quilting bee

Cora, again

Wie soll man das nennen? Magie, oder Flow? Eins ist sicher: Noch nie hat Cora so viel und so schnell gelesen. Am achten Tag ihres Aufenthalts hat sie schon fünf dicke Bücher verschlungen. Sie hat sich einen Zeitplan angewöhnt: Vormittags hat das Café geschlossen; Cora frühstückt in ihrem Apartment auf der Terrasse und hört dem Donnern des Meeres zu, geht danach Brot und Wasser kaufen und macht und einen Spaziergang; zweimal rafft sie sich zu einer längeren Wanderung auf, aber der Höhepunkt des Tages ist der Besuch im Lesecafé. Es ist immer ein Stuhl für sie frei. Das Publikum wechselt; manchmal steht noch ein vierter Tisch da, der (gleichfalls wohl durch Magie) noch in dem winzigen Hof Platz findet; manchmal sitzen bis zu sieben Leute da – irgendwie reicht es immer für alle, das ist geradezu biblisch. Und immer ist noch ein Stuhl frei für Cora. Sie nimmt jeden Tag ein neues Buch. Es kann noch so dick sein, bis zum Abend hat sie es durch. Am zweiten Tag liest sie „Der Schatten des Windes“ von Zafon. Der traurig dreinblickende Keller bringt ihr eine Halbliterflasche Rotwein und ein Holzbrettchen mit knusprigem Brot, Serranoschinken und karamelisierten Zwiebeln, auf Holzspieße gesteckt – köstlich. Am dritten Tag greift sich Cora, die bei der Buchwahl noch immer nicht richtig hinsieht, einen Roman von Jane Austen und bekommt dazu einen Teller Ingwerkekse und eine Kanne mit erlesenem Tee von orangeroter Tönung. Am vierten Tag sucht Cora ihr Buch endlich gezielt aus und tut prompt einen Fehlgriff – der Autor ist ein deutscher Krimischreiber, der Krimi ein unlogisches Gestotter, und zu essen gibt es eine Riesenschüssel Kartoffelchips. Cora lässt beides halb bewältigt stehen und nimmt sich vor, die Auswahl am nächsten Tag wieder dem bewährten Zufall zu überlassen.
Der Zufall schenkt ihr den „Mantel“ von Gogol, und Cora bibbert beim Lesen auf ihrem Stuhl, schlürft die heiße Rassolnik-Suppe vom Löffel und isst Kartoffelbrot dazu. Die Suppe wärmt so angenehm – sie friert tatsächlich, so ohne Mantel! Am Morgen darauf hat sie zum ersten Mal das Gefühl, vielleicht doch nicht ganz das Richtige zu tun. Während sie auf ihrem Balkon frühstückt, kommt ihr das Meer lauter vor als je zuvor, und ein paarmal kommen vereinzelte Gischtspritzer über das Geländer geflogen. Der Kaffee schmeckt unangenehm – irgendwie nach Salz.

Das Elternhaus

Seit er von seiner Krankheit wusste, war er überzeugt gewesen, er werde früher sterben als sein Bruder, viel früher; vielleicht sogar früher als seine Eltern. Dass er nun als Letzter übrigblieb, kam ihm wie ein schlechter Streich vor – als hätte man ihm die Rolle, die zu spielen er gewohnt war, weggenommen und ihm eine völlig neue gegeben, die er nicht beherrschte. Nun hatte er das Haus nehmen müssen und mit dem Haus den Hund.

Der Mann setzte sich mit seiner Kaffeetasse auf das schäbige Sofa und schaute durch den Glaseinsatz der Hintertür auf den Garten hinaus. Der Hund war jetzt verstummt, war in die Hocke gegangen und kackte ins Gras, den Blick gemütsruhig in den Himmel gerichtet, als sei nichts.

