir, mitsamt den Rahmen aufs Dach hinauszuklettern. Ich wagte mich nicht bis an den Rand vor, sondern blieb in kniender Stellung auf dem Fensterrahmen; aber ich schaffte es wahrhaftig, die beiden Rahmen über den Rand des Dachs hinauszuwerfen. Sie fielen in den Vorgarten und brachen auseinander; ich hörte den Aufprall.<br />
Jedenfalls hatte ich keinen Menschen getroffen und keinen Schaden angerichtet. Aber es geschah auch sonst nichts. Der Mann mit dem Goldhelm schien eine wertlose Kopie zu sein. Ich beförderte ihn ebenfalls aus dem Fenster. Das eingestaubte Bild hinterher zu schicken, wagte ich nicht. Es war vermutlich ein Stilleben, jedenfalls erkannte ich Blumen, Früchte und einen Auerhahn oder Fasan, der auf dem Rücken lag. Vielleicht war es wertvoll.<br />
Als letztes blieb mein Buch. Ich ging kurz mit mir zu Rate – und warf es hinaus. „He!“, schrie unten jemand. Ich beugte mich soweit wie möglich vor. „Bitte! Ich bin hier eingesperrt! Rufen Sie den Makler an!“ Unmöglich konnte das jemand gehört haben. Meine Stimme verlor sich im Wind und verflog über dem Hausdach. Ich sah Buchseiten davonflattern.<br />
„Da haben wir’s“, sagte ich zu meiner Freundin und setzte mich wieder ihr gegenüber auf den Boden. „Nichts mehr zu lesen und nichts zu essen, nicht einmal Brot und Kornkaffee. Keine Unterhaltung mehr als wir beide.“ Sie lächelte breit. Ihre Arme hingen entspannt an ihren Seiten herunter. „Ein falsches Wort, und Sie fliegen auch hinaus“, drohte ich. Es war nicht ernst gemeint. Ich hätte niemals gewagt, sie durchs Fenster zu werfen. Gleichzeitig war ich sicher, dass dann jedenfalls jemand kommen würde. Die leeren Rahmen, der Mann mit dem Helm, das Buch – alles schien sinnlos davongeflattert zu sein. Aber wenn die Alte in den Vorgarten krachte, das bliebe bestimmt nicht unbemerkt.<br />
Ich sparte mir die Gutsherrin als letzte verzweifelte Maßnahme auf, setzte mich wieder ihr gegenüber auf den Boden und wartete. Sie lächelte die ganze Zeit. Ein paarmal noch flog der Schatten am Fenster vorbei, aber ich blieb stur sitzen und schaute auf das Bild, bis mir fast die Augen zufielen.<br />
<br />
Es kann nicht sehr lange gedauert haben, vielleicht eine halbe Stunde. Dann hörte ich die Bodentür klicken und schreckte hoch. Meine Füße waren eingeschlafen. Bis ich mich aufgerappelt hatte, stand der Makler schon in der Tür zum Schlafzimmer und blinzelte mich an.<br />
„O Gott, habe ich Sie eingesperrt? Das tut mir sehr leid … ich bin angerufen worden, jemand sei hier in der Wohnung …“ Unsicher trat er von einem Fuß auf den anderen. Er hatte jetzt Jeans an, und sein Haar war struppig. An einer Schläfe klebte ein Streifen Mehl.<br />
„Ich habe Sie wohl beim Backen gestört“, sagte ich.<br />
„Ja, Kirschkuchen …“ Er lachte verlegen. „Wie ich sehe, haben Sie Gesellschaft …“ Er nickte zu dem Bild hin. „Das ist nur Trödel, sollte längst zum Sperrmüll. Wollen Sie die Wohnung haben?“<br />
„O ja“, sagte ich, ohne zu überlegen. „Ja, ich nehme sie. Ich muss mir wohl ein paar neue Möbel kaufen, die ich diese Treppe hinauftragen kann, aber die Wohnung gefällt mir.“ Vielleicht tat es ja auch einfach eine Matratze auf dem Fußboden. Ein Klapptisch, Klappstühle … Im Geist begann ich die Wohnung einzurichten. Die Alte auf dem Bild hatte wieder die Hände ineinandergelegt und ihre strenge Miene angenommen.<br />
<br />
Der Makler wurde geschäftsmäßig und fing an, mir den Mietvertrag zu erklären. Ich durfte nicht untervermieten und musste zweimal jährlich dem Schornsteinfeger die Tür öffnen, weil der einzige Zugang zum Dach durch die Wohnung führte. Hunde waren unerwünscht, aber eine Katze erlaubt. Während er sprach, wischte er sich das Mehl aus dem Gesicht und brachte seine Haare in Fasson, bis er fast wieder so edel aussah wie am Vormittag. Die Verwandlung war erstaunlich. Und, setzte er mit höflichem Lachen hinzu – vermutlich hielt er mich für hoffnungslos schrullig –, das Porträt durfte ich gern behalten, wenn ich wollte.<br />
„Und Kaffee möchte ich“, sagte ich. „Trinken Sie einen Kaffee mit mir?“, ohne zu wissen, ob ich den Makler meinte oder die alte Frau. Er nahm an, immer noch lachend. Wahrscheinlich zweifelte er an meinem Verstand, aber das war ein guter Anfang.
