Schlagfertig

Lissy: Er sieht deprimiert aus, der Arme.
Charlotte: Deprimiert mag er wohl sein, aber arm ist er ganz gewiss nicht.
Lissy: Ich höre.
Charlotte: 10000 pro Jahr und ihm gehört halb Derbyshire.
Lissy: Die deprimierende Hälfte?
("Pride And Prejudice", der Film)


Grappa

Über alles wünsche ich mir, schlagfertig zu sein, so sehr, dass ich die größten Gemeinheiten von mir geben kann und doch immer die Lacher auf meiner Seite habe.
Leider weiß ich nie das Richtige zu erwidern, wenn es darauf ankommt. Nicht bei dem Vorwerk-Mann, der mir zweimal im Jahr einen Staubsauger andrehen will; auch nicht bei dem Verleger, der mein Buch von dreihundert auf hundertfünfzig Seiten runterschrumpft, weil die Hälfte meiner Texte abgekupfert sei (woher weiß er das?). Auch nicht beim Finanzamt.
Hinterher fällt mir natürlich immer ein, was ich hätte sagen müssen. Aber dann bringt es nichts mehr.
Das letzte Mal passierte es vergangenen Samstag beim Einkauf. Vor unserem Supermarkt ist ein großer Parkplatz mit Parklücken auf beiden Seiten. Man fährt einspurig hinein und parkt links oder rechts. Nach dem Einkauf fährt man auf der anderen Seite wieder hinaus, ein U beschreibend. Bisher bin ich so gut wie immer auf der falschen Seite in das U hineingefahren. Auf der richtigen Seite sind nämlich immer alle Parkplätze besetzt und man muss ganz herum, um eine Lücke zu finden. Da nehme ich lieber die Ausfahrt als Einfahrt und kann gleich einparken.
Gerade als ich ausstieg, hielt hinter mir ein dunkelblauer Corsa. Ein ganz ordinärer PKW, ohne irgendein auffälliges Merkmal. Am Steuer ein Mann im dunkelblauen Pullover. "Sie!", rief er. Ich nahm ihn erst mal nicht zur Kenntnis. Zog meinen Einkaufskorb vom Rücksitz und klappte die Tür zu. "SIE!", brüllte der Mann. Es hätte albern ausgesehen, wenn ich ihn weiter ignoriert hätte. Ich ging auf den Corsa zu. Der Mann hatte das Fenster runtergelassen.
"Wissen Sie nicht, dass hier Einbahnstraße ist? Sie fahren in die falsche Richtung!"
Mir lag schon eine Erwiderung auf der Zunge wie: Danke, Herr Lehrer! - oder so was Ähnliches. Nicht wirklich witzig. Es ist mir, wie gesagt, nicht gegeben, in solchen Situationen spontan was Witziges zu sagen. Jedenfalls machte ich den Mund auf und klappte ihn sofort wieder zu, denn in diesem Augenblick sah ich das runde gestickte Emblem "Polizei" auf seinem Pullover.
Er ist im Zivil, kann der mir was? - schoss es mir durch den Kopf, und dann: Lieber nichts riskieren! Aber es musste doch irgendwas geben, was ich sagen konnte! Etwas, was nicht frech klang, aber mir half, mein Gesicht zu wahren! Ich machte den Mund auf und musste plötzlich schrecklich husten. Ich hielt die Hand vor den Mund. Und aus meiner krampfenden Kehle schoss etwas in meine hohle Hand, etwas Kleines, Feuchtheißes. Erschreckt ballte ich die Hand zusammen.
"Das nächste Mal denken Sie dran!", sprach die Stimme der Exekutive.
Ich wollte "Ja" und "Entschuldigung" sagen, brachte aber nichts heraus. Meine Kehle schien völlig verschlossen zu sein. Das kleine feuchtheiße Ding wand sich in meiner Hand. Es fühlte sich glitschig und quabbelig an wie ein gut durchgekauter Kaugummi.
Der blaue Corsa fuhr an und rollte vom Parkplatz herunter, in die richtige Richtung natürlich.
Ich öffnete vorsichtig die Hand und schaute hinein. Das Ding war rosa und annähernd wurstförmig mit ein par Einschnürungen. Es war so klein wie ein aus dem Nest gefallener nackter Vogel und sah auch so ähnlich aus, bis auf den Umstand, dass es knochenlos war. Während ich es anstarrte, machte es plötzlich einen zuckenden Hüpfer und quietschte. Es gab einen hohen, hohlen Ton.
Es war meine Stimme. Meine Stimme war mir aus dem Hals gesprungen.
Da gab es keinen Zweifel. Denn in meinem Hals war nichts mehr; ich versuchte, mich stimmhaft zu räuspern, aber es kam nur ein Rascheln wie von welkem Laub heraus. Ich hatte keine Stimme mehr. Sie lag in meiner Hand.

Ohne einzukaufen, hastete ich nach Hause, die Hand um die Stimme gekrampft. Was sollte ich damit machen? Feucht halten, bestimmt. In Formalin einlegen. Aber so was hatte ich natürlich nicht im Haus. Vielleicht tat es auch hochprozentiger Alkohol? Ich bin keine Schnapstrinkerin. Bier genügte sicher nicht. Ich fand eine kleine Flasche Grappa im Küchenschrank, die mir mein Nachbar mal geschenkt hatte. Das Zeug war uralt, aber Alkohol verfällt ja nicht. Oder? Ich füllte ein ausgewaschenes Marmeladenglas mit Grappa voll und tat die Stimme hinein. Sie quietschte und hickste, dann versank sie blubbernd in der Flüssigkeit.
Ich versuchte, in Ruhe zu überlegen. Wie implantiert man eine Stimme wieder in den Hals? Bei Problemen aus unbekannten Fachgebieten setze ich mich normalerweise an den Rechner und bemühe Google. Das war in diesem Fall bestimmt aussichtslos - ich hätte nicht einmal gewusst, welche Suchworte ich eingeben sollte. Den Arzt anrufen? Ich hatte schon den Hörer in der Hand, da fiel mir ein, dass ich nicht mehr reden konnte. Meine Stimme lag in Grappa.

Blubbern als Kunst!

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"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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