... so leicht und sicher war mein gang ...

ich trinke sprache
mein kinn und mund gleicht dem rand
des buches
doch meine verse

rutschen aus dem papier
geplatzter tüte
am boden kullern
worte umher

Am Anfang war das Feuer

Ewald war ja schon wieder mit seinem Camper unterwegs, hat er mir erzählt. Wie immer ziemlich planlos. Auf beharrliches Nachfragen habe ich herausbekommen, dass er in Frankreich war. Und dass er irgendwann am Horizont in der Ferne den Mont St. Michel gesehen hat. Also war er wohl in der Bretragne. Oder der Normandie. Oder bei den Sch'tis, mit einem guten Fernglas.
Mehr hat er nicht erzählt, trotz weiteren beharrlichen Nachfragens. Ewald erzählt ja nie viel. Was wahrscheinlich daran liegt, dass er so wenig sieht. Zum Beispiel hat er nicht mitbekommen, dass seine Nachbarn im Camp ein Häschen dabeihatten. Er meint, sie hatten einen Beistelltisch und darauf standen der Topf mit Muscheln und die Weinflasche. Dass es kein Beistelltisch war, sondern ein Hasenstall mit einem schwarzweiß gefleckten Häschen darin, hat mir dann die Ewaldine berichtet.
Auch von den Campern hinter ihm hat Ewald nichts gesehen (wahrscheinlich, weil sie hinter ihm waren). Nach Ewaldines Kopfzählung waren es Stücker zehn. Alle so um die zwanzig alt. (Besser als zwanzig um die zehn alt.) Die hatten eines dieser Wurfzelte, bei denen man weder Gestänge noch Planen händeln muss. Sie sind leicht aufgebaut: man wirft sie in die Luft und wenn sie wieder runterkommen, stehen sie. Schwieriger ist es mit dem Abbau. Ewaldine meint, vier von den zehn Campern hätten Waschbrettbäuche gehabt. Die hätten sich zu viert auf das Zelt draufgeworfen, um es zu bändigen und in die Tasche zu wurschteln. Wahrscheinlich machten sie das schon länger und waren deshalb so gut trainiert.
All das hat Ewald nicht gesehen. Er war gerade damit beschäftigt, sein Navi-Gerät zurechtzuweisen.
Voriges Jahr hat er mir geschrieben, er hätte zwei Rocker beobachtet, die ein großes Steak hatten, aber keinen Grill. Die haben einfach Öl über ihr Steak geschüttet, es auf einen Kanaldeckel gelegt und angezündet.
Am Anfang war bekanntlich das Feuer. Und bei manchen Campern ist es auch beinahe schon das Ende. Ewald hat gerade gemütlich neben seinem Camper gesessen und versucht, das Verfallsdatum auf seiner Schinkenpackung zu entziffern. Gegenüber am Kiesweg war eine Wasserzapfstelle. Ewald hörte plötzlich ein "Fump", das klang, als hätte jemand eine gigantische Champagnerflasche geöffnet. Als er von seiner Schinkenpackung aufschaute, bekam er gerade noch mit, wie ein dicker nackter Mann an den Wasserhahn stürzte, ihn bis zum Anschlag aufdrehte und sich in ganzer Länge darunter warf. Er ließ das eiskalte Wasser auf sich herabprasseln, ohne einen Laut von sich zu geben. Ewald ist ganz schnell in seinen Camper zurück unter dem Vorwand, dass er seinen Schinken in den Kühlschrank legen musste. In Wirklichkeit war ihm unheimlich.
Die Ewaldine ist dann aber am nächsten Tag zwei Mumien begegnet, beide von oben bis unten in weiße Binden eingewickelt, die auf dem Campingplatz spazieren gingen. Das waren der dicke Mann und seine Frau. Sie hatte bloß ein wenig Benzin auf ihren Grill geschüttet, damit es schneller geht.
Ganzkörperepilation in drei Sekunden, sagte die Ewaldine dazu.
Bemerkenswert fand sie aber, dass kein Klagen und kein Schimpfen zu hören war. Weder als es passierte (kein Schmerzenslaut), noch später. Die Leute machten sich gar nichts daraus. Spazierten mit ihrer Ganzkörperbandage durch den Campingplatz, als sei nichts gewesen. Dem Häschen ist auch nichts passiert. Es hat sogar sein Fell noch.

