Der siebenunddreißigste April

Ich bin Schriftstellerin. Letztes Jahr ist ein Buch von mir erschienen, das »Der siebenunddreißigste April« heißt. Es ist 551 Seiten lang (die erklärenden Anmerkungen am Schluss nicht mitgerechnet), der Maler Goya spielt eine wichtige Rolle und ein sprechender Hund, zwei Morde und ein Kircheneinsturz kommen auch darin vor. Kurz gesagt, es ist wahnsinnig spannend. Trotzdem wollte kein Verlag es drucken, obwohl ich ein schönes Exposé ausgearbeitet hatte und die Lektoren immer sehr freundlich anschrieb. Meistens wurde die Ablehnung damit begründet, dass das Buch nicht ins Verlagsprogramm passe. Das war nur natürlich, denn ich hatte ja ganz bewusst ein Buch geschrieben, das es so oder vergleichbar noch nicht gibt.

Also habe ich das Buch auf eigene Kosten drucken lassen, und zwar in einer Startauflage von 8000 Stück. Gott sei Dank bin ich finanziell gut gestellt. Nachdem ich die Rechnung für den Druck der Startauflage beglichen hatte, blieb mir genug Geld übrig, einen kleinen Laden in meiner Stadt zu mieten. Der Laden ist unterhalb des Doms zu finden, zwischen einer Galerie und einem Weingeschäft. Diese Lage ist sehr günstig, weil die Kunden, die hier vorbeikommen, im allgemeinen zahlungskräftig sind und offen für Neues.

Meine Buchhandlung ist schön und gemütlich eingerichtet mit allem, was dazugehört: Regale an den Wänden, Büchertische in der Mitte, ein Wühltisch für Sonderangebote und hinten eine Sitzecke für Kunden, die in einem Buch ein wenig blättern möchten, ehe sie sich zum Kauf entschließen. Ich biete auch Kaffee oder Tee an, wenn jemand sich dort hinsetzt. Das kommt oft vor, denn meinen Kunden fällt die Wahl, welches Buch sie kaufen sollen, erstaunlich schwer. Die Bücher in meinem Laden sehen alle gleich aus. Auf dem Titelbild ist ein kleiner Hund. Sie sind professionell gemacht in guter Druckqualität; den Inhalt kenne ich gut und kann daher meine Kunden optimal beraten. Bestimmt bin ich die einzige Buchhändlerin in der Stadt, die jedes Buch in ihrem Laden ganz genau kennt. Ich habe mir auch bunte Aufkleber besorgt mit dem Aufdruck: »Unser Buch des Monats« und »Empfehlung der Geschäftsleitung«. Die meisten Bücher in meinem Laden habe ich schon mit einem solchen Aufkleber versehen. Nicht alle, denn das ist sehr viel Arbeit. Ich klebe immer ein wenig zwischendurch, wenn ich Zeit habe.

Leider habe ich aber fast gar keine Zeit, weil meine Kunden so anspruchsvoll sind. Sie kommen herein, mustern erstaunt die Regale, ziehen sich hier und dort ein Buch heraus, betrachten die Exemplare auf dem Wühltisch und fragen mich, wo der neue Ken Follett stehe. Darauf antworte ich, dass ich den nicht habe, aber demnächst komme er vielleicht herein. Dann empfehle ich stattdessen den Roman »Der siebenunddreißigste April«. Die Kunden setzen sich hinten in die Sitzecke und verlangen Kaffee, schlagen eines der Bücher auf und lesen zwei, drei Seiten. Wenn ihnen das Buch nicht gefällt, nehmen sie ein anderes und schlagen es etwas weiter hinten auf. Dann wollen sie meistens wissen, warum ich »nur dieses eine Buch« habe. Ich antworte darauf, dass ich mehrere tausend Bücher anbiete, und mehr kann ich nicht hereinstellen, da kein Platz mehr ist. Das können die Kunden nicht bestreiten; die vollen Regale sprechen für sich. Besonders Hartnäckige fragen dann, ob ich ihnen den neuen Ken Follett bestellen könne, aber das lehne ich immer ab. Ich habe genug Bücher; wer darunter nichts Passendes findet, dem ist nicht zu helfen.

Nach Feierabend, wenn ich meinen Laden aufgeräumt und Kassensturz gemacht habe, ziehe ich meistens ein Buch aus dem Regal; immer ein anderes natürlich. Und dann mache ich es mir gemütlich, lege die müden Beine hoch und lese noch ein wenig.



Francisco Goya, "Der Hund"
Quelle: Wikimedia

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