Möbelhaus

Cora steht ratlos inmitten von eierschalen- und haferbreifarbenen Polstersofas, quittegelben Nierentischen und Ledersesseln, die aussehen, als seien sie aus Nashornhaut gemacht. Sie braucht gar keine Möbel; sie ist nur wegen eines Gutscheins über fünfzig Euro hier, der in ihrer Weihnachtspost war. Dass sie den Gutschein nicht loswird, ist ihr auf den ersten Blick klar: Was es hier zu kaufen gibt, würde sie nicht mal geschenkt haben wollen. Das einzig Interessante sind die Bücher. Auf allen Regalen stehen welche, meistens drei oder vier Exemplare derselben Ausgabe, damit es nicht zu unruhig aussieht, und links und rechts von tönernen Katzen oder Glasvasen flankiert. Cora kennt die Gattung „gemeine Möbelhausbücher“. Man kann sie nicht aufschlagen, da entweder die Seiten zusammenkleben oder das Buch gar keine Seiten hat, sondern einfach zusammengefaltet ist wie eine Pillenschachtel, ein Buch-Fake. Die Bücher, die hier stehen, sind hingegen echt. Sie sind so echt, dass Cora sich in einem der Nashornhautsessel niederlässt und zu blättern anfängt. Irgendwas kann mit diesen Büchern ja nicht stimmen, sonst stünden sie nicht in einem Möbelhaus.

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Cora wieder aktiv ... und ihre Schöpferin freut sich dessen.

Habe ich schon erwähnt, dass die Lesung in Freiberg wunderschön war?
Ich danke allen, die dabei waren, es hat selten so viel Spaß gemacht wie dort!

Geisterjäger - Protokoll

Es ist das erste Haus links neben der Kirche.
Ein altes Gemäuer, aus den Fünfzigern ungefähr, schätzt er. Es ist grau verputzt und hat einen verklinkerten Sockel. An der Seite hängt ein kleiner Küchengarten, der völlig zugewuchert ist mit Brombeerranken und einem mannshoch gewachsenen Zeug, das dicke stachlige Stengel hat und bedrohlich aussieht. Herkulessträucher.
Es steht seit zwei Jahren leer, aber die Nachbarin hat die Schlüssel. Ich rufe an und sage Bescheid, dass Du das Haus sehen möchtest, dann wird sie dir aufschließen. Du kannst bleiben, solange du willst. Es sind allerdings keine Möbel da, und Strom und Wasser sind abgestellt.
Nach hinten hinaus ist ein unverputzter Giebel, der sich gefährlich seitwärts lehnt; wahrscheinlich ein unfachmännisch ausgeführter nachträglicher Anbau.
Die Nachbarin, die die Schlüssel hat, ist eine große, grobknochige Person mit einer merkwürdigen Narbe an der Schläfe – der Kopf sieht aus wie eingedellt. Er registriert das am Rande; es könnte vielleicht mal wichtig werden. Erst mal lässt er sich die Haustür aufschließen und ist dankbar, dass die Nachbarin sofort wieder verschwindet. Eigentlich auffallend schnell, aber auch das registriert er nur am Rand.
Ich lag im Bett, mein Vater hinter mir. Er schlief weiter. Ich wurde wach, weil etwas Großes herein gekommen war. Mein Vater schlief weiter.
Hinter der Haustür zieht sich links ein helles Treppenhaus nach oben, mit einer geschlossenen Holztreppe, wie sie heute kein Mensch mehr baut. Durch ein Oberlichtfenster fällt trübe Helligkeit auf die oberen Stufen. Staubflusen tanzen in der Luft. Er geht nicht die Treppe hinauf, sondern wendet sich nach rechts zu der (offen stehenden) Flurtür. Hier beginnt der wacklige Anbau. Jemand, der fand, dass alle Zimmer zu klein seien, hat einen Durchbruch geschaffen und zusätzliche Türstürze eingebaut. Man erkennt noch die alten Außenwände. Die Räume sind unmöbliert, aber er findet ein Bild an der Wand, einfach ohne Rahmen auf die verblichene Tapete geklebt. Offenbar aus einem Monatskalender gerissen; die Perforationslinie am oberen Rand ist noch zu erkennen. Ein Schaf, das vor einer Pfütze steht und sein Spiegelbild anschaut.
Hier beginnt die ungute Seite des Hauses. Er fotografiert das blöde Schaf, die zerschrammten Bodendielen, die schief in den Angeln hängende Tür in den hinteren Raum, die Zimmerdecke, von der Spinnweben baumeln.
Ich habe vesucht, eine Zeichnung davon zu machen, wie ich es damals gesehen habe. Ich weiß, dass es so nicht stimmen kann, aber ich habe es so gesehen. Es stieß mit dem Kopf an die Zimmerdecke, es streckte die Zunge heraus und leckte an der Decke. Mein Vater lag hinter mir. Er schnarchte. Ich habe mich nicht getraut.

