Gespräch mit dem Wind, Teil II
(Teil I hier)
Diesmal hatte sie nicht vom Wind geträumt. Eigentlich hatte sie noch gar nicht geträumt. Sie war gerade erst in Halbschlaf gesunken, ihr Buch noch in der Hand. Aus ihren schlaffen Fingern gerutscht, lag es halb auf dem Kopfkissen – ein Krimi, ein blutrünstiger noch dazu. Sie sollte sich schämen, so etwas zu lesen.
Das Telefon klingelte.
Automatischer Blick auf die Uhr: halb zwölf. Was solls, dachte Angela, sie hatte ja noch gar nicht richtig geschlafen. Sie tappte in den Flur und nahm den Hörer ab.
Noch ehe sie sich gemeldet hatte, drang Wiebkes tiefe Stimme aus dem Hörer – sie hörte sich beinahe wie ein Mann an. „Du, ich bin gerade erst aus der Klinik zurück …“ – Pause – „ich habe das Motorrad verschrotten lassen. Meinst du, das war richtig?“
Immer kam sie mit solchen Fragen. Ob sie Joachims Internetfreunden Bescheid sagen solle und wenn ja, in welcher Form; ob sie den DSL-Anschluss kündigen solle, ob sie diesen oder jenen Freund an Joachims Bett lassen solle. Joachim lag seit fast vier Wochen im Koma. Die Ärzte waren ehrlich und direkt: Ob und wann er aufwachen würde, wusste niemand.
„Das Motorrad war doch eh kaputt“, sagte Angela, die um diese Uhrzeit auch keine Lust auf Beschwichtigungen hatte. Selbst wenn Joachim aufwachte, würde er kaum je wieder Motorrad fahren.
„Betest du für uns?“, fragte Wiebke. Angela spürte die Verzweiflung hinter dem sachlichen Tonfall. „Ja, jeden Tag“, antwortete sie. „Wir beten alle für euch – auch im Familientreff – und in der Kinderlehre.“
„Du sollst den Kindern keine Angst machen.“
„Die Kinder wollten es so.“ Die meisten Kinder im Ort kannten Wiebke; sie hatte lange Zeit im Kiosk neben der Grundschule Süßigkeiten verkauft.
Wiebke atmete mehrmals ein und aus. „Angela – ich wüsste nicht, was ich ohne dich – also, du hilfst mir sehr. Danke dir. Ich glaube, ich kann jetzt schlafen gehen.“
Ich habe doch nur zwei Sätze gesagt, dachte Angela und lächelte ins Telefon. „Schlaf gut, Wiebke“, sagte sie und merkte, dass ihrer Stimme das Lächeln anzuhören war. „Ich gehe auch schlafen.“
„Kommst du wieder in die Klinik?“
„Morgen … ich werde es versuchen.“
„Nein, nicht morgen.“ Wiebke lachte nervös. „Du musst auch mal einen Tag für dich haben. Ich rufe dich ja schon dauernd an.“ Sie legte auf, ehe Angela antworten konnte.
Langsam legte Angela den Hörer zurück. Sekundenlang dachte sie an Joachim, der in seinem weißen Bett lag, Kopf und Brust von Verbänden umwickelt – neben ihm seufzte das Beatmungsgerät. Dann dachte sie an Wiebke. Es war kein Gebet, sie richtete nur all ihre Gedanken mit aller Kraft auf die Freundin. Das Telefon klingelte erneut.
Sie riss den Hörer ans Ohr. „Ist was passiert?“
„So schnell heute nacht?“ Die Männerstimme lachte.
„Hören Sie“, rief Angela. Die Wut schoss durch ihren Körper wie ein Wasserstrahl, der schwallartig aus dem Hahn platzt. „Sie sind hier falsch, rufen Sie mich nicht dauernd an!“
„Oh.“ Er kicherte. „Wieder verkehrt. Das tut mir wahnsinnig leid. Aber diesmal habe ich Sie nicht geweckt, oder?“
„Nein, haben Sie nicht. Gute Nacht.“
„Sie klingen so gestresst. Ein bisschen Abwechslung täte Ihnen vielleicht auch ganz gut. Ist nett gemeint“, lenkte er rasch ein, „nur ein Ratschlag … gute Nacht, und grüßen Sie Ihren Boss.“
(wird fortgesetzt, sobald der Herr wieder anruft ;-))
Diesmal hatte sie nicht vom Wind geträumt. Eigentlich hatte sie noch gar nicht geträumt. Sie war gerade erst in Halbschlaf gesunken, ihr Buch noch in der Hand. Aus ihren schlaffen Fingern gerutscht, lag es halb auf dem Kopfkissen – ein Krimi, ein blutrünstiger noch dazu. Sie sollte sich schämen, so etwas zu lesen.
