Tsunami ...

Aus gegebenem Anlass (siehe letzter Eintrag) beschäftigt sich der Fisch gerade ein wenig mit Shakespeares Sommernachtstraum. Einstweilen liegt mir nur die Übersetzung von Ludwig Tieck vor. Wenn ich morgen Zeit finde, den Keller umzugraben, kann ich mir auch den Originaltext daneben legen, obwohl ich den Verdacht habe, dass Tiecks Übersetzung blumiger und bildhafter ist als das Original. Wie auch immer.

Motor der Handlung ist ein Ehekrach zwischen Oberon und Titania. Bei Elfens geht es kaum anders zu als bei Menschens; die beiden gehen sich schon eine ganze Weile aus dem Wege, und wenn sie sich begegnen, giften sie einander an. Im Originaltext bezichtigt jedes den anderen der Untreue. Darauf folgt eine Gardinenpredigt Titanias, die mich sehr beeindruckt hat:

... Und nie seit Sonmmers Anfang trafen wir
auf Hügeln noch im Tal, im Wald noch Wiese,
am Kieselbrunnen, am beschilften Bach,
noch an des Meeres Klippenstrand uns an
dass dein Gezänk uns nicht die Lust verdarb.
(...) Drum schleppt der Ochs sein Joch umsonst, der Pflüger
vergeudet seinen Schweiß, das grüne Korn
verfault, eh' seine Jugend Bart gewinnt,
leer steht die Hürd' auf der ersäuften Flur,
und Krähen prassen in der siechen Herde.
Verschlämmt vom Lehme liegt die Kegelbahn;
unkennbar sind die art'gen Labyrinthe
im muntern Grün, weil niemand sie betritt.
Den Menschenkindern fehlt die Winterlust;
kein Sang noch Jubel macht die Nächte froh.
Drum hat der Mond, der Fluten Oberherr,
vor Zorne bleich, die ganze Luft gewaschen
und fieberhafter Flüsse viel erzeugt.
Durch eben die Zerrüttung wandeln sich
die Jahreszeiten: silberhaar'ger Frost
fällt in den zarten Schoß der Purpurrose;
indes ein würz'ger Kranz von Sommerknospen
auf Hiems' dünner und beeister Scheitel
als wie zum Spotte prangt. Der Lenz, der Sommer,
der zeitigende Herbst, der zorn'ge Winter,
sie alle tauschen die gewohnte Tracht,
und die erstaunte Welt erkennt nicht mehr
an ihrer Frucht und Art, wer jeder ist.
Und diese ganze Brut von Plagen kommt
von unserm Streit, von unserm Zwiespalt her:
Wir sind davon die Stifter und Erzeuger.


In Brittens Opernfassung geben Oberon und Titania diese Zeilen in Wechselrede und mehr oder weniger gleichzeitig von sich. In der letzten Zeile sind sie sich jedenfalls einig und bekräftigen lauthals mit mehrmals wiederholtem "Wir! Wir! Wir!"




Sie sind erstaunlich sicher, für alles Übel in der Welt verantwortlich zu sein. Jedenfalls für den Klimawandel. (Für meinen Zahnstatus weniger.) Denn ist das, was hier so wortreich beschrieben wird, in geraffter Form nicht genau das, was wir in den letzten Jahren beobachten und was uns angeblich noch bevorsteht? Überschwemmungen, verdorbene Ernten und Misswuchs und vor allem die Unberechenbarkeit des Wetters, die eine vernünftige Planung von Saat und Ernte erschwert. Ach ja, und witterungsbedingte Erosion. Vielleicht hat sogar Frank Schätzing, ehe er den "Schwarm" schrieb, vorher einen Blick in den Sommernachtstraum geworfen. Die Genauigkeit des Bildes ist beeindruckend. Ach ja, kann ich irgendetwas tun, um Titania und Oberon zu versöhnen?

Ich finde die zitierte Stelle sprachlich so hinreißend, dass ich mir auf jeden Fall die weitere Entwicklung des Ehekrachs noch anlesen werde. (Die Rüpelszenen lesen sich hingegen nicht gut - auf der Bühne kommen sie umso besser, vor allem mit Brittens kongenialer Musik. Wir haben Tränen gelacht!)

Blubbern als Kunst!

besetzte-stuehle-3-klein

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"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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