Der Hirschkäfer

Eines Tages hat sie Eckart von dem Hirschkäfer erzählt. Es war in einem Café in Rennes. Eckart hatte sich die Burg angesehen und fotografiert. Ulla traf ihn danach draußen; sie hatten sich per SMS verabredet. Während sie die kopfsteingepflasterte Gasse stadteinwärts gingen, warf Eckart Blicke nach links und rechts und verkündete schließlich, dies sei eine echte Aufblasgasse. »Bei uns an der Küste in Katalonien«, erklärte er ernsthaft, »gibt es viele Ortschaften, wo man Probleme hat, bloß ein Kotelett fürs Mittagessen einzukaufen. Aber aufgeblasene Krokodile und Delfine kriegt man an jeder Straßenecke angeboten. Das nenne ich einen Aufblasort.«
»Und warum leben Sie da, wenn es so ätzend ist?«, lachte Ulla.
»Warum? Nun ja, man kann dort gut malen. Und Bilder verkaufen. Ich sollte nicht lästern. Die gleichen Leute, die aufgeblasene Schildkröten haben wollen, kaufen meine Bilder.«
Er wollte unbedingt, dass sie sich mit ihm in ein Café setzte und seine Fotos auf dem Display der Kamera anschaute. Währenddessen bestellte er Kaffee mit Calvados und fragte, warum sie selbst keine Bilder mache.
»Ich lebe ja hier, ich brauche das nicht«, sagte sie scherzhaft und betrachtete das Foto eines Burgturms, der – vermutlich riesengroß – in den Himmel ragte, auf dem winzigen Bildschirm absurd verkleinert. »Wissen Sie, die Dinge, die mich interessieren, kriege ich sowieso nie angemessen fotografiert. Vor ein paar Wochen bin ich im Wald bei Paimpont mit ein paar Freunden zum Picknick gewesen. Stellen Sie sich vor, wir gingen einen Waldweg entlang mit unserem ganzen Kram, Körben und Taschen, und plötzlich sagte jemand: ‚Bleibt mal stehen, hier ist ein Hirschkäfer.’ So einen großen Hirschkäfer habe ich noch nie gesehen. Er war bestimmt sieben Zentimeter lang. Wir stellten alle unser Zeug ab und beugten uns hinunter, weil meine Freundin meinte, dass wir ihm wegsetzen sollten, damit er nicht totgetreten wird.« Sie hatte zu dem kleinen runden Cafétisch hingeredet; als sie aufschaute, sah sie Eckarts Augen ernst auf sich ruhen.
»Wir standen zu fünft um ihn herum und beugten uns hinunter, und in diesem Augenblick hob er sein Geweih und …«, sie hob zwei Finger gekrümmt in die Luft, »er machte eine Zangenbewegung damit, als wolle er etwas packen. Diesen Augenblick hätte ich gerne festgehalten. Aber wie soll man so etwas machen? Einfach den Käfer fotografieren drückt es nicht richtig aus. Man müsste sich auf die Ebene des Käfers begeben, ganz nach unten auf den Waldboden gehen, und die riesigen Füße zeigen und die Beine, die bis in den Himmel hinaufragen. Er wollte gegen uns kämpfen. Das muss man sich mal vorstellen.« Lachend schüttelte sie den Kopf.
»Sie sind Malerin«, sagte Eckart unbeholfen, »Sie sollten unbedingt malen, Sie haben das Zeug dazu!«
»Ach was«, winkte Ulla ab, und beinahe hätte sie hinzugefügt, dass sie einen Haufen Möchtegernkünstler kannte, die schmerzhaft langweilig immer dieselben Landschaften malten wie ein Fotokopierer.

Wichteln ...