Modeste, Reitpferd, Nachschlag

Die gestrigen Überlegungen zu der Frage, wie viele Reitpferde Frau Modeste ihr eigen nennt, sind, wie dem Fisch inzwischen klar geworden ist, nicht unbedingt logisch. Man kann einen Wintermantel besitzen, ohne einen Sommermantel zu haben; man kann sogar einen Apfelschimmel im Stall stehen haben, ohne dass ein Birnenfuchs daneben stünde oder ein Blauschimmelkäse daneben läge. Halten wir also fest: Modestes Sommerrappe heißt nicht deshalb so, weil sie ihn sommers reitet, während ab November der Winterrappe Dienst hat. Sondern, wie hier nachzulesen ist, der Sommer- und der Winterrappe sind nicht richtig schwarz, sondern je nach Jahreszeit auch mal braun.

Eigenartigerweise schweigt sich die Quelle darüber aus, wann welcher Rappe schwarz ist und wann braun. Es kann doch wohl nicht sein, dass der Sommerrappe im Sommer schwarz ist, dank der intensiven Wintersonne aber winters ausbleicht? Schon wieder dräut die Logik am Horizont. Wie dem auch sei, Blaustrumpf, die dem Fisch die obige Quelle verlinkt hat, lenkte die Aufmerksamkeit des Fischs auf folgenden Gesichtspunkt: Ist Modestes Rappe folglich nicht lichtecht? Achtung - kann je nach Jahreszeit ausbleichen! Nicht mit anderen Farben zusammen waschen! Ein Schuss Essig in den letzten Spülgang bringt einen Teil der Leuchtkraft zurück! Modeste reitet eine Billigzosse vom Discounter, womöglich Import aus Hongkong! Herr zur Megede hat diese Person nicht so richtig ausreifen lassen.

Das ist aber nicht der einzige Vorwurf, den ich ihm mache, und damit kommen wir mal wieder zur Literaturkritik. Die Beschäftigung mit landwirtschaft- und jagdlichen Belangen gebiert ja eine überlegene Ausstrahlung, die aus der Sicht des Laien manche Unterhaltung erschwert, weil es Ausdrücke hagelt, die man noch nie gehört hat. Das sei den Fachleuten von Herzen gegönnt; es hat ja jeder seine Nische und macht es sich da drin behaglich. Warum muss sich aber diese Grundhaltung bis in die literarischen Früchte der fachkundigen Autoren fortsetzen? Ich will jetzt gar nicht wieder Herrn zur Megede niedermachen, der hat im letzten Eintrag genug einstecken müssen. Nehmen wir statt dessen William v. Simpson, der in den 1930er Jahren die Familienschmonzette "Die Barrings" schrieb, die damals ein Bestseller gewesen sein muss (meine geerbte Ausgabe entstammt dem 390. Tausend!!). Simpson war, wie Wikipedia uns belehrt, der Sohn eines Pferdezüchters, wovon er sich offenbar nicht mehr vollständig erholt hat; jedenfalls ventiliert er Sätze wie diesen: "Unter den Remonten hatte die Druse furchtbar gewütet." Wer will und Google zur Hand hat, mag herausfinden, dass Remonten dreijährige Pferde sind, aber das konnte Simpson ja schlecht voraussetzen - 1937 gab es noch kein Google! Die Druse, schließt der Fisch messerscharf (schon wieder logisches Denken), muss eine Pferdekrankheit sein, und zwar eine schlimme, da sie "wütet". Zwei Seiten später wird dem Fisch auch klar, was für eine Krankheit die Druse ist: Sie befällt die Beine der Pferde. Da beschreibt Simpson nämlich eine Massenpanik unter achtzig Remonten mit den Worten: "Dreihundert Hufe donnerten auf Barring zu" - was bedeutet, dass unter den achtzig Remonten zwanzig dreibeinige Pferde gewesen sein müssen, oder zehn zweibeinige, oder fünf beinlose Pferde, die den anderen fünfundsiebzig auf dem Bauch hinterherrutschen. Ja. Da muss die Druse wirklich furchtbar gewütet haben. Abfallende Pferdebeine! O Horror!

Ich schwöre, wenn mein Spinnkrimi jemals fertig ist, dann werde ich jeden einzelnen Gegenstand, den ich mit einem Fachausdruck belege, genau erklären. Ich werde sogar erklären, woher die Doppelbedeutung des Wortes "spinnen" kommen könnte. Man hat nämlich früher in den Irrenhäusern die Irren spinnen lassen, damit sie zu etwas nützlich waren. Vermutlich gehören wir Spinnerinnen zu den Nachfahren derjenigen, die man irgendwann hat laufen lassen, weil sie harmlos waren.

