Die Hand Teil II

(Teil I hier)



„Wie bitte?“, fragte ich entgeistert. Zu spät, er war bereits an der Tür, rief seiner Empfangsdame etwas zu und hastete ins Nebenzimmer.
Was hatte er da gesagt? Ich trat Hilfe suchend vor den Tresen, hinter dem die Empfangsdame saß. Doch die hatte einen Telefonhörer am Ohr und die Hände mit langen spitzen Fingernägeln auf der Tastatur eines Computers. Vielleicht würde ich auf den Informationszetteln zu den Medikamenten Näheres erfahren. Hoffnungsvoll ging ich zum Apotheker. Der Apotheker besah stirnrunzelnd mein Rezept, murmelte „ts, ts, ts“ und verschwand in den hinteren Gefilden seines Geschäfts. Minuten später kam er zurück mit zwei braunen Fläschchen, auf denen handgeschriebene Etiketten klebten. „Zweimal täglich, morgens und abends“, verkündete er und zückte ein Zellophantütchen.
Zu Hause fand ich in dem Tütchen außer den Flaschen noch zwei Apothekerzeitschriften mit Wissenswertem über Thalassotherapie und Mütter-Kind-Kuren, außerdem ein Probepäckchen Nasenspray und ein Röllchen Traubenzuckerbonbons. Ich hatte auf Waschzettel zu den Nicotinamiden und Fulminaten gehofft, aber so viel Glück hatte ich nicht. Und noch immer war mir nicht klar, was ich von meiner Hand zu erwarten hatte. Wie hatte der Arzt es noch genannt? Epidemisch? Chromatisch? Charismatisch?
Vielleicht würde die Erinnerung wiederkommen, wenn ich ein paar Medizinratgeber durchblätterte? Ich verbrachte einen Abend mit meinen populärmedizinischen Büchern und bildete mir nacheinander vierzehn verschiedene Krankheiten ein. Was mit meiner Hand los war, stand nicht drin, oder ich fand das richtige Stichwort nicht.
Normalerweise brauche ich die linke Hand nicht oft. Eigentlich nur, um morgens das Deo unter die rechte Achsel zu platzieren, zu schälende Kartoffeln festzuhalten und an den Nägeln zu kauen, wenn ich mit der Rechten in einem spannenden Krimi blättere. All das ist ja keine Kunst. Beim Klavierspielen passte ich jetzt aber genau auf. Es stimmte, die Linke wollte überhaupt nicht mehr, die Fehler häuften sich. In der Rechten auch, nebenbei bemerkt, aber das war wohl mehr psychologisch.
Meine Freundin Ulrike rief an und wollte wissen, wie der Arztbesuch verlaufen sei. Ich erzählte ihr von den Untersuchungen, von den Tropfen, die ich natürlich immer peinlich korrekt einnahm, und dass ich nichts Schweres tragen durfte. „Ich komme dich besuchen und bringe Kuchen mit“, versprach sie. Vielleicht traute sie mir nicht zu, eine Platte Kuchen zu tragen.
Zwei Tage später stand sie vor der Tür mit vier Stücken Bienenstich und einer großen braunen Mappe. Ich bat sie herein und kochte Kaffee. Das Klavier hatte ich wohlweislich zugeklappt und überdies alle Notenhefte beiseite geräumt. Ich merkte, dass sie ein paar Mal zu dem Instrument hin schielte, das mit geschlossenem Deckel steril und freudlos dreinschaute.
Als die Kuchenplatte geleert war, packte sie die braune Mappe auf den Tisch und kündigte an: “Ich habe dir was mitgebracht.“ Vor meine staunenden Augen stapelte sie vier dicke Notenhefte. „Hier, damit du mal eine Abwechslung hast von all dieser modernen Musik, nicht wahr.“
Ich griff nach dem obersten Heft und war sprachlos. Es trug den Titel: „Leichte Klavierstücke nach Guido von Arezzo“. Die Noten sahen recht übersichtlich aus; jede Notenzeile enthielt sechs bis acht Noten, viele lange Pausen und Spielhinweise wie „mit dem Ellbogen anschlagen.“

Inzwischen ist meine linke Hand völlig guidonisch geworden. Aber meine kleine Nichte hat mir neulich gezeigt, wie man den Flohwalzer mit geschlossenen Fäusten spielen kann. Es gibt übrigens neuerdings auch Klavierstücke, für die man die Hände gar nicht mehr braucht. Man legt einfach die Unterarme auf die Klaviatur.

Blubbern als Kunst!

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