Kurz vor der Müllabfuhr
Dem Ewald ist ganz fürchterlich mitgespielt worden. Gestern abend beim Rausfahren der Mülltonne (heute ist Müllabfuhr) habe ich ihn getroffen, und wie das so geht, er hat noch auf der Straße angefangen zu erzählen und zwei Stunden später habe ich ihn ins Haus gebeten, weil es zu regnen anfing. Da ging es dann noch mal zweieinhalb Stunden weiter. Aber die Geschichte selbst ist ganz schnell erzählt.
Die Ewaldine hat vor ein paar Monaten abends ein Häschen aus Baumwolle gehäkelt, ganz klein nur, als Schlüsselanhänger für Ewald. Der fand das Häschen so lieb, dass er gleich gefragt hat, ob Ewaldine noch mehr davon machen könne, so etwas wollten doch sicher viele Leute für ihre Schlüssel haben. Ewaldine hat sich ein wenig zögernd bereit erklärt; sie hat ja das Haus und den Garten, aber ab und zu ein Häschen machen wäre wohl schon drin. Nach Konsultation seines Steuerberaters hat Ewald einen Förderkredit für Kleinstunternehmer beantragt und einen Amazon-Shop für die Häschen eröffnet. Als Einstiegspreis hat er 79,90 Euro kalkuliert. Das ist schon recht günstig, wenn man all die Nebenkosten bedenkt.
Es lief zunächst ganz gut. Ewald bekam sogar zwei Fünf-Sterne-Rezensionen auf Amazon für das Häschen (es heißt übrigens „Johnny“), die sehr positiv klangen: „Ein Häschen, das viel mehr Beachtung finden sollte“ hieß es da, und „es ist natürlich anspruchsvoller als das durchschnittliche Häschen und lässt den Kunden zutiefst verstört und nachdenklich zurück, herausgerissen aus seiner Gutgläubigkeit …“ Ich habe Ewald vorsichtig gefragt, ob diese Rezensionen vielleicht von seiner Schwiegermutter und seinem Steuerberater stammen könnten. Da wurde er ganz furchtbar sauer und ließ sich nur dadurch besänftigen, dass ich eine Flasche Rotwein aus dem Keller holte.
Ewald hat einige Bestellungen für Häschen bekommen. Die Ewaldine hat ungefähr alle zwei Wochen eines gehäkelt, und das passte gut, weil sie immer sonntags beim „Tatort“ häkelt und gerade drei Stunden, also zwei Tatorte, für ein Häschen braucht. Sie macht die Häschen dann auch gleich versandfertig, versieht sie mit einem Schlüsselring, packt sie in Seidenpapier und flüstert ihnen zum Abschied zu, dass sie nun in die weite Welt hinaus müssen und sich in acht nehmen sollten, weil die Welt ganz furchtbar schlecht ist. (An diesem Punkt seiner Erzählung brach Ewald in Tränen aus und konnte erst weiter berichten, nachdem ich noch eine Flasche Rotwein aus dem Keller geholt hatte.)
Nachdem also das Geschäft mit dem Häschen ein gutes halbes Jahr einigermaßen gelaufen war, hat plötzlich eine Kundin in ihrem Weblog das Häschen übel heruntergemacht. Dabei (rief Ewald verzweifelt aus) hat sie nicht mal ein Häschen gekauft! Sie hat es bloß bei einer Bekannten gesehen, ein wenig untersucht und untersteht sich, aufgrund dessen mitten ins Internet zu schreiben, das Häschen sei dilettantisch gemacht! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Ewald ist gleich zum Steuerberater gerannt und hat gefragt, was er nun machen soll. Nach einigem Nachdenken hat der Steuerberater gemeint, dass im Prinzip jeder Kunde über jedes Produkt schreiben könne, was er wolle, aber wenn bewusste Geschäftsschädigung im Spiel sei, könne es sich auch um einen Straftatbestand handeln. Ewald hat also ein wenig nachgeforscht und festgestellt, dass diese Frau vor fünf Jahren in einem Häkelforum einige von ihr gefertigte Topflappen vorgestellt hat, die aber von den anderen Forenmitgliedern gar nicht positiv bewertet wurden. Klarer Fall: Die Frau war bloß neidisch, ihre Rezension entbehrt jeglicher Grundlage! Außerdem ist sie, wie Ewald herausgefunden hat, genau 29 Jahre alt, ein ganz gefährliches Alter für Frauen! Bestimmt ist sie frustriert oder frigide oder beides, hat keinen Freund, keinen Hasen und keine Ahnung vom Häkeln, wahrscheinlich ist sie sogar (hier machte Ewald eine dramatische Pause, die ich nur durch das Öffnen der dritten Flasche beenden konnte) eine Quotenfrau!! Ewald hat die Frau also angeschrieben und ihr mit Klage gedroht. Damit sie ihre Rezension nicht nachträglich ändert, hat Ewald vorher einen Screenshot von ihrem Blog gemacht und auch Screenshots von allen anderen Blogs, in denen ebenfalls ungünstige Rezensionen über das Häschen aufgetaucht sind (natürlich alle von der ersten abgeschrieben und von Leuten, die das Häschen nicht mal gekauft haben, denn so viele Häschen hat er ja gar nicht verkauft - was hinreichend beweist, dass all diese Leute ihn bewusst schädigen wollen). Weil es so viele sind, hat er sich eine externe Festplatte kaufen müssen, aber die setzt er ja von der Steuer ab.
