Im Auge ...
Die beiden sind ein altes Ehepaar. Wenn sie zusammen einkaufen gehen, geben sie ein Paar Witzfiguren ab, denn beide haben ein Essproblem. Der Mann kann absolut nichts essen, was irgendwie weich ist oder sich fettig anfühlt oder gar schmeckt. Vor Brötchen, Kartoffeln, Käse, Butter empfindet er Ekel. Er bringt kaum etwas hinunter und ist dünn wie ein Blatt Papier. An guten Tagen kann er ein wenig am Schreibtisch arbeiten, an schlechten schafft er es vor Schwäche nicht mal aus dem Bett.
Seine Frau ist sein genaues Gegenteil. Überlegend klaubt sie alles mögliche aus dem Supermarktregal und fragt ihn, ob er meint, das könne er essen. Meistens wendet er sich ab, weil ihm sich bei dem Gedanken der Magen umdreht. Dabei wandern nebenher Croissants, Schokoladeplätzchen, Feinkostsalate, Becher mit Pudding und Käseecken in den Einkaufswagen. All das ist für sie. Je mehr, je besser. Die ununterbrochene Sorge um den Mann, den sie liebt, ist von ununterbrochener Fresserei begleitet. Sie ist so fett, dass sie keine sechs Stufen steigen kann, ohne außer Atem zu geraten.
Irgendwann löst sich bei beiden etwas; ich weiß nicht mehr wodurch. Die Frau beginnt abzunehmen, der Mann beginnt wieder zu essen. Sie wird nicht schlank, er wird nicht dick, aber beide werden so normal, dass sie nicht mehr aussehen wie Figuren einer drittklassigen Boulevardkomödie.
Ihre Ehe ist sehr glücklich und war es immer. Seine Nahrungsverweigerung war ein oft besprochenes Thema, weil er dadurch seine Stelle verloren hat und mehrfach zusammengebrochen ist. Über ihre Fressattacken wurde nie geredet. Eines Tages fragt sie ihn: "Hast du eigentlich bemerkt, dass ich abgenommen habe?"
Er mustert sie, nickt zögernd. (Sie hat beinahe zwanzig Kilo abgenommen zu diesem Zeitpunkt.)
Sie fragt verwirrt weiter: "Aber du musst doch gemerkt haben, wie fett ich war!"
Er antwortet: "Warst du fett? Ich weiß nicht. Für mich bist du immer die gleiche, die ich damals geheiratet habe."
Ich hielt das für unmöglich, bis ich ein ganz ähnliches Erlebnis hatte - mit meiner Freundin, die ich nach 25 Jahren wiedertraf und die sich kein bisschen verändert hatte. (Habe ich irgendwann in diesem Blog schon erzählt.)
Soviel zur Ehrlichkeit und zu dem Symbol für die Ehrlichkeit, das Auge. Und zum unbestechlichen Blick auf Dinge und Menschen - und in sie hinein.
Wer über das bewusste Ehepaar mehr wissen möchte: Es gehört zu den dramatis personae in Ruth Rendells Roman "Der Liebesbetrug".
Seine Frau ist sein genaues Gegenteil. Überlegend klaubt sie alles mögliche aus dem Supermarktregal und fragt ihn, ob er meint, das könne er essen. Meistens wendet er sich ab, weil ihm sich bei dem Gedanken der Magen umdreht. Dabei wandern nebenher Croissants, Schokoladeplätzchen, Feinkostsalate, Becher mit Pudding und Käseecken in den Einkaufswagen. All das ist für sie. Je mehr, je besser. Die ununterbrochene Sorge um den Mann, den sie liebt, ist von ununterbrochener Fresserei begleitet. Sie ist so fett, dass sie keine sechs Stufen steigen kann, ohne außer Atem zu geraten.
Irgendwann löst sich bei beiden etwas; ich weiß nicht mehr wodurch. Die Frau beginnt abzunehmen, der Mann beginnt wieder zu essen. Sie wird nicht schlank, er wird nicht dick, aber beide werden so normal, dass sie nicht mehr aussehen wie Figuren einer drittklassigen Boulevardkomödie.
Ihre Ehe ist sehr glücklich und war es immer. Seine Nahrungsverweigerung war ein oft besprochenes Thema, weil er dadurch seine Stelle verloren hat und mehrfach zusammengebrochen ist. Über ihre Fressattacken wurde nie geredet. Eines Tages fragt sie ihn: "Hast du eigentlich bemerkt, dass ich abgenommen habe?"
Er mustert sie, nickt zögernd. (Sie hat beinahe zwanzig Kilo abgenommen zu diesem Zeitpunkt.)
Sie fragt verwirrt weiter: "Aber du musst doch gemerkt haben, wie fett ich war!"
Er antwortet: "Warst du fett? Ich weiß nicht. Für mich bist du immer die gleiche, die ich damals geheiratet habe."
Ich hielt das für unmöglich, bis ich ein ganz ähnliches Erlebnis hatte - mit meiner Freundin, die ich nach 25 Jahren wiedertraf und die sich kein bisschen verändert hatte. (Habe ich irgendwann in diesem Blog schon erzählt.)
Soviel zur Ehrlichkeit und zu dem Symbol für die Ehrlichkeit, das Auge. Und zum unbestechlichen Blick auf Dinge und Menschen - und in sie hinein.
Wer über das bewusste Ehepaar mehr wissen möchte: Es gehört zu den dramatis personae in Ruth Rendells Roman "Der Liebesbetrug".
schmollfisch - 15. Nov, 23:51