»Felix? Kommst du?«
»Sofort.« Er blickte in den Spiegel über dem Waschbecken. Rückte die Krawatte zurecht. Suchte in den Jackentaschen nach einem Kamm. Blass leuchtete sein Spiegelbild vor dem weißen Hintergrund des Waschraums. An der Tür stand Walter, die Klinke in der Hand. »Geh nur schon vor«, sagte Felix, aber Walter dachte gar nicht daran, sondern kam sogar noch einmal zurück und klopfte ihn auf die Schulter. »Nervös?«
»Nein ... Ein bisschen vielleicht.«
»Das wird schon, wir sind gut«, sagte Walter, musterte sich nun auch im Spiegel, rückte eine graue Locke zurecht und nickte selbstzufrieden. Mein Gott, nun hau schon ab … Felix drehte den Hahn auf und strich sich Wasser ins Haar.
»Du fummelst an dir herum wie eine Diva!«, grinste Walter.
»Mach endlich, dass du rauskommst. Ich komme sofort nach!«
Walter zwinkerte im Spiegel. »Bitte, ich will nicht länger stören, zieh dir in Ruhe die Lippen nach oder föne die Augenbrauen. Aber beeil dich!«
Hinter ihm fiel die Tür zu.
Blöder Kerl. Das Päckchen in der Jackentasche. Felix tastete danach und ging zur Tür, um einen Blick in den Probenraum zu werfen. Durcheinander: Mäntel, Schals und Taschen waren kreuz und quer über Tische und Stühle geworfen, Wasserflaschen und Thermoskannen standen herum, wo noch jemand schnell einen belebenden Schluck genommen hatte. Die Luft war stickig. Kein Mensch zu sehen.
Ungemütlich sah es nicht aus. Nur nach intensiver Vorbereitung, Probenstress und Lampenfieber – wie immer.
Schnell das Päckchen loswerden. Felix ging hastig die Tische ab, durchwühlte die Kleidungsstücke und suchte nach Claras dunklem Wollmantel. Eine gefleckte Plüschjacke kam ihn in die Finger. Fetziges Ozelotmuster – die gehörte Bettina. Das Innenfutter roch nach Moschus. Ein wilder Duft. Wenn er für Bettina ein Päckchen hätte packen dürfen, dann mit einer Flasche dieses wilden Parfüms. Er hatte keine Ahnung, wie es hieß, aber den Duft würde er unter Hunderten herauskennen. Er stellte sich vor, wie er durch die Parfümerieabteilungen der Kaufhäuser lief und sich Duftproben an alle zehn Finger sprühen ließ, bis er das richtige gefunden hatte. Für Bettina hätte er das gern getan.
Bettina würde das Fläschchen bei ihren Freundinnen herumzeigen, aufgeregt mit ihnen tuscheln und erörtern, von wem das wohl stammte. Für ihn kam es dann darauf an, den richtigen Moment abzupassen und sich richtig zu geben, locker und souverän …Er würde nach einem Auftritt im Gedränge des Probenraums, wenn alle ihre Mäntel wieder anzogen, Bettinas Hand ergreifen, an ihrem Puls schnuppern – und eine Bemerkung über diesen Duft machen: Ah, riecht das wild. Dann hätte sie Stoff zum Nachdenken!
Aber hat sich was! Er hatte nicht Bettina zu beschenken, sondern Clara. Clara war über sechzig und hatte eine strenge, gut geführte Altstimme. Er hatte ein Paket Kräuterbonbons eingepackt und eine kleine Clownspuppe für die Sofaecke – etwas Besseres war ihm nicht eingefallen.
Seine eigene Fliegerjacke lag neben Bettinas Ozelotplüsch. Eine Tasche war ausgebeult. Diese blöde Wichtelsitte! Nun hatte ihm da auch jemand was hineingestopft, während er im Waschraum war vermutlich. Felix zog das Päckchen heraus – da konnte nicht viel drin sein, es war kaum größer als ein Seifenstück.
Ein Klopfen an der Tür. Er machte einen Satz vor Schreck. »Was ist?« Kraftlos brach sich seine Stimme an der niedrigen Decke. Wie, zum Teufel, sollte er mit dieser Stimme singen?
Von draußen erwiderte ein Bass: »Du sollst machen, dass du hoch kommst! Wir sind gleich dran.«
»Sofort, ich muss noch mein Wichtelpaket unterbringen«, rief er zurück und schob sich das Seifenstückpäckchen in die Hosentasche. Neben der Tür lag Claras Wollmantel auf einer Stuhllehne, jetzt sah er ihn – er stürzte hin und stopfte Kräuterbonbons und Clownpuppe blindlings hinein.

