In Splitkästen schlafen

Das kleine Schwein hat einen singenden Zahn, der tief im Mund steckt, ganz hinten. Den ganzen Tag gibt er irgendwelche störenden Geräusche von sich. Das heißt, die Geräusche kommen gar nicht aus dem Zahn selbst heraus, sondern werden durch die Zahnwurzeln in den Kopf geleitet. Ohne erst den Umweg über die großen Knickohren zu machen.

Wenn das kleine Schwein ein Mensch wäre, wüsste es, dass es irgendwann auf etwas Metallisches gebissen hat und der Zahn damals das Singen gelernt hat; erst nur zögerlich, mit hin und wieder einem Streichquartett, den neuesten Hochrechnungen und ganz vielen Pauken. Dann hat sich der Zahn gesteigert und vom Reisewetter erzählt. Wie gut die Sangria just eben in Palma de Mallorca munde, wo es dort gewittre wie nicht gescheit, und wie an der Nordküste Sardiniens ein Wal gestrandet sei und vor sich hinstinke. Ja. Eine freundliche Stimme, mit nur schwach hysterischem Unterton, erzählt das. Eben eine Menschenstimme, die Nachrichten spricht. Nichts Besonderes.

Das kleine Schwein begibt sich manchmal aus dem nächtlichen Wald hinaus auf einen Abhang, nicht viel mehr als eine sanfte Fallung, man könnte bei Schweinewetter gut auf dem Bauch hinunterrutschen die ganzen zweihundert Meter weit; und dort gräbt es Kartoffeln aus. Viel gibt der Acker nicht her, aber doch weit mehr, als das kleine Schwein auf einmal hinunterschlingen mag. Es gruffelt und muffelt zwischen den Saatkartoffeln herum, gräbt die gelöcherte Schnauze zwischen das Kartoffelkraut und bedient sich satt. Unterhalb des Gehänges funkelt ein Lichtermeer. Ja. Da sind alle diese Leute zu Hause, die sich Hochrechnungen und gestrandete Wale in den Kopf winden lassen. Eine Schwatzgirlande, die an den Hirnwindungen hochrankt. Das schwache Echo im Kopf des kleinen Schweins ist nur ein Abglanz davon, aus großer Entfernung gehört gewissermaßen; all das geht ja auch kein Schwein was an.

Ja.

Was das kleine Schwein aber angeht, ist, dass plötzlich so viele dieser Menschen sich in den Kopf gesetzt haben, die Fallung hinauf zu wandern und dort, tief zwischen den schwarzen Bäumen, die Nacht zuzubringen. Das Schwein hat sich längst an die widerstreitenden Gerüche gewöhnt, die aus dem Tal heraufquellen, von Autos und Radfahrern hinaufgeschleppt und abgeladen, und jeden Wanderer umgibt dieses gleiche Aroma. Nun plötzlich schwindet das Aroma nicht mit dem Sinken der Nacht; in der kompakten Schwärze des Waldes, der dicht vor dem Kartoffelacker endet, breitet sich etwas aus und wuchert die Straße entlang längs der rotumrandeten Schilder, die einmal vierzig, einmal sechzig verlangen oder endlich die achtzig freigeben. Die fremden Aromen kommen, man glaubt es ja nicht, aus den Splitkästen. Das kleine Schwein braucht Wochen, um diese Annahme zu verifizieren, während in seinem Kopf Herr Wowereit dieses verspricht und Herr Westerwelle eh weiß, dass das nichts wird. Das ist nicht mehr als Hintergrundgeschwalle, das Schwein hat sich längst daran gewöhnt. Was ihm aber gar nicht passt, ist dieses Aroma aus den Splitkästen. Gute zwanzig gibt es davon über den Wald verteilt. Sie sind grün, länglich und Steinchen quellen heraus. Und sie stinken nach Käse. Es liegen Menschen drin. Zusammengeknäuelt und scharf riechendes Lumpenzeugs über den Kopf gezogen. Als ob sie weg wollten aus dem Lichtermeer.

Als ob sie die Schnauze voll hätten.

Ja. Und das kleine Schwein leert ihnen die Taschen; was immer sie bei sich tragen, Käsestücke, Brotkrusten oder Äpfel, das Schwein macht keine Unterschiede und bedient sich satt. Manchmal sogar an einer Salamiwurst. Obwohl der singende Zahn ihm sagt, dass das der Untergang des Abendlandes sei, dass Schweine Würste fräßen.

Blubbern als Kunst!

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"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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