Das Telefon klingelte.
Automatischer Blick auf die Uhr: halb zwölf. Was solls, dachte Angela, sie hatte ja noch gar nicht richtig geschlafen. Sie tappte in den Flur und nahm den Hörer ab.
Noch ehe sie sich gemeldet hatte, drang Wiebkes tiefe Stimme aus dem Hörer – sie hörte sich beinahe wie ein Mann an. „Du, ich bin gerade erst aus der Klinik zurück …“ – Pause – „ich habe das Motorrad verschrotten lassen. Meinst du, das war richtig?“
Immer kam sie mit solchen Fragen. Ob sie Joachims Internetfreunden Bescheid sagen solle und wenn ja, in welcher Form; ob sie den DSL-Anschluss kündigen solle, ob sie diesen oder jenen Freund an Joachims Bett lassen solle. Joachim lag seit fast vier Wochen im Koma. Die Ärzte waren ehrlich und direkt: Ob und wann er aufwachen würde, wusste niemand.
„Das Motorrad war doch eh kaputt“, sagte Angela, die um diese Uhrzeit auch keine Lust auf Beschwichtigungen hatte. Selbst wenn Joachim aufwachte, würde er kaum je wieder Motorrad fahren.
„Betest du für uns?“, fragte Wiebke. Angela spürte die Verzweiflung hinter dem sachlichen Tonfall. „Ja, jeden Tag“, antwortete sie. „Wir beten alle für euch – auch im Familientreff – und in der Kinderlehre.“
„Du sollst den Kindern keine Angst machen.“
„Die Kinder wollten es so.“ Die meisten Kinder im Ort kannten Wiebke; sie hatte lange Zeit im Kiosk neben der Grundschule Süßigkeiten verkauft.
Wiebke atmete mehrmals ein und aus. „Angela – ich wüsste nicht, was ich ohne dich – also, du hilfst mir sehr. Danke dir. Ich glaube, ich kann jetzt schlafen gehen.“
Ich habe doch nur zwei Sätze gesagt, dachte Angela und lächelte ins Telefon. „Schlaf gut, Wiebke“, sagte sie und merkte, dass ihrer Stimme das Lächeln anzuhören war. „Ich gehe auch schlafen.“
„Kommst du wieder in die Klinik?“
„Morgen … ich werde es versuchen.“
„Nein, nicht morgen.“ Wiebke lachte nervös. „Du musst auch mal einen Tag für dich haben. Ich rufe dich ja schon dauernd an.“ Sie legte auf, ehe Angela antworten konnte.
Langsam legte Angela den Hörer zurück. Sekundenlang dachte sie an Joachim, der in seinem weißen Bett lag, Kopf und Brust von Verbänden umwickelt – neben ihm seufzte das Beatmungsgerät. Dann dachte sie an Wiebke. Es war kein Gebet, sie richtete nur all ihre Gedanken mit aller Kraft auf die Freundin. Das Telefon klingelte erneut.
Sie riss den Hörer ans Ohr. „Ist was passiert?“
„So schnell heute nacht?“ Die Männerstimme lachte.
„Hören Sie“, rief Angela. Die Wut schoss durch ihren Körper wie ein Wasserstrahl, der schwallartig aus dem Hahn platzt. „Sie sind hier falsch, rufen Sie mich nicht dauernd an!“
„Oh.“ Er kicherte. „Wieder verkehrt. Das tut mir wahnsinnig leid. Aber diesmal habe ich Sie nicht geweckt, oder?“
„Nein, haben Sie nicht. Gute Nacht.“
„Sie klingen so gestresst. Ein bisschen Abwechslung täte Ihnen vielleicht auch ganz gut. Ist nett gemeint“, lenkte er rasch ein, „nur ein Ratschlag … gute Nacht, und grüßen Sie Ihren Boss.“
(wird fortgesetzt, sobald der Herr wieder anruft ;-))
schmollfisch - 20. Mai, 12:18