schmollfisch
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Wohnungssuche
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Es war kurz nach halb zehn, und ich sollte den Makler um zehn Uhr vor dem Haus treffen. Ich war mit dem Zug angekommen, vom Bahnhof aus eine halbe Stunde mit dem Bus weitergefahren und hastete die Fußgängerzone hinauf, den Stadtplan in der Hand. Bis hierher war der Tag ein Reinfall. Um acht Uhr die erste Wohnungsbesichtigung, vorgeblich ein Souterrain, in Wirklichkeit ein niedriger Keller mit offen liegenden Wasserleitungen, die beständig rauschten. Um halb neun ein möbliertes Zimmer mit Familienanschluss; die Hausfrau öffnete mir die Tür, während der Ehemann im Unterhemd, Zigarettenstummel im Mundwinkel, an der Spüle stand und etwas schrubbte. Für die dritte Besichtigung musste ich noch einmal quer durch die Stadt. Ich war verschwitzt und mutlos.<br />
In der Fußgängerzone fing der Vormittagsbetrieb an: Sonnenschirme wurden aufgespannt und Sitzkissen auf Klappstühle verteilt. Meine eigenen Gartenmöbel zu Hause musste ich auch noch verkaufen, fiel mir ein. Verdammter Umzug. Am liebsten hätte ich mich irgendwo hingesetzt und einen Kaffee bestellt. Statt dessen sollte ich dem Makler gegenübertreten, sicher ein geschniegeltes Ekelpaket, und einen möglichst guten Eindruck machen.<br />
An der Straßenkreuzung, wo ich laut Stadtplan links abbiegen musste, war ein Bücherstand aufgebaut. Die Bücher waren genau von der Art, wie ich sie am liebsten mag: Leinenrücken, denen der Schutzumschlag abhanden gekommen war, mit schwer leserlicher Goldprägung; das Papier am Schnitt vergilbt. Ich ging langsamer und schaute in die Seitenstraße links. Lauf weiter, sagte ich mir, die Wohnung ist wichtiger, du kannst die Bücher nachher noch ansehen; und dann: was solls, du bist so gut wie am Ziel, die paar Minuten hast du noch, und mit der Wohnung wird es sowieso nichts. Ich setzte meine Tasche ab und begann zu blättern. Romane von vergessenen Autoren, manche sogar in Fraktur gedruckt und mit verblichenen Widmungen auf dem Vorsatzblatt. Ich nahm ein Buch nach dem anderen in die Hand, schaute nach den Preisen (zwei bis fünf Euro) und las hier und da eine Zeile. Nach wenigen Minuten wurden meine Knie weich und meine Kehle eng: Die Zeit rückte unerbittlich vor; ich musste zum Haus und den Makler treffen; ein interessantes Buch hatte ich nicht gefunden, aber so viele Bücher in der Hand gehabt und wieder hingelegt, dass ich es nicht über mich brachte, einfach wegzugehen.<br />
Es war unsinnig, jetzt ein Buch zu kaufen, wo ich demnächst umziehen musste und ohnehin viel zuviel Kram besaß, der mir im Weg sein würde. Zwei Minuten vor zehn, der Makler wartete sicher schon, und ich sollte seriös und zuverlässig erscheinen. Der Besitzer des Bücherstands sah mich grimmig an. Hastig legte ich ihm einen Zehner hin, nahm meine Tasche und lief mit dem Buch, das ich gerade in der Hand hatte, davon, ohne auf Wechselgeld zu warten.<br />
Das würde mir kein Glück bringen.<br />
