Die Wolferl-Matrix

Beim Durchblättern des Jokers-Katalogs stieß ich auf einen Krimi, dessen Titel ich wieder vergessen habe. Es ging darin um einen Wissenschaftler, der ein schlimmes Drama durchlebt: Seine Tochter wird ermordet. Der Täter wird nie gefasst. "Durch Zufall" gelangt der Wissenschaftler in den Besitz von DNA-Material des Mörders (Zufall ist in diesem Fall vermutlich ein Euphemismus dafür, dass er die Polizei beklaut). Und was tut der Wissenschaftler? Ganz klar: Er klont den Mörder. Dann muss er nur noch ein paar Jahre abwarten, um zu wissen, wie der Gesuchte aussieht.
Ich suche ja keinen Mörder, aber es wäre sicher interessant herauszufinden, wie der eine oder andere längst verstorbene Prominente ausgesehen haben mag. Von Goethe und Beethoven weiß man es ja so halbwegs, aber was ist zum Beispiel mit Mozart? In dem bekannten Amadeus-Film äußert er beim Aufprobieren von Perücken, er hätte am liebsten drei Köpfe, weil die Wahl so schwer sei. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass Mozart tatsächlich drei Köpfe hatte, so verschieden wie die überlieferten Porträts aussehen. (Im ebenfalls längst entschlafenen Apollopark gab es eine "Vitrine für gewagte Thesen", die mir besonders gefiel. Da stand zum Beispiel drin, dass alle Busfahrer einen Schnauzbart haben und der Tod montags einen freien Tag hat. Ich habe die Theorie vom dreiköpfigen Mozart beigesteuert.)




Dass es von Mozart kein gesichertes DNA-Material gibt, könnte das kleinste Problem sein. (Ich habe mal ein Buch gelesen, in dem Wissenschaftler anhand von Reliquien Heilige klonten. Darunter war auch einer, der auf dem Laborhof umherwankte und Aramäisch sprach. Der Richtige entlarvt sich selbst.)
Aber es geht ja auch nicht nur ums Aussehen, nicht wahr, sondern vor allem um das Genie. Gelänge tatsächlich ein Klon von Mozart, kämen wir endlich in den Genuss all der ungeschriebenen Werke, die Mozart nebenher komponiert, aber aus Zeitmangel oder Unlust nicht notiert hat. Vielleicht fallen ihm sogar noch ein paar zusätzliche ein. Das war aber eine Idee meiner Tochter. Ich wendete dagegen ein, dass ein in unserer Zeit lebendes Mozart-Klon bestimmt nicht in frühester Jugend zu komponieren anfinge. Wolferl der Zweite würde Gameboy spielen, die Teenagerjahre zwischen Disco, Sonnenbank und Fitness-Studio aufteilen und keine Note schreiben.
"Mozart wurde von seinem Vater zum Musizieren gezwungen!", resümierte ich. "Das geht heute gar nicht mehr!" (Das Gleiche gilt übrigens auch für Paganini, von dem es so viele unterschiedliche Porträts gibt, dass er mindestens acht Köpfe gehabt haben muss. Und der ist noch NACH seinem Tod so oft umgezogen**, dass es völlig aussichtslos wäre, an gesicherte DNA kommen zu wollen!)
"Wir müssten für ein Mozart-Klon ähnliche Bedingungen schaffen, wie sie damals herrschten!", meinte meine Tochter. "Wie in der Truman-Show!" Das heißt, wir schaffen unserem Wolferl dem Zweiten eine virtuelle Realität, in der er Kniehosen und gepuderte Haarbeutel trägt und schon in zartester Kindheit über sämtliche Fürstenhöfe zum Vorspielen geschleift wird. Der Wissenschaft zuliebe schaffen wir noch eine Vergleichsidentität, die völlig normal aufwächst, nämlich mit Gameboy, Disco, LAN-Partys und "Deutschland sucht den Superstar". Wird einer von ihnen Genie zeigen, und wenn ja, welches und warum keiner von beiden? Und nebenher, was ist mit der von namhaften Mozartforschern ins Reich der Fabel verwiesenen Behauptung, Mozart habe Beethoven vorspielen gehört und den Kleinen auf die Stirn geküsst? Könnte das vielleicht doch stimmen? Ein Beethoven-Klon zum Nachprüfen wäre ja schnell gemacht.
Fragen über Fragen. Wer schreibt den Mozart-Wissenschaftskrimi?

____________________

** Nachträgelchen: Dem sehr gläubigen Paganini wurde nach seinem Tod die Beisetzung auf einem geweihten Friedhof verweigert, weil er mit dem Teufel im Bund gewesen sei. Sein Sarg wurde jahrelang immer wieder umgesetzt, bis er endlich ordentlich bestattet werden konnte. Wie ein moderner Biograph schreibt, musste sein Sohn erst alles Geld, das sein Vater mithilfe des Teufels verdient hatte, der Kirche auszahlen - ein immenser Betrag. Das war nicht irgendwann im Jahre Krötenschleim und Besensalbe, sondern in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts.

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