Gespräch mit dem Wind, Teil II

(Teil I hier)

Diesmal hatte sie nicht vom Wind geträumt. Eigentlich hatte sie noch gar nicht geträumt. Sie war gerade erst in Halbschlaf gesunken, ihr Buch noch in der Hand. Aus ihren schlaffen Fingern gerutscht, lag es halb auf dem Kopfkissen – ein Krimi, ein blutrünstiger noch dazu. Sie sollte sich schämen, so etwas zu lesen.
Das Telefon klingelte.
Automatischer Blick auf die Uhr: halb zwölf. Was solls, dachte Angela, sie hatte ja noch gar nicht richtig geschlafen. Sie tappte in den Flur und nahm den Hörer ab.
Noch ehe sie sich gemeldet hatte, drang Wiebkes tiefe Stimme aus dem Hörer – sie hörte sich beinahe wie ein Mann an. „Du, ich bin gerade erst aus der Klinik zurück …“ – Pause – „ich habe das Motorrad verschrotten lassen. Meinst du, das war richtig?“
Immer kam sie mit solchen Fragen. Ob sie Joachims Internetfreunden Bescheid sagen solle und wenn ja, in welcher Form; ob sie den DSL-Anschluss kündigen solle, ob sie diesen oder jenen Freund an Joachims Bett lassen solle. Joachim lag seit fast vier Wochen im Koma. Die Ärzte waren ehrlich und direkt: Ob und wann er aufwachen würde, wusste niemand.
„Das Motorrad war doch eh kaputt“, sagte Angela, die um diese Uhrzeit auch keine Lust auf Beschwichtigungen hatte. Selbst wenn Joachim aufwachte, würde er kaum je wieder Motorrad fahren.
„Betest du für uns?“, fragte Wiebke. Angela spürte die Verzweiflung hinter dem sachlichen Tonfall. „Ja, jeden Tag“, antwortete sie. „Wir beten alle für euch – auch im Familientreff – und in der Kinderlehre.“
„Du sollst den Kindern keine Angst machen.“
„Die Kinder wollten es so.“ Die meisten Kinder im Ort kannten Wiebke; sie hatte lange Zeit im Kiosk neben der Grundschule Süßigkeiten verkauft.
Wiebke atmete mehrmals ein und aus. „Angela – ich wüsste nicht, was ich ohne dich – also, du hilfst mir sehr. Danke dir. Ich glaube, ich kann jetzt schlafen gehen.“
Ich habe doch nur zwei Sätze gesagt, dachte Angela und lächelte ins Telefon. „Schlaf gut, Wiebke“, sagte sie und merkte, dass ihrer Stimme das Lächeln anzuhören war. „Ich gehe auch schlafen.“
„Kommst du wieder in die Klinik?“
„Morgen … ich werde es versuchen.“
„Nein, nicht morgen.“ Wiebke lachte nervös. „Du musst auch mal einen Tag für dich haben. Ich rufe dich ja schon dauernd an.“ Sie legte auf, ehe Angela antworten konnte.
Langsam legte Angela den Hörer zurück. Sekundenlang dachte sie an Joachim, der in seinem weißen Bett lag, Kopf und Brust von Verbänden umwickelt – neben ihm seufzte das Beatmungsgerät. Dann dachte sie an Wiebke. Es war kein Gebet, sie richtete nur all ihre Gedanken mit aller Kraft auf die Freundin. Das Telefon klingelte erneut.
Sie riss den Hörer ans Ohr. „Ist was passiert?“
„So schnell heute nacht?“ Die Männerstimme lachte.
„Hören Sie“, rief Angela. Die Wut schoss durch ihren Körper wie ein Wasserstrahl, der schwallartig aus dem Hahn platzt. „Sie sind hier falsch, rufen Sie mich nicht dauernd an!“
„Oh.“ Er kicherte. „Wieder verkehrt. Das tut mir wahnsinnig leid. Aber diesmal habe ich Sie nicht geweckt, oder?“
„Nein, haben Sie nicht. Gute Nacht.“
„Sie klingen so gestresst. Ein bisschen Abwechslung täte Ihnen vielleicht auch ganz gut. Ist nett gemeint“, lenkte er rasch ein, „nur ein Ratschlag … gute Nacht, und grüßen Sie Ihren Boss.“

