Fähnchen in die Landkarte stecken ...

Bei uns im Hausflur hängt eine Landkarte. (Sie zeigt nur Europa, aber möglicherweise müssen wir demnächst auf Globusformat vergrößern). In der Landkarte stecken unzählige kleine gelbe Fähnchen. Nicht so wie bei der Polizei, wo man markiert, wo der Serienmörder seine sieben Leichen verteilt hat - die Rede ist von mindestens siebenhundert Fähnchen.
Jedes Jahr kommen mindestens dreißig dazu.
Manchmal fragen mich Besucher, was diese Fähnchen bedeuten.
Dann antworte ich: "Das sind die Plätze, an denen wir uns unmöglich gemacht haben."

Bisher haben wir immerhin darauf geachtet, das Umfeld unseres Heimatortes einigermaßen frei von gelben Fähnchen zu halten. In San Gimignano, Ajaccio, Perpignan und Girona kennt uns ja eh keiner, da heißt es höchstens: "Wieder mal Deutsche."
Bis letzte Woche! Da habe ich mitten durch meinen Wohnort ein Fähnchen bohren müssen!
Es fing damit an, dass der Klorollenhalter in unserem Badezimmer kaputt ging. Ich richtete meine Schritte also flugs in Richtung der Firma Blupp & Schwall, Badezimmerausstattungen, da eben jene den bewussten Klorollenhalter eingebaut hatte.
Bei Blupps musste ich ein paar Minuten warten und nahm mir zum Zeitvertreib einen Flugzettel vom Verkaufstresen. Ein ganzer Stapel solcher Zettel lag bereit. Es ging um die Qualität unseres Trinkwassers. Der Flugzettel bestand aus drei aneinander gehefteten Blättern, bedruckt in Times New Roman 18 Punkt, zweifarbig.
Nach dem Lesen einer halben Seite legte ich das Blatt zurück und sagte zu der Empfangsdame am Tresen: "Wer das geschrieben hat, steht wohl mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß!"
Sie lächelte ein wenig schief, sagte aber nichts. Hinterher machte ich mir Gedanken, ob sie dieses Memorandum vielleicht selbst geschrieben hatte - man weiß ja nie. Dann war ich taktlos gewesen. Aber warum eigentlich? Soll sie doch zum Duden greifen und den Zettel noch mal durchgehen, es kann nur besser werden!

Zwei Tage später war ich wieder bei Blupp & Schwall. Diesmal in einer anderen Angelegenheit, aber egal. Jedenfalls habe ich diesmal ein Exemplar des Memos mit nach Hause genommen.
Von Anfang bis Ende durchgelesen.
Und darunter stand: "Wenn ich Ihr Interesse geweckt habe, rufen Sie uns an 1234/56789 Mit besten Grüßen Günther Blupp."
O weia!
Der Rechtschreibhirni war keineswegs die Dame am Tresen. Es war der Chef persönlich!
Seitdem habe ich mich nicht mehr zu Blupp & Schwall getraut. Statt dessen habe ich ein Fähnchen gesteckt. Dorthin, wo das Firmengelände liegt. Praktisch bei mir um die Ecke.

Ein wenig habe ich aber dann über die Sache nachgedacht. Nur ein klein wenig. Ungefähr pausenlos bis heute. So etwa: Muss ich mich jetzt etwa schämen, weil ich darauf hingewiesen habe, dass das Memo voller Fehler steckt? Will Herr Günther Blupp denn nun Kunden oder will er keine? Den Lesern wird ja angst und bange, wenn sie solches Zeug lesen müssen. Wie komm ich denn dazu, mich zu schämen, weil ich die Fehler sehe? Es ist keine Schande, die Rechtschreibung nicht zu beherrschen. Aber wenn man keine Ahnung davon hat, dann schreibt man so ein Memo nicht selbst, sondern nimmt sich jemanden, der wenigstens ungefähr weiß, wie es geht. Schließlich klebe ich meine Klopapierrolle auch nicht mit Spucke an die Wand, sondern lasse mir vom Fachmann einen Halter anbringen, zum Beispiel von Blupp & Schwall. Und so weiter und so weiter. (Ich verwandelte mich schrittweise in eine Figur bei Paul Watzlawick.)

Bis heute.
Da kam ich nämlich auf die Idee, mit dem charakteristischen Satz "Mir viel folgende Aussage auf" auf Googlereise zu gehen. Weit ging die Reise nicht. Es gab nur einen Treffer.
Günther Blupp ist entlastet. Oder sagen wir mal: Er ist bloß Nachfolgetäter und hat das fragliche Memo Wort für Wort von der Website des Haupttäters abkopiert.
Warum allerdings jemand, der ein echtes Anliegen hat, und sei es auch bloß das, dass er Wasserreinigungssysteme verkaufen will - warum so jemand sich nicht die Mühe macht, eine der deutschen Rechtschreibung halbwegs mächtige Person für eine Stunde Arbeit zu bezahlen (länger würde es nicht dauern, dieses mühsame Neusprech in eine lesbare Sprache zu übersetzen), das mag Paul Watzlawick wissen.

pinfahne

Blubbern als Kunst!

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(Meridian 2/2012)

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