Horrortrip in Düsseldorf
Ein alter Schreibfreund noch aus Lupenzeiten hat mir einen Krimi der ganz anderen Art zukommen lassen:
Das Buch sieht sehr nach Science Fiction aus, und aus diesem Grund hätte ich es mir im Laden vermutlich nie gekauft – ich lese keine SciFi, außer Stanislaw Lem in Ausnahmefällen. Aber es ist tatsächlich ein Krimi, ein Regionalkrimi sogar – ich könnte mir vorstellen, dass Düsseldorfer mit dem Buch in der Hand einen Stationsspaziergang machen könnten. Baldo Richter ist Ende dreißig und vollkommen unauffällig; in der kryptischen Vorrede zu dem eigentlichen Roman heißt es, er verberge „seine Klugheit hinter der Maske der Mittelmäßigkeit“, was ihn zumindest in meinen Augen zur idealen Romanfigur macht – weit mehr jedenfalls, als wenn es andersherum wäre. Leider nützt ihm dieses Versteckspiel nichts, denn gleich nach dieser kurzen, ziemlich unverständlichen Vorrede (ihr Sinn erschließt sich erst am Ende des Buches) geht es mit einem Paukenschlag los. Überfall, Einbruch, Kidnapping und natürlich eine geheimnisvolle Schönheit. Und ein sehr beklagenswerter Todesfall. Die Geschichte spielt sich im Wesentlichen innerhalb von sechs Tagen ab, mit einem Zukunftsausblick am Ende, der auf die Vorrede zurückgreift und diese erklärt. Ob Baldo überlebt? Jein.
Obwohl ein dramatisches Ereignis das andere jagt, hält sich der Roman kurz – wenig mehr als 150 Seiten. Der Autor verliert keine Zeit mit Überlegungen und Beschreibungen; die Sprache ist schlicht und sachlich. Hier hätte ich mir ein wenig mehr „Futter“ gewünscht – andere Leser werden diese Geradlinigkeit umso mehr mögen. Ein Ruhepunkt war immerhin der Todesfall am vierten Tag, der zwar nicht unerwartet kommt – er wird sorgfältig vorbereitet –, aber nach zwei Dritteln der rasanten Geschichte für ein wenig Erdung und Tiefe sorgt. Und am Schluss wird das übliche Krimigenre endgültig verlassen. Kennt jemand "Öffne die Augen" bzw. "Vanilla Sky"? Auch hier gibt es am Ende einen Dreh ins Phantastische, der diejenigen Zuschauer, die einen „echten" Krimi erwarten, vielleicht frustriert. Aber die werden „Die Schattenwelt des Baldo Richter“ ja schon wegen des Titelbilds nicht lesen ...
Zwei Zitate kann ich mir nicht verkneifen:
In einem längeren Gespräch im letzten Drittel äußert sich Herr Hallinger, einer der Drahtzieher des Romans, wie folgt: „Wir sollten uns fragen, ob die Welt nicht eher von einem Limonadenhersteller, von einer Restaurantkette oder von einem Softwaregiganten regiert wird. Die Zukunft wird nicht von überforderten Regierungschefs und hilflosen Finanzministern gemacht, sondern von Unternehmern mit Visionen. Die Regierenden sind in Kürze nur noch Marionetten der zukünftigen Marktführer.“
An dieser Stelle musste ich zurückblättern und mich vergewissern, wann das Buch spielt. 2010! Da wird es aber allerhöchste Zeit, dass jemand das ausspricht, was ich mir seit mindestens der letzten Wahl (vielleicht auch der vorletzten oder vorvorletzten) denke! Aber besser spät als nie ...
Und hier noch etwas ganz nach meinem Herzen. Baldo Richters neuer Freund, ein Blinder, der ebenfalls Richter heißt, führt ihm eine Aufnahme aus „La Traviata“ vor. „Wir sollten gemeinsam eine Opernaufführung besuchen, nachdem wir dieses Drama ausgestanden haben“, schlägt er vor. „Aber das lange Sterben ist nichts für einen jungen Mann. Nein, Parsifal ist die passende Oper für Männer Ihres Alters. Lassen Sie uns zu den Wagnerfestspielen fahren …“
Mal abgesehen davon, dass „La Traviata“ zu den Lieblingsopern meiner 21-jährigen Tochter zählt und ich nicht wirklich weiß, was im musikalischen Hirn eines jungen Mannes vorgeht – ich würde nie im Leben einem Neuling im Opernhören ausgerechnet zu den Wagnerfestspielen schleppen. Aber ich kann Wagner sowieso nicht leiden, obwohl ich es immerhin versuche. Mein letzter Versuch, Wagner zu goutieren – das war bei einer Übertragung einer Szene, die Siegfried beim Schwertschmieden zeigte – endete damit, dass meine Tochter hereinkam und fragte, ob ich schon wieder „Wüstenplanet“ gucke.