Modeste, Reitpferd ...

Über Dummsätze habe ich ja schon mehrmals geschrieben. Es gibt aber auch Sätze, die für sich genommen gar nicht dumm sind, mich aber aus irgendeinem anderen Grund nicht mehr loslassen wollen. Zum Beispiel folgender Satz:

"Modeste hat kein Reitpferd!"

Am besten übt man das vor dem Spiegel ein. Es ist im Ton tiefster Entrüstung zu sprechen, so wie die Oma etwa nach dem ersten Enkelbesuch zum Opa sagen würde: "Chantal hat kein Dreirad!"

Zufällig weiß ich noch genau, wo der Modeste-Satz herkommt, nämlich aus Balzacs Roman "Modeste Mignon". An den Zusammenhang kann ich mich just leider nicht erinnern. Da mir der Satz nicht mehr aus dem Kopf geht, ich aber auch keine Lust habe, den ganzen Roman nochmal zu lesen, nur um den Satz dingfest zu machen, habe ich mit Modeste und Reitpferd gegoogelt. Da hat sich ein Abgrund aufgetan. Der Abgrund führt den Namen Johannes Richard zur Megede und gähnt beim Gutenberg-Projekt. Herr zur Megede ist ein (sehr zu Recht) vergessener Autor, der sein Elaborat dem "Fräulein Luise Voigt" zugeeignet hat, "zur Erinnerung an italienische Frühlingstage". Die titelgebende Heldin Modeste ist nun weit davon entfernt, kein Reitpferd zu haben. Sie hat offenbar mindestens deren vier. Laut Auskunft von Herrn zur Megede reitet sie nämlich "ihren Sommerrappen". Was nach dem Gesetz der Logik bedeutet, dass mindestens noch ein Winterrappe und ein Sommerschimmel (oder -fuchs) existieren müssen, wahrscheinlich sogar auch noch ein Winterschimmel oder -fuchs. Herbst und Frühling wollen wir mangels Platz im Stall mal außen vor lassen, zumal auch noch ein "Inspektorbrauner" drin steht. Es wird jedenfalls auf den ersten Blick klar, dass die Heldin den Namen Modeste, der den gleichen Wortstamm wie modesty = Bescheidenheit oder Mäßigung besitzt, sehr zu Unrecht führt.

Ach ja. Kürzlich war auf mehreren News-Seiten über die Auswirkungen romantischer Liebesromane auf die weibliche Seele nachzulesen. Ich zitiere: «Er nahm sie in seine männlichen Arme und beugte sich mit seinen Lippen zu den ihrigen» - solche und ähnliche Sätze können für Frauen nach Ansicht einer bekannten britischen Psychologin psychische Folgen haben. Ich persönlich bin der Meinung, solche Sätze können für keinen Leser, ob männlich oder weiblich, gesund sein. Herr zur Megede hat das offenbar nicht gewusst, oder die psychische Gesundheit des Fräulein Luise Voigt war ihm wurscht (da könnte man übrigens einen interessanten Krimi draus machen). Ich zitiere erneut, diesmal Herrn zur Megede:

Es ist ein wundersamer Reiz um eine im lachenden Frühling weinende Frau! - Die singenden Bäume stimmten wieder ihren Liebesgesang an - aber er klang voller, wilder, wie schwüles Frühlingssehnen, wie heißes Liebesgewähren... Und auf einmal fühlte sich Modeste emporgehoben, geküßt, gepreßt, in tödlich starker Umarmung. Sie wollte schreien - die Stimme erstarb. Sie wollte sich losreißen - die Muskeln versagten. Es war ein so dürstender Männermund, so fiebernde Augen, so stammelnde Laute...
Sie wollte die weichen Lippen voll Abscheu schließen und öffnete sie doch voll Verlangen. Die Augenlider sanken ihr. Das große, das uferlose Gefühl strömte zu ihr hinüber, zwang sie. Sie küßte wieder - sie mußte. Aber die Frauen küssen bei der ersten Liebessünde - halb Scham, halb Lust. Sie hörte, sie sah nichts mehr - nur die purpurwipflichen Bäume und ihr wild klagendes Liebeslied glitten vor ihren heiß verschleierten Sinnen. Es war eine tiefe köstliche Ohnmacht, deren Dauer man nicht kennt, deren Nervenzittern man nur nachspürt.


