Literarisch anspruchsvoll

Kürzlich hat sich der Fisch einen Krimi gekauft. Ja, echt! Das war ja noch nie da: der Fisch hat sich einen Krimi gekauft! Es war einer vom Wühltisch, spielte in Irland und wurde auf dem rückwärtigen Einbanddeckel als "literarisch anspruchsvoll" gepriesen. Anspruchsvoll war jedenfalls erst mal das Preisetikett auf der Rückseite. Da war zwar ein Strichcode, aber er war überklebt und rot angestrichen. Dass der Fisch irgendein Sonderangebot an Land gezogen hatte, wies schon der Remittendenstempel am unteren Rand klar aus, aber was der Krimi nun kosten sollte, stand nirgends. Der Scanner an der Kasse meldete ERROR und schwieg hinfort. Klar, hier war Detektivarbeit gefragt ... Die Kassiererin, eine ältliche Dame (ungefähr ebenso alt wie der Fisch) mit auf die Nasenspitze gerutschter Lesebrille, rief eine Kollegin herbei und beauftragte sie, auf dem Wühltisch nach einem zweiten Exemplar des Buches zu suchen, möglichst mit leserlichem Preis. Während die Kollegin sucht, lehnt der Fisch flossentrommelnd am Tresen und die Kassiererin besieht sich stirnrunzelnd die Inhaltsangabe auf dem hinteren Einbanddeckel, auf dem von einem tödlichen Verkehrsunfall in einem Provinznest, einem "abgehalfterten" Polizisten und korrupten Vorgesetzten die Rede ist. "Das wär auch mal ein Buch für mich", bemerkt die Kassiererin, "sowas mit Psychopathen lese ich auch gerne ..."
"Ach ja?", antwortet der Fisch höflich.
"Ich hatte neulich so ein Buch, auch vom Wühltisch", berichtet die Kassiererin, "da ging es um eine Frau, die lebendig begraben wurde ... sie war bewusstlos geschlagen worden und wachte im Sarg wieder auf ... der Täter war so ein Verrückter, der das mit Absicht machte ... wie hieß das Buch nur noch, warten Sie mal, wie hieß das noch ..."
Der Fisch grübelt und erinnert sich an zwei Filme, in denen es um lebendig eingesargte Menschen ging; der eine mit Kevin Beacon und Jeff Bridges, der andere mit Hannelore Hoger. Aber Bücher mit diesem Thema fallen ihm nicht ein, außer einer Geschichte von Edgar Allan Poe, die die Kassiererin mit Sicherheit nicht meint. "Warten Sie mal ...", die Kassiererin fasst sich an die Stirn, "das war ein Serienmörder, ich komme noch drauf, Moment ..." Mittlerweile stehen zwei weitere Kunden fingertrommelnd am Tresen, die rettende Kollegin mit der korrekten Preisangabe ist nicht in Sicht, der Fisch hat das Portemonnaie offen, aber keine Anweisung, wieviel er zahlen soll. "Warten Sie mal ... ich komm noch drauf ..."
"War es vielleicht dieses", nun kommt der Fisch selbst nicht drauf, "dieses Dingsbums, das von Lars Stiegson, dieses Millenniumdingsda, da wird eine Frau lebendig eingegraben ....", die Kassierin blickt interessiert; gibt es wirklich noch Menschen, die das Millenniumdingsda nicht kennen?? -, "aber die hatte einen Kopfschuss ... und hat sich selbst wieder befreit ..."
Aus den zwei fingertrommelnden Kunden sind inzwischen vier geworden. Der letzte macht den Hals lang und versucht den Titel des literarisch anspruchsvollen Krimis zu lesen, den der Schmollfisch kaufen will. Die Kollegin kommt nicht. Die Kassiererin dreht das Buch hin und her. "Nee, so was war es nicht, die lag im Sarg, und der Täter hatte extra ein Mikrophon eingebaut und ein Kabel rausgelegt, um ihre Schreie hören zu können ... echt total krank sowas ... aber ich hab es gerne gelesen ..."
Ein Blinken auf dem Bildschirm. "Ach, sehen Sie, nun hat der Scanner es doch gefressen. Drei fünfzig macht das."
Der Schmollfisch zahlt erleichtert und lässt sich das Buch eintüten. Im Weggehen ruft die Kassiererin noch hinter ihm her:
"Und das Tollste war - das Buch stammte von einer FRAU!!!"

Blubbern als Kunst!

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"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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