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Ich musste nicht lange nach dem richtigen Haus suchen: Es standen bereits vier Leute davor, und als ich etwas außer Atem herankam, näherten sich noch zwei andere aus der Gegenrichtung. Misstrauisch beäugten wir einander, Konkurrenten um eine begehrte Beute: bezahlbarer Wohnraum im Zentrum einer Großstadt. Ich schaffte es gerade noch, das Buch in meine Tasche zu packen und meine Frisur etwas zurechtzustreichen, da tauchte hinter meinem Rücken der Makler auf und schüttelte jedem die Hand. Er war sehr jung, sah aus wie ein Pennäler in Nadelstreifen, hatte schwarze, perfekt geschnittene Haare und das Auftreten eines Menschen, der selbstbewusst wirken möchte, sich in seinen Erfolgen aber noch nicht ganz zu Hause fühlt.<br />
Das Haus wurde aufgeschlossen, und wir kletterten fünf Treppen hinauf. Die Wohnung lag im Dachgeschoss. Auf dem obersten Flur führte eine schmale Bodentür zu einer sehr engen Spindeltreppe, über die man direkt in das leuchtend weiß gestrichene Wohnzimmer gelangte. In den USA hätte man es vielleicht ein Penthouse genannt, hier war es einfach ein ausgebauter Speicher. Ich wusste sofort, dass auch diese Wohnung für mich nicht in Frage kam; meine schweren Möbel konnte ich nicht über diese Spindeltreppe hinaufschaffen. Es war völlig sinnlos gewesen, herzukommen. Ein bohrender Missmut über die lange Zugfahrt und den vergeudeten Tag machte sich in mir breit, und während die anderen Interessenten sich im Wohnzimmer verteilten und die beiden Dachfenster bestaunten, bemerkte ich laut, ohne jemand Bestimmten anzusprechen: »Hier wird wohl alles vermietet, was vier Wände hat?« Der Makler warf mir einen verstörten Blick zu, so dass ich mich sofort schämte; es war ja nicht seine Schuld. Um meiner Bemerkung etwas die Schärfe zu nehmen, begann ich Interesse zu heucheln und betrachtete meinerseits die Dachfenster, die groß genug waren, dass man über eine kurze Leiter aufs Dach hätte hinaussteigen können. Die Gruppe wanderte inzwischen weiter durch das Bad ins Schlafzimmer und kam gleich darauf wieder zurück.<br />
Der Makler führte die Küchenzeile vor, die edle weiße Kunststoff-Fronten hatte. Ich ging weiter in den Schlafraum. An zwei Seiten waren niedrige Einbauschränke; man hatte dazu einfach Schranktüren in die Dachschrägen gesetzt. Ich öffnete eine davon. Der Dachwinkel dahinter zog sich in dunkle Tiefen hinab, es schien Gerümpel darin zu liegen. Ich konnte nicht anders, ich musste hineinkriechen und untersuchen, was es dort gab. So bin ich schon immer gewesen. Ich durchsuche Flohmärkte und die Dachböden meiner Bekannten und rette altes Zeug, ehe es zum Müll wandert; ich betreibe so etwas wie einen Gnadenhof für Krempel. Wieder wurde meine Kehle eng: Verdammter Umzug.<br />
Ich fand einen Stapel zerfledderte Polsterkissen; die Art Kissen, die man auf Liegestühle legt. Dahinter steckte ein ganzer Stoß gerahmter Bilder – er sah vielversprechend aus, aber das Licht war zu schlecht. Ich kroch rückwärts, zerrte den Stapel mit, und plötzlich wurde mir bewusst, dass es in der Wohnung ganz still geworden war. Ich krabbelte aus dem Schrank, richtete mich auf und klopfte die staubigen Knie ab. Unter mir, irgendwo im Treppenhaus, knallte eine Tür. Die anderen waren gegangen, mitsamt dem Makler. Ich war allein in der Wohnung. Ich rannte ins Wohnzimmer und die Spindeltreppe hinunter. Die Bodentür zum Treppenabsatz war abgeschlossen.<br />