Ewald ist fest entschlossen, all die bösen Leute, die in ihren Blogs das Häschen verrissen haben, vor Gericht zu zerren. Er hat schon einen Brief an seine Rechtsschutzversicherung geschrieben. Nun ist aber das Allerschlimmste passiert: Die Ewaldine hat sich gestern zufällig an den Rechner gesetzt; nicht wegen des Häschens, sondern weil sie sich den Tourneeplan von David Garrett runterladen wollte. Da ist sie zufällig über Ewalds Verlaufsordner auf über siebenhundert (!!!) Links gestoßen, in denen dieses Bild zu sehen ist:
Und nun weigert sie sich, weitere Häschen zu häkeln! Ganz egal, wie der Rechtsstreit ausgeht, sie will einfach nicht mehr! Sie hat ihre Wolle und die Häkelnadel weggeschmissen und Ewald angeschrieen, dass sie nicht mehr bereit ist, weitere Exemplare ihres „Johnny“ in diesem Sündenpfuhl da draußen hinauszuschicken. Ewald ist am Ende. Ich habe ihm versprochen, die Geschichte hier zu erzählen und meine Leser zu fragen, ob vielleicht da draußen irgend jemand sitzt, der solche Häschen häkeln kann, damit „Johnny“ weiterlebt. Das darf doch einfach nicht das Ende sein! Helft alle mit! Schickt positive Energien! Murmelt Mantren! Bildet eine Lichterkette rund um den Globus! Unser Häschen darf nicht sterben!
Heute ist Müllabfuhr!
Die Ewaldine hat vor ein paar Monaten abends ein Häschen aus Baumwolle gehäkelt, ganz klein nur, als Schlüsselanhänger für Ewald. Der fand das Häschen so lieb, dass er gleich gefragt hat, ob Ewaldine noch mehr davon machen könne, so etwas wollten doch sicher viele Leute für ihre Schlüssel haben. Ewaldine hat sich ein wenig zögernd bereit erklärt; sie hat ja das Haus und den Garten, aber ab und zu ein Häschen machen wäre wohl schon drin. Nach Konsultation seines Steuerberaters hat Ewald einen Förderkredit für Kleinstunternehmer beantragt und einen Amazon-Shop für die Häschen eröffnet. Als Einstiegspreis hat er 79,90 Euro kalkuliert. Das ist schon recht günstig, wenn man all die Nebenkosten bedenkt.
Es lief zunächst ganz gut. Ewald bekam sogar zwei Fünf-Sterne-Rezensionen auf Amazon für das Häschen (es heißt übrigens „Johnny“), die sehr positiv klangen: „Ein Häschen, das viel mehr Beachtung finden sollte“ hieß es da, und „es ist natürlich anspruchsvoller als das durchschnittliche Häschen und lässt den Kunden zutiefst verstört und nachdenklich zurück, herausgerissen aus seiner Gutgläubigkeit …“ Ich habe Ewald vorsichtig gefragt, ob diese Rezensionen vielleicht von seiner Schwiegermutter und seinem Steuerberater stammen könnten. Da wurde er ganz furchtbar sauer und ließ sich nur dadurch besänftigen, dass ich eine Flasche Rotwein aus dem Keller holte.
Ewald hat einige Bestellungen für Häschen bekommen. Die Ewaldine hat ungefähr alle zwei Wochen eines gehäkelt, und das passte gut, weil sie immer sonntags beim „Tatort“ häkelt und gerade drei Stunden, also zwei Tatorte, für ein Häschen braucht. Sie macht die Häschen dann auch gleich versandfertig, versieht sie mit einem Schlüsselring, packt sie in Seidenpapier und flüstert ihnen zum Abschied zu, dass sie nun in die weite Welt hinaus müssen und sich in acht nehmen sollten, weil die Welt ganz furchtbar schlecht ist. (An diesem Punkt seiner Erzählung brach Ewald in Tränen aus und konnte erst weiter berichten, nachdem ich noch eine Flasche Rotwein aus dem Keller geholt hatte.)
Nachdem also das Geschäft mit dem Häschen ein gutes halbes Jahr einigermaßen gelaufen war, hat plötzlich eine Kundin in ihrem Weblog das Häschen übel heruntergemacht. Dabei (rief Ewald verzweifelt aus) hat sie nicht mal ein Häschen gekauft! Sie hat es bloß bei einer Bekannten gesehen, ein wenig untersucht und untersteht sich, aufgrund dessen mitten ins Internet zu schreiben, das Häschen sei dilettantisch gemacht! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Ewald ist gleich zum Steuerberater gerannt und hat gefragt, was er nun machen soll. Nach einigem Nachdenken hat der Steuerberater gemeint, dass im Prinzip jeder Kunde über jedes Produkt schreiben könne, was er wolle, aber wenn bewusste Geschäftsschädigung im Spiel sei, könne es sich auch um einen Straftatbestand handeln. Ewald hat also ein wenig nachgeforscht und festgestellt, dass diese Frau vor fünf Jahren in einem Häkelforum einige von ihr gefertigte Topflappen vorgestellt hat, die aber von den anderen Forenmitgliedern gar nicht positiv bewertet wurden. Klarer Fall: Die Frau war bloß neidisch, ihre Rezension entbehrt jeglicher Grundlage! Außerdem ist sie, wie Ewald herausgefunden hat, genau 29 Jahre alt, ein ganz gefährliches Alter für Frauen! Bestimmt ist sie frustriert oder frigide oder beides, hat keinen Freund, keinen Hasen und keine Ahnung vom Häkeln, wahrscheinlich ist sie sogar (hier machte Ewald eine dramatische Pause, die ich nur durch das Öffnen der dritten Flasche beenden konnte) eine Quotenfrau!! Ewald hat die Frau also angeschrieben und ihr mit Klage gedroht. Damit sie ihre Rezension nicht nachträglich ändert, hat Ewald vorher einen Screenshot von ihrem Blog gemacht und auch Screenshots von allen anderen Blogs, in denen ebenfalls ungünstige Rezensionen über das Häschen aufgetaucht sind (natürlich alle von der ersten abgeschrieben und von Leuten, die das Häschen nicht mal gekauft haben, denn so viele Häschen hat er ja gar nicht verkauft - was hinreichend beweist, dass all diese Leute ihn bewusst schädigen wollen). Weil es so viele sind, hat er sich eine externe Festplatte kaufen müssen, aber die setzt er ja von der Steuer ab.
Ewald ist fest entschlossen, all die bösen Leute, die in ihren Blogs das Häschen verrissen haben, vor Gericht zu zerren. Er hat schon einen Brief an seine Rechtsschutzversicherung geschrieben. Nun ist aber das Allerschlimmste passiert: Die Ewaldine hat sich gestern zufällig an den Rechner gesetzt; nicht wegen des Häschens, sondern weil sie sich den Tourneeplan von David Garrett runterladen wollte. Da ist sie zufällig über Ewalds Verlaufsordner auf über siebenhundert (!!!) Links gestoßen, in denen dieses Bild zu sehen ist:
Und nun weigert sie sich, weitere Häschen zu häkeln! Ganz egal, wie der Rechtsstreit ausgeht, sie will einfach nicht mehr! Sie hat ihre Wolle und die Häkelnadel weggeschmissen und Ewald angeschrieen, dass sie nicht mehr bereit ist, weitere Exemplare ihres „Johnny“ in diesem Sündenpfuhl da draußen hinauszuschicken. Ewald ist am Ende. Ich habe ihm versprochen, die Geschichte hier zu erzählen und meine Leser zu fragen, ob vielleicht da draußen irgend jemand sitzt, der solche Häschen häkeln kann, damit „Johnny“ weiterlebt. Das darf doch einfach nicht das Ende sein! Helft alle mit! Schickt positive Energien! Murmelt Mantren! Bildet eine Lichterkette rund um den Globus! Unser Häschen darf nicht sterben!
Heute ist Müllabfuhr!
schmollfisch - 25. Jan, 13:17