Die Windharfe

Wind

Als ich klein war, wollte ich einen Balkon haben mit vielen, vielen Windharfen. Es gibt sie in allen Formen; ganz winzige, die hell klingeln wie Feenglöckchen, die mittelgroßen mit dem fein abgestimmten Geläute und die ganz großen hölzernen, die sich immer irgendwie nach Zen und Harakiri anhören.
Dann habe ich mal einen Krimi gesehen, in dem die weibliche Hauptperson ein Haus am Strand hatte, mit einem Freisitz aufs Meer hinaus. Rundherum hing alles voller Windharfen. Wenn nachts der Wind vom Meer her blies, klapperte und rasselte, läutete und bimmelte es in allen Tonlagen. Dazu der Wind und das Wellenrauschen. Ich glaube, bei dieser Frau hielt es kein Mann lange aus. Die meisten ergriffen schon nach der ersten Nacht die Flucht. Das war auch ihr Glück, denn wer länger als einen Tag blieb, nahm ein schlimmes Ende. Eine wahre Schwarze Witwe war jene Frau; ich glaube, so hieß der Film.
Aber man darf so zarte Gebilde wie Windharfen nicht im Meereswind aufhängen. Und überhaupt sollte man nicht ein ganzes Orchester aufhängen, sondern nur eine. Eine genügt. Am besten in einer warmen, windgeschützten Ecke, wo nur selten ein Lüftchen hinkommt und man auf jedes leise Klingeln harren und lauschen muss. Man kann zu zweit lauschen, mit einem Glas Rosé in Griffweite, aber eigentlich lauscht es sich am besten ganz allein. Bei Windstille. Wenn man jedes Lüftchen, das sich nähern will, von weitem kommen sieht. Wenn die Baumwipfel in der Ferne sich aufmachen und das hohe Gras auf der Heuwiese nebenan dazu nickt. So ein sanfter Wind braucht lange, bis er ankommt. Man kann zusehen, wie er sich nähert. Eine Spinnwebe, die seit drei Tagen neben der Holzbank am Fallrohr hängt, beginnt ganz leicht zu zittern. Und dann ist er da, der Wind, kämmt zart die feinen Härchen auf der Stirn und an den Schläfen und entlockt der Windharfe über deinem Kopf einen ganz leisen Ton. Lange hallt er nach.
Wenn gerade niemand in der Nähe ist, ihn zu hören, existiert er auch nicht, da er nur im Ohr des Hörenden entsteht. Ein Glück, dass wenigstens die Spinne da ist und zuhört, während sie in der Mitte ihres Netzes auf Beute wartet. Wie eine Schwarze Witwe.


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Ein herzliches Dankeschön an alle, die dazu beigetragen haben, mir den Abschied von Halli Galli schmackhaft zu machen!
Wie sich der genau gestalten wird, hoffe ich am Mittwoch herauszufinden, wenn ich mich beim Chirurgen vorstelle. Das wird ein feiner Tag, denn am Mittwochabend ist auch noch Lesung.

Uta hat in ihrem Weblog begonnen, zu zwölf Schlüsselworten der Gelassenheit und Lebenskunst kleine Texte zu schreiben. Dem ersten Schlüsselwort, der Achtsamkeit, ist die Windharfe zugeordnet. Das gefällt mir so gut, dass ich mich mit ein paar Gedanken zur Windharfe gleich anhänge. Danke, Uta, für diese schöne Idee.

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