Wieder hinauf. Die Dachfenster hatte der Makler natürlich zugemacht. Ich klappte eines auf und versuchte einen Klimmzug am Fensterrahmen, um aufs Dach hinauszugelangen. Wenn ich schnell war, konnte ich mich noch zur Straße hinunter bemerkbar machen, ehe der Makler außer Hörweite war. Meine Zuversicht war ungebrochen; es würde alles klappen, gleich würde er wieder hinaufkommen, mich hinauslassen, wir würden lachen über das Missgeschick, und er hatte ganz bestimmt ein nettes Lachen über dem schicken Anzug und unter dem schön geschnittenen schwarzen Haar. Vielleicht hatte er Zeit für einen Kaffee; ich würde ihn einladen, ihm das neu gekaufte Buch zeigen und ihm erzählen, was für ein Schwachkopf ich war. Die Wohnung kam zwar nicht für mich in Frage, aber ein Kaffee wäre nett. Ich schaffte es, mich soweit aus dem Fenster zu stemmen, dass ich bäuchlings auf dem Dach zu liegen kam. Es war unverschämt hoch, geradezu unglaublich hoch. Die Straße war ein winziger heller Streifen in der Tiefe einer Schlucht. Ich piepste »hallo«, aber nur der Form halber. Der Makler und der Schwarm von Wohnungsinteressenten waren längst über alle Berge. Die Straßenschlucht lag verlassen.<br />
Mein Handy – ich rutschte ins Wohnzimmer zurück und durchsuchte meine Tasche. Das Handy steckte in einem Seitenfach. Das Display war schwarz. Akku entladen. Das war nichts Neues. Da ich das Handy nur selten benutze, achte ich meistens nicht darauf, es rechtzeitig aufzuladen. Im Wohnzimmer gab es einen Telefonanschluss, aber natürlich kein Telefon.<br />
Ich kletterte wieder die Spindeltreppe hinunter – diese verdammte Treppe, man bekam einen Drehwurm dabei – und wummerte mit den Fäusten gegen die Tür. »Hallo! Hallo!« Nichts rührte sich. Das Obergeschoss stand leer, oder es war niemand zu Hause.<br />
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Ein paar Minuten lang suchte ich nach einem Ausweg. Das Badezimmer hatte ein winziges Milchglasfenster in einer Gaube. Das Fenster im Schlafzimmer war größer, aber vergittert. Ich saß fest in dieser Wohnung, die etwas von einem Mastkorb hatte. Leere weiße Wände strahlten mich an. Selbst bei geschlossenen Fenstern hörte ich die Schreie der Mauersegler. Wenn ich ganz still stand, meinte ich die ganze Behausung im Wind schwanken zu fühlen.<br />
Mein Blick fiel auf die offene Schranktür. Da lagen die Bilder.<br />
Ich zog den Stapel aus dem Schrank. Das oberste Bild war so eingestaubt, dass ich es mit spitzen Fingern weglegte. Darunter lag eine sehr dunkle Reproduktion von Rembrandts Mann mit dem Goldhelm. Zwei leere Rahmen folgten, beide etwas aus dem Leim gegangen. Ganz unten im Stapel lag ein großes Porträt. Es reichte mir fast bis zur Hüfte. Ich lehnte es an die Wand, um es mit Abstand betrachten zu können. Die dargestellte alte Frau füllte den Rahmen fast ganz aus. Sie saß sehr aufrecht auf einem einfachen Stuhl und blickte mich streng an. Das Bild hatte einen breiten Goldrahmen und nahm sich vor der weißen Wand gut aus.<br />
Ich überlegte ein paar Minuten, ob die Alte und ich Freundinnen werden könnten; ich setzte mich sogar ihr gegenüber auf den Boden und fragte: »Was meinen Sie? Was soll ich tun?« Aber ihre Miene wurde nur noch abweisender. Wahrscheinlich war sie der Meinung, ich hätte mich gar nicht erst in diese Lage bringen dürfen. »Es ist nun mal passiert!«, rechtfertigte ich mich. »Es tut mir ja leid, aber das hilft doch jetzt nichts mehr! Was soll ich machen?« Sie hielt die Hände ineinandergelegt. Die Hände waren recht groß, gerötet und verkrümmt, als seien sie ans Zugreifen gewöhnt. Jetzt umfassten sie einander und hielten still.<br />
<br />