(wird fortgesetzt, sobald der Herr wieder anruft ;-))

Gespräch mit dem Wind

Sie hatte gerade begonnen, sich mit dem Wind zu unterhalten. Der Wind war ein kleiner Mann in einem dunklen Anzug mit schwarzer Krawatte. Er reichte Angela bis zur Schulter.
Sie stand barfuß auf einer besonnten Waldwiese, und der Wind atmete sie leise und warm an. Sie beugte sich zu ihm herunter. Dann kam etwas Störendes dazwischen. Es klang wie das Klappern einer Kinderrassel.
„Bist du das?“, fragte sie den Wind. „Würdest du bitte damit aufhören?“ Langsam wich er zurück und löste sich mitsamt der Waldwiese auf. Angela rollte sich mühsam herum. Der Wecker leuchtete ihr die Uhrzeit entgegen: kurz nach eins. Das Telefon klingelte.
Sie rappelte sich auf, schob die nackten Füße in die Pantoffeln und schlurfte zur Tür. Um diese Zeit konnte es nur ein Notfall sein. Vielleicht Wiebke – Angela hatte sie ermuntert, jederzeit anzurufen, wenn sie Zuspruch brauchte, egal um welche Zeit. Heute war Donnerstag oder vielmehr Freitag früh, und Wiebke hatte frei und war bestimmt den halben Tag bei ihrem Mann in der Klinik gewesen. Und jetzt wahrscheinlich überwach und verzweifelt.
Im Bad tropfte ein Wasserhahn. Wie der Tropf an Wiebkes Mann, dachte Angela stumpfsinnig und griff nach dem Telefon. „An – ge – la“, sagte sie gähnend.
Aus dem Hörer klang das leise Lachen einer Männerstimme. „Was ist denn los? Wie sieht der Plan heute aus, kann ich noch vorbeikommen? Hast du Zeit?“
„Wo ist denn Wiebke?“, fragte Angela. Dann kam sie zu sich. „Wer sind Sie? Wen wollen Sie denn sprechen?“
Die Männerstimme wurde geschäftsmäßig. „Habe ich mich vielleicht verwählt? Bin ich nicht richtig bei Nummer ...“ Er legte los und zählte eine lange Nummer auf. Angela kratzte sich am Kopf. Es war fast ihre eigene Nummer. Sie klang ähnlich. Aber nicht gleich.
So ein Idiot! „Sie haben die Falsche“, sagte sie kühl. „Passen Sie nächstes Mal gefälligst besser auf. Gute Nacht.“
„Wieso gehen Sie den überhaupt mitten in der Nacht ans Telefon, wenn Sie nicht gestört sein wollen?“
So frech konnte auch nur ein Mann sein. „Ich bin Pfarrerin. Ich bin jederzeit für Notfälle erreichbar, auch mitten in der Nacht. Aber Ihnen scheint ja nichts zu fehlen. Also dann – -.“
„Gnädigste, ich bin ein Notfall.“ Er lachte wieder. „Aber dafür sind Sie nicht zuständig, das sehe ich ein. Also gute Nacht, und grüßen Sie Ihren Boss von mir.“
Klick.
Wütend knallte sie den Hörer auf. Arschloch, sagte sie sich genüsslich im stillen. Es hörte ja keiner. Im Flur zog es, ihre Beine waren scheußlich kalt geworden. Sicher war eines der Fenster nicht richtig zu.
Sie kroch wieder ins Bett und zog sich entmutigt die Decke über den Kopf. Jetzt war sie hellwach. Und vielleicht rief Wiebke an, wenn sie gerade wieder eingeduselt war.
Ihre Gedanken drifteten nach allen Richtungen auseinander. „Wie sieht dein Plan heute aus?“, hatte er gefragt. Was sollte das denn heißen, mitten in der Nacht?
Morgen musste sie wieder einmal in die Klinik. Vormittags sollte sie ein wenig Klavier üben; nächste Woche würde sie bei einem musikalischen Abend im Gemeindesaal mitwirken. In Gedanken machte sie sich eine Notiz: den Flügel stimmen lassen. Das würde sie zwar aus eigener Tasche bezahlen müssen, aber das Stück, das sie spielen wollte, war es wert. Eine Folge aufsteigender Arpeggien, leicht und luftig wie ein Windhauch. Der Wind ...