Dem ist nichts hinzuzufügen. Das ist nicht nur ungesund, das hat Suchtpotential. Lesen Sie weiter! Hier! Ich will purpurwipfliche Bäume sehen! Auf zur Megede!!

Ps. Meine liebe Freundin Blaustrumpf hat mich darauf hingewiesen, dass der Besitz eines Sommerrappen nicht den eines Winterrappen notwendig bedingt, siehe hier. Ich korrigiere also: Modeste hat mindestens ein Pferd, denn der Inspektorbraune gehört vermutlich nicht ihr, sondern dem Inspektor. Da ihr in dem teilweise oben zitierten Kapitel vom Reiten des Sommerrappen dringend abgeraten wird, denn "er hat zwei Tage gestanden und keilt sich mit allen Pferden", müssen noch ein paar andere da sein. Sonst hätte der Sommerrappe ja nichts zum Keilen.
Danke Blaustrumpf!

PPS. Ich habe gestern seit ich weiß nicht wie vielen Monaten zum ersten Mal wieder unseren alten geerbten Mercedes gefahren. Aber der hat sich mit niemandem gekeilt. Er ist ja auch ein Allwetterweißer.

Beichte

Gerade habe ich in einem Schreibforum einen Text gelesen, der mich an folgende Szene erinnert hat:

Ich war zum ersten Mal in Toledo. Toledo, das hieß damals für mich: Schwerter und El Greco. Eines von El Grecos berühmtesten Gemälden, das "Begräbnis der Grafen Orgaz" (auf dem angeblich El Grecos kleiner Sohn eine Statistenrolle einnimmt), ist in Toledo zu besichtigen. Beim Wandern durch die Altstadt stieß ich mehrmals auf ein Plakat, das genau jenen Bildausschnitt mit El Grecos Sohn zeigte. Dazu war eine bestimmte Kirche genannt. Wo, so schloss ich, das Bild also hängen musste.




Ich weiß nicht mehr, wie lange ich brauchte, die Kirche zu finden. Eigentlich fand ich sie überhaupt nicht, sie fand mich. Ich hatte die Suche aufgegeben, mit meiner Tochter ein Dekorationsschwert gekauft (sie schwärmte damals für solche Sachen), Pizza gegessen und mich auf den Rückweg Richtung Hotel gemacht, als ich plötzlich auf einem kleinen dunklen Platz wieder auf das bewusste Plakat stieß, das direkt neben der Eingangstür einer Kirche aufgebaut war.


Meine Tochter wollte nicht hinein, da sie ihr Riesen-Schwertpaket im Arm hatte. Ich eigentlich auch nicht, denn drinnen saßen betende Leute. Immerhin war kein Gottesdienst im Gang. Ich schob mich seitwärts unauffällig durch die Tür und machte einen Rundgang um den Kirchenraum, ohne das Bild finden zu können. Es war zappenduster in den Seitengängen. Selbst wenn ich das Bild gefunden hätte, ich hätte wohl nichts darauf erkannt.
Als ich zum zweiten Mal an dem hölzernen Beichtstuhl vorbeikam, sprang das Türchen auf, und ein Priester kam herausgestürzt. Er hastete so schnell davon, dass ich nur einen flüchtigen Eindruck behielt. Er war jung, groß, schwarzhaarig, traditionell gekleidet in Soutane und weißes Chorhemd. Sein Gesicht war verkrampft und blass. Er verschwand im Dunkel der Seitengänge.
Wenn dies ein Roman wäre, würde ich schreiben, ich sei stehengeblieben und hätte gewartet, bis der Beichtstuhl auch den Sünder ausspuckte. Um zu sehen, wie er aussah. Finster. Teuflisch. Ein Serienmörder. Oder so.
Natürlich tat ich nichts dergleichen. Ich machte, dass ich wegkam.
Das Bild - eine ekstatische, gewittrige Malerei - habe ich letztes Jahr anschauen können, als ich wieder in Toledo war. Ich hätte es gern ganz gezeigt, aber die Wikimedia-Darstellungen sprengen mein Blog. Wer will, kann gern hier nachschauen - ausdrücklich empfohlen!

Ja. Daran hat mich der Anfang eines Krimis erinnert, den ich vorhin online gelesen habe.
Ach, Toledo. Du stolze Schöne auf dem Felsenthron ...

Rein. Raus.

