Der Hirschkäfer
Eines Tages hat sie Eckart von dem Hirschkäfer erzählt. Es war in einem Café in Rennes. Eckart hatte sich die Burg angesehen und fotografiert. Ulla traf ihn danach draußen; sie hatten sich per SMS verabredet. Während sie die kopfsteingepflasterte Gasse stadteinwärts gingen, warf Eckart Blicke nach links und rechts und verkündete schließlich, dies sei eine echte Aufblasgasse. »Bei uns an der Küste in Katalonien«, erklärte er ernsthaft, »gibt es viele Ortschaften, wo man Probleme hat, bloß ein Kotelett fürs Mittagessen einzukaufen. Aber aufgeblasene Krokodile und Delfine kriegt man an jeder Straßenecke angeboten. Das nenne ich einen Aufblasort.«
»Und warum leben Sie da, wenn es so ätzend ist?«, lachte Ulla.
»Warum? Nun ja, man kann dort gut malen. Und Bilder verkaufen. Ich sollte nicht lästern. Die gleichen Leute, die aufgeblasene Schildkröten haben wollen, kaufen meine Bilder.«
Er wollte unbedingt, dass sie sich mit ihm in ein Café setzte und seine Fotos auf dem Display der Kamera anschaute. Währenddessen bestellte er Kaffee mit Calvados und fragte, warum sie selbst keine Bilder mache.
»Ich lebe ja hier, ich brauche das nicht«, sagte sie scherzhaft und betrachtete das Foto eines Burgturms, der – vermutlich riesengroß – in den Himmel ragte, auf dem winzigen Bildschirm absurd verkleinert. »Wissen Sie, die Dinge, die mich interessieren, kriege ich sowieso nie angemessen fotografiert. Vor ein paar Wochen bin ich im Wald bei Paimpont mit ein paar Freunden zum Picknick gewesen. Stellen Sie sich vor, wir gingen einen Waldweg entlang mit unserem ganzen Kram, Körben und Taschen, und plötzlich sagte jemand: ‚Bleibt mal stehen, hier ist ein Hirschkäfer.’ So einen großen Hirschkäfer habe ich noch nie gesehen. Er war bestimmt sieben Zentimeter lang. Wir stellten alle unser Zeug ab und beugten uns hinunter, weil meine Freundin meinte, dass wir ihm wegsetzen sollten, damit er nicht totgetreten wird.« Sie hatte zu dem kleinen runden Cafétisch hingeredet; als sie aufschaute, sah sie Eckarts Augen ernst auf sich ruhen.
»Wir standen zu fünft um ihn herum und beugten uns hinunter, und in diesem Augenblick hob er sein Geweih und …«, sie hob zwei Finger gekrümmt in die Luft, »er machte eine Zangenbewegung damit, als wolle er etwas packen. Diesen Augenblick hätte ich gerne festgehalten. Aber wie soll man so etwas machen? Einfach den Käfer fotografieren drückt es nicht richtig aus. Man müsste sich auf die Ebene des Käfers begeben, ganz nach unten auf den Waldboden gehen, und die riesigen Füße zeigen und die Beine, die bis in den Himmel hinaufragen. Er wollte gegen uns kämpfen. Das muss man sich mal vorstellen.« Lachend schüttelte sie den Kopf.
»Sie sind Malerin«, sagte Eckart unbeholfen, »Sie sollten unbedingt malen, Sie haben das Zeug dazu!«
»Ach was«, winkte Ulla ab, und beinahe hätte sie hinzugefügt, dass sie einen Haufen Möchtegernkünstler kannte, die schmerzhaft langweilig immer dieselben Landschaften malten wie ein Fotokopierer.
»Und warum leben Sie da, wenn es so ätzend ist?«, lachte Ulla.
»Warum? Nun ja, man kann dort gut malen. Und Bilder verkaufen. Ich sollte nicht lästern. Die gleichen Leute, die aufgeblasene Schildkröten haben wollen, kaufen meine Bilder.«
Er wollte unbedingt, dass sie sich mit ihm in ein Café setzte und seine Fotos auf dem Display der Kamera anschaute. Währenddessen bestellte er Kaffee mit Calvados und fragte, warum sie selbst keine Bilder mache.
»Ich lebe ja hier, ich brauche das nicht«, sagte sie scherzhaft und betrachtete das Foto eines Burgturms, der – vermutlich riesengroß – in den Himmel ragte, auf dem winzigen Bildschirm absurd verkleinert. »Wissen Sie, die Dinge, die mich interessieren, kriege ich sowieso nie angemessen fotografiert. Vor ein paar Wochen bin ich im Wald bei Paimpont mit ein paar Freunden zum Picknick gewesen. Stellen Sie sich vor, wir gingen einen Waldweg entlang mit unserem ganzen Kram, Körben und Taschen, und plötzlich sagte jemand: ‚Bleibt mal stehen, hier ist ein Hirschkäfer.’ So einen großen Hirschkäfer habe ich noch nie gesehen. Er war bestimmt sieben Zentimeter lang. Wir stellten alle unser Zeug ab und beugten uns hinunter, weil meine Freundin meinte, dass wir ihm wegsetzen sollten, damit er nicht totgetreten wird.« Sie hatte zu dem kleinen runden Cafétisch hingeredet; als sie aufschaute, sah sie Eckarts Augen ernst auf sich ruhen.
»Wir standen zu fünft um ihn herum und beugten uns hinunter, und in diesem Augenblick hob er sein Geweih und …«, sie hob zwei Finger gekrümmt in die Luft, »er machte eine Zangenbewegung damit, als wolle er etwas packen. Diesen Augenblick hätte ich gerne festgehalten. Aber wie soll man so etwas machen? Einfach den Käfer fotografieren drückt es nicht richtig aus. Man müsste sich auf die Ebene des Käfers begeben, ganz nach unten auf den Waldboden gehen, und die riesigen Füße zeigen und die Beine, die bis in den Himmel hinaufragen. Er wollte gegen uns kämpfen. Das muss man sich mal vorstellen.« Lachend schüttelte sie den Kopf.
»Sie sind Malerin«, sagte Eckart unbeholfen, »Sie sollten unbedingt malen, Sie haben das Zeug dazu!«
»Ach was«, winkte Ulla ab, und beinahe hätte sie hinzugefügt, dass sie einen Haufen Möchtegernkünstler kannte, die schmerzhaft langweilig immer dieselben Landschaften malten wie ein Fotokopierer.
schmollfisch - 4. Feb, 00:21