Dieser Text ist Teil eines Zombies.

Sollte ich den wiederbeleben?
Sollte aber doch noch mal drübergehen ... zu viele Nebensätze.

Achtung - die Geschichte ist wahr!

Melissa und ihre Mieter

(...)
Unter ihr knallte die Haustür. Rasch trat Melissa ans Fenster und spitzte an dem halb zugezogenen Vorhang vorbei. Richtig, die Mieter verließen das Haus und strebten die Auffahrt hinunter. Von hinten wirkten sie wie Zwillinge mit den breiten Schultern, den kahlgeschorenen Köpfen und genau gleichen schwarzen T-shirts, die ihre enormen Schultermuskeln freiließen. Melissa seufzte. Beim Einzug waren beide noch blondiert gewesen und hatten weite pastellfarbene Strickpullover getragen, hatten biertrinkend Dübel in die Wände gebohrt, um gerahmte Poster von Monets Seerosen aufzuhängen, und Melissa kumpelhaft mit Vornamen angeredet. Die Veränderung war so vollkommen, daß sie sich manchmal fragte, ob es überhaupt noch dieselben Leute waren wie vor acht Wochen.
Sie hatte gehofft, beide würden sich verziehen, und zwar mitsamt dem LKW, den sie vor dem Haus geparkt hatten. Doch nach einem kurzen Gespräch am Straßenrand ging einer der beiden zu Fuß davon, während der andere die Auffahrt hinauf zur Haustür zurückkehrte. Melissa riß energisch das Fenster auf und rief in die feuchtwarme Abendluft hinaus: „Damian...“
Sein Gesicht wandte sich nach oben - mit tiefliegenden dunklen Augen über breiten Backenknochen wirkte er wie ein Mongole. "Nix Damian. Ich bin Horatio. Der da ist Damian.“ Eine unbestimmte schwingende Geste zur Straße hin.
„Was ich sagen wollte, müssen Sie unbedingt den LKW immer hier an den Straße parken? Die ganze Nachbarschaft regt sich schon auf.“
„Den brauch ich für die Arrrbeit“, gab er zurück und steckte den Haustürschlüssel ins Schloß. Für ihn war der Fall damit erledigt. Leute, die arbeiten, sagte sich Melissa und knallte verärgert das Fenster zu, glauben anscheinend, daß das alles entschuldigt. Verschwitzte Klamotten auf dem Boden der Waschküche, lautstarkes Kommen und Gehen zu den ausgefallensten Tages- und Nachtzeiten, dröhnende Rockmusik und Ballerspiele am Computer - wer arbeitet, kann sich alles erlauben.
(...)

Wo es holpert

Teppichboden ist verräterisch. Im Lauf der Jahre sieht er aus wie mit Gräben gespurt, an den Stellen, wo man mit dem Stuhl hin und her gerollt ist. Von dort, wo sie sitzt, führt ein solcher Graben zu der Schublade links, wo ein flüchtig geführtes Tagebuch liegt, und ein zweiter, tieferer nach rechts zu der Schublade mit ihrem Schokoladenvorrat. Neben der Tür gibt es eine Erhebung, einen kleinen Buckel unter dem Teppich. Da hat der Teppichleger etwas darunter vergessen. Wenn sie lange genau hinschaut, fällt ihr manchmal ein, dass sie den Teppich selbst verlegt hat, aber was darunter liegt, weiß sie nicht mehr. An einer Stelle holprig. Im Wohnzimmer ist Fliesenboden, das ist besser, der verrät nichts. Nur eine winzige schwarze Stelle, wo sie vor Jahren in einem Wutanfall eine schwere Henkeltasse hinschmiss und damit einen Splitter aus der hellen Fliese trümmerte. An zwei Stellen holprig.

Blubbern als Kunst!

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"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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