Modeste, Reitpferd ...

Über Dummsätze habe ich ja schon mehrmals geschrieben. Es gibt aber auch Sätze, die für sich genommen gar nicht dumm sind, mich aber aus irgendeinem anderen Grund nicht mehr loslassen wollen. Zum Beispiel folgender Satz:

"Modeste hat kein Reitpferd!"

Am besten übt man das vor dem Spiegel ein. Es ist im Ton tiefster Entrüstung zu sprechen, so wie die Oma etwa nach dem ersten Enkelbesuch zum Opa sagen würde: "Chantal hat kein Dreirad!"

Zufällig weiß ich noch genau, wo der Modeste-Satz herkommt, nämlich aus Balzacs Roman "Modeste Mignon". An den Zusammenhang kann ich mich just leider nicht erinnern. Da mir der Satz nicht mehr aus dem Kopf geht, ich aber auch keine Lust habe, den ganzen Roman nochmal zu lesen, nur um den Satz dingfest zu machen, habe ich mit Modeste und Reitpferd gegoogelt. Da hat sich ein Abgrund aufgetan. Der Abgrund führt den Namen Johannes Richard zur Megede und gähnt beim Gutenberg-Projekt. Herr zur Megede ist ein (sehr zu Recht) vergessener Autor, der sein Elaborat dem "Fräulein Luise Voigt" zugeeignet hat, "zur Erinnerung an italienische Frühlingstage". Die titelgebende Heldin Modeste ist nun weit davon entfernt, kein Reitpferd zu haben. Sie hat offenbar mindestens deren vier. Laut Auskunft von Herrn zur Megede reitet sie nämlich "ihren Sommerrappen". Was nach dem Gesetz der Logik bedeutet, dass mindestens noch ein Winterrappe und ein Sommerschimmel (oder -fuchs) existieren müssen, wahrscheinlich sogar auch noch ein Winterschimmel oder -fuchs. Herbst und Frühling wollen wir mangels Platz im Stall mal außen vor lassen, zumal auch noch ein "Inspektorbrauner" drin steht. Es wird jedenfalls auf den ersten Blick klar, dass die Heldin den Namen Modeste, der den gleichen Wortstamm wie modesty = Bescheidenheit oder Mäßigung besitzt, sehr zu Unrecht führt.

Ach ja. Kürzlich war auf mehreren News-Seiten über die Auswirkungen romantischer Liebesromane auf die weibliche Seele nachzulesen. Ich zitiere: «Er nahm sie in seine männlichen Arme und beugte sich mit seinen Lippen zu den ihrigen» - solche und ähnliche Sätze können für Frauen nach Ansicht einer bekannten britischen Psychologin psychische Folgen haben. Ich persönlich bin der Meinung, solche Sätze können für keinen Leser, ob männlich oder weiblich, gesund sein. Herr zur Megede hat das offenbar nicht gewusst, oder die psychische Gesundheit des Fräulein Luise Voigt war ihm wurscht (da könnte man übrigens einen interessanten Krimi draus machen). Ich zitiere erneut, diesmal Herrn zur Megede:

Es ist ein wundersamer Reiz um eine im lachenden Frühling weinende Frau! - Die singenden Bäume stimmten wieder ihren Liebesgesang an - aber er klang voller, wilder, wie schwüles Frühlingssehnen, wie heißes Liebesgewähren... Und auf einmal fühlte sich Modeste emporgehoben, geküßt, gepreßt, in tödlich starker Umarmung. Sie wollte schreien - die Stimme erstarb. Sie wollte sich losreißen - die Muskeln versagten. Es war ein so dürstender Männermund, so fiebernde Augen, so stammelnde Laute...
Sie wollte die weichen Lippen voll Abscheu schließen und öffnete sie doch voll Verlangen. Die Augenlider sanken ihr. Das große, das uferlose Gefühl strömte zu ihr hinüber, zwang sie. Sie küßte wieder - sie mußte. Aber die Frauen küssen bei der ersten Liebessünde - halb Scham, halb Lust. Sie hörte, sie sah nichts mehr - nur die purpurwipflichen Bäume und ihr wild klagendes Liebeslied glitten vor ihren heiß verschleierten Sinnen. Es war eine tiefe köstliche Ohnmacht, deren Dauer man nicht kennt, deren Nervenzittern man nur nachspürt.


Dem ist nichts hinzuzufügen. Das ist nicht nur ungesund, das hat Suchtpotential. Lesen Sie weiter! Hier! Ich will purpurwipfliche Bäume sehen! Auf zur Megede!!

Ps. Meine liebe Freundin Blaustrumpf hat mich darauf hingewiesen, dass der Besitz eines Sommerrappen nicht den eines Winterrappen notwendig bedingt, siehe hier. Ich korrigiere also: Modeste hat mindestens ein Pferd, denn der Inspektorbraune gehört vermutlich nicht ihr, sondern dem Inspektor. Da ihr in dem teilweise oben zitierten Kapitel vom Reiten des Sommerrappen dringend abgeraten wird, denn "er hat zwei Tage gestanden und keilt sich mit allen Pferden", müssen noch ein paar andere da sein. Sonst hätte der Sommerrappe ja nichts zum Keilen.
Danke Blaustrumpf!

PPS. Ich habe gestern seit ich weiß nicht wie vielen Monaten zum ersten Mal wieder unseren alten geerbten Mercedes gefahren. Aber der hat sich mit niemandem gekeilt. Er ist ja auch ein Allwetterweißer.

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