Wichteln ...

»Felix? Kommst du?«
»Sofort.« Er blickte in den Spiegel über dem Waschbecken. Rückte die Krawatte zurecht. Suchte in den Jackentaschen nach einem Kamm. Blass leuchtete sein Spiegelbild vor dem weißen Hintergrund des Waschraums. An der Tür stand Walter, die Klinke in der Hand. »Geh nur schon vor«, sagte Felix, aber Walter dachte gar nicht daran, sondern kam sogar noch einmal zurück und klopfte ihn auf die Schulter. »Nervös?«
»Nein ... Ein bisschen vielleicht.«
»Das wird schon, wir sind gut«, sagte Walter, musterte sich nun auch im Spiegel, rückte eine graue Locke zurecht und nickte selbstzufrieden. Mein Gott, nun hau schon ab … Felix drehte den Hahn auf und strich sich Wasser ins Haar.
»Du fummelst an dir herum wie eine Diva!«, grinste Walter.
»Mach endlich, dass du rauskommst. Ich komme sofort nach!«
Walter zwinkerte im Spiegel. »Bitte, ich will nicht länger stören, zieh dir in Ruhe die Lippen nach oder föne die Augenbrauen. Aber beeil dich!«
Hinter ihm fiel die Tür zu.
Blöder Kerl. Das Päckchen in der Jackentasche. Felix tastete danach und ging zur Tür, um einen Blick in den Probenraum zu werfen. Durcheinander: Mäntel, Schals und Taschen waren kreuz und quer über Tische und Stühle geworfen, Wasserflaschen und Thermoskannen standen herum, wo noch jemand schnell einen belebenden Schluck genommen hatte. Die Luft war stickig. Kein Mensch zu sehen.
Ungemütlich sah es nicht aus. Nur nach intensiver Vorbereitung, Probenstress und Lampenfieber – wie immer.
Schnell das Päckchen loswerden. Felix ging hastig die Tische ab, durchwühlte die Kleidungsstücke und suchte nach Claras dunklem Wollmantel. Eine gefleckte Plüschjacke kam ihn in die Finger. Fetziges Ozelotmuster – die gehörte Bettina. Das Innenfutter roch nach Moschus. Ein wilder Duft. Wenn er für Bettina ein Päckchen hätte packen dürfen, dann mit einer Flasche dieses wilden Parfüms. Er hatte keine Ahnung, wie es hieß, aber den Duft würde er unter Hunderten herauskennen. Er stellte sich vor, wie er durch die Parfümerieabteilungen der Kaufhäuser lief und sich Duftproben an alle zehn Finger sprühen ließ, bis er das richtige gefunden hatte. Für Bettina hätte er das gern getan.
Bettina würde das Fläschchen bei ihren Freundinnen herumzeigen, aufgeregt mit ihnen tuscheln und erörtern, von wem das wohl stammte. Für ihn kam es dann darauf an, den richtigen Moment abzupassen und sich richtig zu geben, locker und souverän …Er würde nach einem Auftritt im Gedränge des Probenraums, wenn alle ihre Mäntel wieder anzogen, Bettinas Hand ergreifen, an ihrem Puls schnuppern – und eine Bemerkung über diesen Duft machen: Ah, riecht das wild. Dann hätte sie Stoff zum Nachdenken!
Aber hat sich was! Er hatte nicht Bettina zu beschenken, sondern Clara. Clara war über sechzig und hatte eine strenge, gut geführte Altstimme. Er hatte ein Paket Kräuterbonbons eingepackt und eine kleine Clownspuppe für die Sofaecke – etwas Besseres war ihm nicht eingefallen.
Seine eigene Fliegerjacke lag neben Bettinas Ozelotplüsch. Eine Tasche war ausgebeult. Diese blöde Wichtelsitte! Nun hatte ihm da auch jemand was hineingestopft, während er im Waschraum war vermutlich. Felix zog das Päckchen heraus – da konnte nicht viel drin sein, es war kaum größer als ein Seifenstück.
Ein Klopfen an der Tür. Er machte einen Satz vor Schreck. »Was ist?« Kraftlos brach sich seine Stimme an der niedrigen Decke. Wie, zum Teufel, sollte er mit dieser Stimme singen?
Von draußen erwiderte ein Bass: »Du sollst machen, dass du hoch kommst! Wir sind gleich dran.«
»Sofort, ich muss noch mein Wichtelpaket unterbringen«, rief er zurück und schob sich das Seifenstückpäckchen in die Hosentasche. Neben der Tür lag Claras Wollmantel auf einer Stuhllehne, jetzt sah er ihn – er stürzte hin und stopfte Kräuterbonbons und Clownpuppe blindlings hinein.

Blubbern als Kunst!

brille

Wort des Monats

"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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