<small>(Teil II folgt)</small>
schmollfisch
fischgrund
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2012-11-06T22:53:00Z
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Krimilesen
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Ich glaube, ich habe noch nie in derartigem Tempo Krimis verschlungen wie jetzt gerade. Der Grund dafür ist, dass ich sie mir umsonst per Onleihe auf den Reader lade. Das ist die Gelegenheit, ein paar Krimis zu lesen, die mich an sich schon ein wenig interessieren, die ich mir aber aus unterschiedlichen Gründen nicht kaufen wollte. Unterschiedliche Gründe bedeutet in der Regel: Es handelt sich um einen Autoren / eine Autorin, den oder die ich mal gemocht habe, von dem oder der ich aber das Gefühl habe, dass er oder sie eindeutig abfällt. <br />
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Kandidaten für diese Rolle sind Sabine Thiesler und Mo Hayder, an denen (beiden) mich mal ihre Fähigkeit, Hexenhäuser und verwunschene Schauplätze zu schildern, gefesselt hat - ganz unabhängig von ihren Plots, die bei beiden von jeher recht durchwachsen sind. Über Sabine Thiesler habe ich ja <a href="http://schmollfisch.twoday.net/stories/4274656/">irgendwo</a> schon mal geschrieben. Mo Hayders letztes von mir gelesenes Verbrechen besteht aus dem folgenden Absatz. (Dazu sei erwähnt, dass er das Finale des Romans einleitet; es geht um die Verfolgung eines Entführers mehrerer kleiner Kinder, und man weiß nicht, wo er sie hingebracht hat und ob sie noch leben.)<br />
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Ein Hubschrauber der Luftüberwachung knatterte über ihnen. Turner zog die Handbremse an und drehte sich mit ernstem Gesicht zu Caffery. „Boss. Am Ende eines Tages macht meine Frau immer das Abendessen für mich. Wir setzen und hin, öffnen eine Flasche Wein, und dann fragt sie mich, was in der Arbeit so passiert ist. Was ich jetzt wissen möchte, ist: Werde ich es ihr erzählen können?“<br />
Caffery spähte durch die Frontscheibe in den Nachmittagshimmel, der an die Wipfel des Waldes stieß, und beobachtete den Heckmotor des Hubschraubers. Die Entfernung zwischen dem Parkplatz und den Bäumen betrug ungefähr fünfzig Meter. Man sah die verschwommene weiße Linie des inneren Absperrbandes, das sich träge im Wind hob. „Ich glaube nicht, Kollege“, sagte er leise, „dass sie hiervon etwas wissen will.“<br />
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<i>Mo Hayder, Verderbnis</i><br />
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Schlimmer gehts nimmer. Eine der Kritikerinnen bei Amazon verriss eine Szene, in der - kurz hinter dem hier zitierten Absatz - eine bewusstlose Polizistin Mr. Caffery per Telepathie mitteilt, wo er die vermissten Kinder suchen muss. Ich fand die Szene schlimm, aber nicht so schlimm wie die oben zitierte. Würde es nicht regnen, wäre garantiert noch erwähnt, dass Turner, bevor er sich mit dem einleitenden "Boss" seinem Boss zuwendet, die Sonnenbrille vom bärtig-zerfurchten Gesicht nimmt, um direkt in Cafferys stahlblaue, von dunklen Ringen der Erschöpfung umgebene Augen blicken zu können. Oder so. <br />
<br />
Aus einem Krimi einer mir bislang völlig unbekannten Autorin habe ich die folgende Szene entnommen, die m.E. illustriert, wie mit den Mitteln des Krimis der Phantasie des Lesers Räume geöffnet werden können. Das gilt hier auch ganz buchstäblich, weil es um einen speziellen Raum geht. Eine in einem Vergnügungspark malochende Putzfrau findet im Spiegelkabinett bei der nächtlichen Putzrunde eine Leiche. <br />
