Schwestern und Brüder

Susan und Diane, zwei (erwachsene) Schwestern, begegnen sich:

Susan schaute auf das Bild eines Elchs, das an der Wand gegenüber dem Bett hing. "Du bist die Kluge in der Familie. Jdermann respektiert das."
Ja, die Kluge ... und Susan ist die Hübsche, dachte Diane. So hatte zumindest Dianes Mutter ihre Kinder immer beschrieben. Diane nahm an, ihre Mutter wollte damit ausdrücken, dass jede von ihnen ihre eigenen Qualitäten habe. Allerdings hatte sie selbst - und sie nahm an, auch Susan -, es immer so aufgefasst, dass Diane die Hässliche und Susan die Dumme sei.
(aus: Beverly Connor, das Gesetz der Knochen)

So gut auf den Punkt gebracht habe ich es selten gelesen. Und habe mir in dem ansonsten wenig bemerkenswerten Buch ein Eselsohr in die entsprechende Seite geknickt. Übrigens habe ich vor vielen, vielen Jahren mal in einem populärpsychologischen Werk von einer jungen Frau gelesen, die sich ihre ganze Kindheit hindurch einbildete, schwach und dumm zu sein. Der Grund: Ein Kinderarzt hatte nach einer der üblichen Vorsorgeuntersuchungen zu ihrer Mutter gesagt: "Ihre Tochter ist zierlich, aber zäh". Das Mädchen kannte das Wort "zäh" nicht, verstand C und dachte, der Arzt sei der Meinung, dass sie gewissermaßen dritte Wahl sei, Klasse C halt. Es klingt derart merkwürdig; ich könnte mir vorstellen, dass es stimmt.

Ich kann auch mit etwas ähnlichem aufwarten: Als ich klein war, stellte mein Vater einmal meinen älteren Bruder und mich einem Urlaubsbekannten vor und verwechselte unser Alter. Ich war damals vielleicht acht und er elf, mein Vater nannte mich elf und ihn acht. Heute, wo ich selbst manchmal die Namen meiner (einander sehr unähnlichen) Töchter durcheinanderschmeiße, verstehe ich das sehr gut. Damals dachte ich allen Ernstes, mein Vater kenne unser Alter nicht. Schlimmer noch, ich hielt ihn für irgendwie blind oder doof, da mein Bruder viel größer war als ich. Dass ich mich so genau an diese Szene erinnere, spricht dafür, dass ich unheilbar traumatisiert bin.
Ruth Rendell kann in einem ihrer Krimis mit einem noch extremeren Fall aufwarten. Mr. X - ich kann mich an den Namen nicht erinnern - hat sechs Kinder. Als er nach Hause kommt, begrüßt ihn im Hausflur ein Kind (es ist ein Schulkamerad eines seiner eigenen). Er antwortet "Guten Tag", Achtung: unsicher darüber, ob dieses Kind jetzt von ihm ist oder ausnahmsweise mal nicht. So steht es da.
Gott mag wissen, mit welcher Psychose der Kleine heimkommt. Wir können nur hoffen, dass er kein Serienmörder wird.

Immerhin heißt es von Vincent van Gogh, er hätte seinen Namen von einem vorverstorbenen Bruder bekommen. Das soll ihn auch psychisch schwer geschädigt haben. Aber er wurde kein Serienmörder, sondern ein Genie. Man kann halt nur das rausholen, was drin ist.

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