Ein bekannter Schauspieler. Behaupten meine Gesprächspartner im Speisesaal, zitieren die Fernsehzeitung, geben Sendezeiten an, nennen ihn „den anderen Dicken, neben dem, den Sie kennen, dem berühmten, Sie wissen ja“. Vorabendprogramm. Gucke ich nie. Den berühmten Dicken kenne ich, den anderen Dicken nicht. Auch nicht, als er mir endlich gezeigt wird, nachmittags auf der Sonnenterrasse. Er sitzt im Rollstuhl und trinkt Bier. Vor sich die Zeitung, die Zigarettenschachtel.
Er will nicht angesprochen werden, teilt man mir mit. Dann wird er grantig. Vorsicht. Keine Autogrammwünsche.
Das glaube ich gern. Er sieht explosiv aus mit dem feuerroten Kopf, dem Doppelkinn, den finster gerunzelten Augenbrauen. Er trägt Spezialschuhe, die nicht zum Laufen taugen, was auch sinnlos wäre, da er ohnehin nicht laufen kann. Die Schuhe sind oben und unten dick gepolstert. Er raucht ununterbrochen. Liest die Zeitung. Verharrt eine Viertelstunde lang mit in den Kopf gestützter Hand. Bejaht dem Kellner, der das leere Glas wegräumt und „noch eins?“ fragt. Ein neues Glas wird hingestellt. Neue Zigarette. Einen Käsekuchen.
Abends im Speisesaal belehrt man mich, dass er sicher schwere Sorgen habe, er habe schlimme Diabetes, nicht wahr, und die Ärzte wollten ihm einen Fuß „abnehmen“. Abnehmen. Komisches Wort. Die meisten hier wollen abnehmen. Das ist das Grundübel. Man nimmt den Leuten das Gepäck ab, den Therapieplan bei Betreten des Schwimmbads, das Handy, die Anamnese (was mich immer an Amnesie erinnert) und mit zweifelndem Zungenschnalzen die Behauptung, dass man gar nicht recht wisse, wieso man überhaupt hier sei, da Blutdruck Zucker Gewicht Alkohol Nikotin doch alles im Rahmen sei.
Der bekannte Schauspieler, denke ich ein wenig patzig, sollte sich nicht so anstellen. Dem Aussehen nach ist er mindestens Mitte sechzig. Trinkt Bier und raucht Kette. Warum auch nicht. Er kann sich ja zur Ruhe setzen.
Am nächsten Tag sehe ich den bekannten Schauspieler das erste Mal lachen. Es geschieht im Fitnessraum. Er fährt mit dem Rollstuhl ein Gerät, dessen Zweck ich aus meiner Position (auf dem Trainingsfahrrad sitzend) nicht genau erkennen kann, aber er steckt seine Chipkarte ein, zieht probeweise an den Haltegriffen, setzt sich in Positur, bringt die Zeitung in Anschlag, liest einen langen kleingedruckten Artikel (sicher Feuilleton), zieht dabei rhythmisch an den Griffen, dass die Adern an seinen dicken Armen hervortreten, bläst die Backen auf und lacht über etwas, was in der Zeitung steht.
Da haben die Ärzte wohl Entwarnung gegeben, sagt man mir im Speisesaal. Der Fuß darf dranbleiben. Nachmittags sitzt er auf der Sonnenterrasse, Bier und Zigaretten neben sich, blinzelt in die Linde hinauf, grüßt den Kellner: Noch eines bitte.
Neugierig geworden, suche ich ihn nach meiner Heimkehr bei Google und stelle fest, dass er fünf Jahre jünger ist als ich, noch nicht mal fünfzig. Bisschen früh für Ruhestand.
Im Kloster Benediktbeuern habe ich mir eine Postkarte gekauft. Sie zeigt einen Hasen mit aufgerichteten Ohren und Aufschrift. Linkes Ohr: Da rein. Rechtes Ohr: Da raus.
Ich nehme mir die Zeitung vor, suche nach dem Vorabendprogramm. Auf den Googlefotos lacht er. Immer.