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<<<br />
Gott sei Dank habe ich Gummihandschuhe an, denkt sie unsinnigerweise. Sie hat hier seit drei Jahren jeden Abend sauber gemacht, aber so vorsichtig sie auch ist, ihre Fingerabdrücke werden überall sein. Ganz zu schweigen von den Abdrücken, die die Hälfte der Besucher, die seit gestern Nacht hier gewesen sind, hinterlassen haben. Man versucht zwar, die Schmierspuren einzudämmen, indem am Eingang Einmalhandschuhe verteilt werden, aber man kann die Leute natürlich nicht zwingen, sie auch zu tragen (…). <br />
Der Ort bereitet jedem Unbehagen: Jeder befürchtet, sich zu verirren und nie wieder hinauszufinden, oder dass Geister in den Spiegeln wohnen. Allzu häufig wurde die Arbeit, die eine fast autistische Akribie abverlangt, nur hastig oder schlampig erledigt, so dass Abdrücke zurückblieben; doch an einem Ort wie diesem wird ein einziger Schmutzfleck unendliche Male vervielfältigt, und der ursprüngliche ist nur schwer aufzuspüren, wenn man sich nicht Fingerabdruck für Fingerabdruck, Glas für Glas vorarbeitet. <br />
>> <br />
<i>Alex Marwood, Im Schatten der Lüge</i><br />
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Ich habe das Buch noch nicht ausgelesen; es ist wohl nichts Besonderes, eben ein Krimi und auf die konventionellen Mittel des Krimis beschränkt. Aber es nutzt eben diese konventionellen Mittel, dem Leser neue Räume zu öffnen, den Blick zu weiten, ohne Hochliteratur sein zu wollen.<br />
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Da ich ohnehin viel zu viele Bücher habe, die sich sturzbachartig über das ganze Haus verteilen, bin ich dankbar um den Reader. Der neue Zafon, den ich nichtsdestotrotz unbedingt in Papierform in der Hand halten möchte, ist heute eingetroffen.
schmollfisch
schmollfisch liest
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2012-10-31T22:51:00Z
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Aufnahme
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Ich saß in der ersten Reihe, vor mir nur noch der Prüfer. Schreiben Sie einen Aufsatz über falsche Freunde, wies er uns an und nannte Beispiele: David (meinte er den biblischen? Ich traute mich nicht zu fragen), einen berühmten Tennisspieler, Michael Jackson.<br />
Es ist nicht entscheidend. Aber Sie können Ihre Situation verbessern.<br />
Ich wollte anfangen, hatte aber kein Schreibpapier. In meiner Mappe nur Haftzettel, winzige Abrisse wie für Einkaufslisten, herausgerissene Buchseiten, Lochkarten mit merkwürdigen Schlitzen wie Messerschnitte.<br />
Können Sie mir etwas Papier geben?, fragte ich. Er schaute mit einem Auge von seiner Zeitung auf: Warum sollte ich das tun?<br />
Ich suchte weiter in meiner Mappe, probierte ein paar trockene Schluchzer, in der Hoffnung, ihn zu erweichen. Hinter mir standen einige andere Kandidaten auf, kamen nach vorne und gaben ihre Aufsätze ab. Ich nahm ein Blatt Karopapier, mit Rechnungen und Diagrammen bekritzelt. Oben war noch etwas Platz. Ich schrieb drei Zeilen, dann war die Zeit um.
schmollfisch
fischgrund
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2012-10-08T20:07:00Z
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