Das Buch sieht sehr nach Science Fiction aus, und aus diesem Grund hätte ich es mir im Laden vermutlich nie gekauft – ich lese keine SciFi, außer Stanislaw Lem in Ausnahmefällen. Aber es ist tatsächlich ein Krimi, ein Regionalkrimi sogar – ich könnte mir vorstellen, dass Düsseldorfer mit dem Buch in der Hand einen Stationsspaziergang machen könnten. Baldo Richter ist Ende dreißig und vollkommen unauffällig; in der kryptischen Vorrede zu dem eigentlichen Roman heißt es, er verberge „seine Klugheit hinter der Maske der Mittelmäßigkeit“, was ihn zumindest in meinen Augen zur idealen Romanfigur macht – weit mehr jedenfalls, als wenn es andersherum wäre. Leider nützt ihm dieses Versteckspiel nichts, denn gleich nach dieser kurzen, ziemlich unverständlichen Vorrede (ihr Sinn erschließt sich erst am Ende des Buches) geht es mit einem Paukenschlag los. Überfall, Einbruch, Kidnapping und natürlich eine geheimnisvolle Schönheit. Und ein sehr beklagenswerter Todesfall. Die Geschichte spielt sich im Wesentlichen innerhalb von sechs Tagen ab, mit einem Zukunftsausblick am Ende, der auf die Vorrede zurückgreift und diese erklärt. Ob Baldo überlebt? Jein.
Obwohl ein dramatisches Ereignis das andere jagt, hält sich der Roman kurz – wenig mehr als 150 Seiten. Der Autor verliert keine Zeit mit Überlegungen und Beschreibungen; die Sprache ist schlicht und sachlich. Hier hätte ich mir ein wenig mehr „Futter“ gewünscht – andere Leser werden diese Geradlinigkeit umso mehr mögen. Ein Ruhepunkt war immerhin der Todesfall am vierten Tag, der zwar nicht unerwartet kommt – er wird sorgfältig vorbereitet –, aber nach zwei Dritteln der rasanten Geschichte für ein wenig Erdung und Tiefe sorgt. Und am Schluss wird das übliche Krimigenre endgültig verlassen. Kennt jemand "Öffne die Augen" bzw. "Vanilla Sky"? Auch hier gibt es am Ende einen Dreh ins Phantastische, der diejenigen Zuschauer, die einen „echten" Krimi erwarten, vielleicht frustriert. Aber die werden „Die Schattenwelt des Baldo Richter“ ja schon wegen des Titelbilds nicht lesen ...
Zwei Zitate kann ich mir nicht verkneifen:
In einem längeren Gespräch im letzten Drittel äußert sich Herr Hallinger, einer der Drahtzieher des Romans, wie folgt: „Wir sollten uns fragen, ob die Welt nicht eher von einem Limonadenhersteller, von einer Restaurantkette oder von einem Softwaregiganten regiert wird. Die Zukunft wird nicht von überforderten Regierungschefs und hilflosen Finanzministern gemacht, sondern von Unternehmern mit Visionen. Die Regierenden sind in Kürze nur noch Marionetten der zukünftigen Marktführer.“
An dieser Stelle musste ich zurückblättern und mich vergewissern, wann das Buch spielt. 2010! Da wird es aber allerhöchste Zeit, dass jemand das ausspricht, was ich mir seit mindestens der letzten Wahl (vielleicht auch der vorletzten oder vorvorletzten) denke! Aber besser spät als nie ...
Und hier noch etwas ganz nach meinem Herzen. Baldo Richters neuer Freund, ein Blinder, der ebenfalls Richter heißt, führt ihm eine Aufnahme aus „La Traviata“ vor. „Wir sollten gemeinsam eine Opernaufführung besuchen, nachdem wir dieses Drama ausgestanden haben“, schlägt er vor. „Aber das lange Sterben ist nichts für einen jungen Mann. Nein, Parsifal ist die passende Oper für Männer Ihres Alters. Lassen Sie uns zu den Wagnerfestspielen fahren …“
Mal abgesehen davon, dass „La Traviata“ zu den Lieblingsopern meiner 21-jährigen Tochter zählt und ich nicht wirklich weiß, was im musikalischen Hirn eines jungen Mannes vorgeht – ich würde nie im Leben einem Neuling im Opernhören ausgerechnet zu den Wagnerfestspielen schleppen. Aber ich kann Wagner sowieso nicht leiden, obwohl ich es immerhin versuche. Mein letzter Versuch, Wagner zu goutieren – das war bei einer Übertragung einer Szene, die Siegfried beim Schwertschmieden zeigte – endete damit, dass meine Tochter hereinkam und fragte, ob ich schon wieder „Wüstenplanet“ gucke.
schmollfisch - 4. Dez, 00:57