Gespräch im Kurhotel

Sie: "Ich nehme einfach nicht ab!"
Er: "...." (kaut)
Sie: "Mein Mann hat schon sechs Kilo abgenommen, und ich esse genau dasselbe und mache auch das ganze Bewegungsprogramm mit, und dabei nehme ich überhaupt nicht ab, kein Gramm nehme ich ab!"
Er: "..." (kaut)
Sie: "Und das Tollste ist, das Allergemeinste ist, dass er auch noch meine Portion mitisst! Ich habe abends nicht so Appetit, seit drei Tagen esse ich immer nur ein Stück Käse und schiebe ihm den Teller dann rüber, er isst das dann auf. Und dabei hat er fast sieben Kilo abgenommen. Und ich nehme einfach überhaupt nicht ab!"
Er: "Sie müssen Trennkost essen, ich esse seit fünf Wochen Trennkost und habe schon elf Kilo abgenommen!"
Sie: "Aber ich esse doch Trennkost!! Ich esse ja morgens nur noch diese Pflaumenpampe und abends keinen Fitzel Brot mehr, nur noch Tomate und ein Stück Käse, den Rest kriegt mein Mann! Und trotzdem nehme ich einfach nicht ab!"
Er: "Dann essen Sie ZUWENIG! Essen Sie mehr, dann nehmen Sie auch ab!"
Sie: "...!!!!" (schiebt angewidert den Teller weg)
Bedienung (zaghaft): "Kann ich hier abräumen?"

Graustufen I

An der Supermarktkasse.
Ein Herr um die 70, Strickjacke, grauer Bart, krummer Rücken, versucht ein Tabakpäckchen wieder ins Regal zurückzuwurschteln. (Auf dem Laufband: 1 Sack Kartoffeln, 1 Beutel Zwiebeln.)
Zweiter alter Herr, Alter dito, Strickjacke, Bart und Buckel dito, schiebt sich heran. "Lass mich ma." Er nimmt beide Hände zu Hilfe und drückt das Tabakpäckchen mit Gewalt hinein. (Auf dem Laufband: 2 eingetütete Roggenbrötchen.)
Alter Herr 1: "Ich sachja immer, die Zigarette nachem Frühstück iss des Beste."
Alter Herr 2: "..." (nuschelt)
"Obwohl, was die hier so verkaufe dunn ..."
"..." (nickt)
"Ich hon ja nen Kumpel, der fährt ab und zu nach Holland, und der bringt mir manchmal was mit, aus em Coffee Shop, verstehsde ... "
"..." (nuschelt)
"Ich sachja immer, in Holland is das alles viel eefacher ... was die hier immer e Gedees dadrum mache ..."
"..." (nickt)
"Das is doch das Beste, sachichja immer, in unserem Alter, nechwa ..."
Kartoffeln und Zwiebeln sind bei der Kassiererin angekommen. Alter Herr 1 zückt das Portemonnaie.
Verkäuferin (professionell): "Und, alles in Ordnung, alles gleich gefunden?"
Alter Herr 1: "Jo, alles, das heißt ... " (wendet sich an Alten Herrn 2 sowie mit der rechten Körperhälfte an mich) ... "was die hier immer für e Gedees drum mache, da musste halt in Holland iekaufe ..." (zahlt) "schöntach noch, gell ..." (geht ab)
Kassiererin (schaut verwirrt hinterher)



Achtung:



Samstagabend in Münster: Lesung des Blauen Salons!

Blubbern als Kunst!

besetzte-stuehle-3-klein

Wort des Monats

"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

Aktuelle Beiträge

Geschlossen.
Dieser Blog ist geschlossen. Bilder wurden entfernt,...
schmollfisch - 1. Apr, 23:42
Gesprächskultur
Mein früherer Schreibgruppenleiter hat mir mal (bei...
schmollfisch - 3. Mär, 10:27
Horrortrip in Düsseldorf
Ein alter Schreibfreund noch aus Lupenzeiten hat mir...
schmollfisch - 3. Nov, 08:46
Der Zauberstab
(Aus urheberrechtlichen Gründen alle Bilder sicherheitshalber...
schmollfisch - 7. Sep, 11:08
Extreme Bedingungen
In dem Klassikforum, in dem der Schmollfisch hin und...
schmollfisch - 5. Feb, 11:13

Suche

 

Archiv

April 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 

Status

Online seit 6670 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 1. Apr, 23:42

Credits

Knallgrau New Media Solutions - Web Agentur f�r neue Medien

powered by Antville powered by Helma


xml version of this page

twoday.net AGB

kostenloser Counter


fischgrund
oberwasser
on tour
quilting bee
Rhöner Literaturwerkstatt
schmollfisch lauscht
schmollfisch liest
subtitles
Tagesblupp
Vitrine für gewagte Thesen
Wider den Methodenzwang (mit Ewald)
Wo der Hase hinlief
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren