Madeira
Ich bin dem Hund begegnet. Das geschah gute drei Wegstunden außerhalb des letzten bewohnten Orts, auf der Höhe der Levada. Ich war bereits erschöpft vom schmalfüßigen Laufen auf dem Levadamäuerchen, ungesichert über einem dreißig Meter tiefen Abgrund, durch den Nebelfetzen trieben. Meine Hose war schlammbespritzt bis zu den Knien, mein Nacken brannte von der stechenden Sonne. Der Levadeiro, kenntlich an dem zwei Meter langen eisenbeschlagenen Stock, kommt mir leichtfüßig entgegen, in offenem Hemd, mit lächelnder Miene. Ihm folgt mit fünfzehn Meter Abstand der Hund, quälend langsam, mit hängendem Kopf. Er sieht aus wie ein Schäferhund, aber mit blondem Fell. Der Levadeiro strahlt voll Stolz, als ich fragend auf den Hund blicke, macht eine Bemerkung in Portugiesisch und zeigt erst alle zehn, dann sechs gespreizte Finger - sechzehn Jahre alt ist der Hund. Der Hund bleibt vor mir stehen, ohne den Kopf zu heben; er schnuppert nicht einmal an meiner ausgestreckten Hand. Drei Stunden muss er bereits gelaufen sein. Was macht der Mann, wenn ihm der Hund hier, weit oben in den Bergen, auf dem halbmeterbreiten Levadamäuerchen tot oder entkräftet umsinkt? Trägt er ihn auf den Schultern heimwärts? Oder lässt er ihn in den Abgrund fallen? Der Mann lächelt weiter, als ich mich bücke und dem Hund das dicke blonde Brustfell kraule. "Du schaffst das, du schaffst das", flüstere ich dem Hund zu, ohne zu wissen, was eigentlich.
schmollfisch - 7. Apr, 22:29