schmollfisch lauscht

In der Oper schwimmen gehen ...

Frau ohneeinander erzählt hier anschaulich, wie es bei ihr mit der Oper angefangen hat, und empfiehlt jedem Opernneuling, der sich für ein bestimmtes Werk interessiert, mit dem intensiven Anhören der Ouvertüre zu beginnen - wenn ihm die interessant vorkommt, dann wird auch die Oper selbst nicht an ihm vorbeitönen. Das war heute bei Schmollfischens ein Anlass, mit der Fischtochter, die sich gerade für ein Musikstudium eingeschrieben hat, das Thema Ouvertüre zu diskutieren. Es gibt Ouvertüren, die sofort aus dem Alltag herausbeamen (L'Elisir d'Amore), solche, die wie eine Filmmusik die Handlung emblematisch nachzeichnen, aber das transzendente Moment des Werks verschweigen (Le Nozze di Figaro); solche, die umgekehrt das transzendente Moment vorwegnehmen und quasi einen Schatten auf das ganze Werk vorauswerfen (Don Giovanni), und solche und solche Ouvertüren, und manche Opern haben auch gar keine Ouvertüre, sondern der Tenor singt sofort los (La Damnation de Faust) oder es gibt vor jedem Akt eine Sinfonia, siehe Händel oder Vivaldi, und und und.

Meine eigene Begeisterung für die Oper kann ich an einem speziellen Anlass festmachen, und zwar dem Mozartjahr 1992. Da gab es im Fernsehen zuerst den Film "Amadeus", in dem sowohl das Requiem als auch der "Don Giovanni" eine besondere Rolle spielen, und kurz danach die Don Giovanni-Verfilmung von Joseph Losey mit dem phantastischen Raimondi als Don. Bis dahin war Oper für mich so etwas gewesen wie ein Film mit ziemlich schwachbrüstiger Handlung und besonders aufdringlicher Filmmusik. Vielleicht ist "Don Giovanni" besser als jede andere Oper geeignet, den Zuschauer von dieser Auffassung zu heilen: das ist nämlich eine Oper, die ohne Musik überhaupt nicht zu verstehen wäre, weil sie von Momenten durchsetzt ist, in denen die Musik etwas anderes sagt als der Text - und die Musik sagt immer die Wahrheit. Ich habe damals jedenfalls verstanden, dass in der Oper die Musik selbst die Geschichte erzählt, und diese einfache Verschiebung des Fokus hat für mich praktisch auf einen Schlag das Genre Oper überhaupt erschlossen.

Meine erste Opernaufführung war zufällig auch ein Don Giovanni. Ich war damals gerade umgezogen und hatte eigentlich gar keine Karte mehr bekommen, mich aber auf die Warteliste setzen lassen, und ich hatte Glück. Mehr oder weniger. Die Aufführung war herzerweichend miserabel, schon zur Ouvertüre rauften Bauern auf der Bühne. Zurückgekommen bin ich immerhin mit der Erkenntnis, dass die Musik nicht kaputt zu kriegen ist, da kann die Aufführung noch so mies sein. Damals saßen übrigens neben mir zwei alte Damen, die die Oper überhaupt nicht kannten und keine Ahnung hatten, was passieren wird. "Man geht ja wegen der Musik rein", trösteten sie sich. Das ist für mich undenkbar; das Handlungsgerüst muss ich vorher kennen, sonst rauscht alles an mir vorbei. Auch wenn ich mir eine Oper im Fernsehen anschaue, schlage ich vorher im Opernführer nach, was ungefähr passieren wird, damit ich mich auf die Musik konzentrieren kann.

Ich habe ein Faible für Alte Musik, und woher das kommt, weiß ich absolut nicht mehr - irgendwann muss ich zum ersten Mal Monteverdi gehört haben, und irgendwann (sehr viel später) hörte ich zum ersten Mal den Orfeo. Dazu sage ich jetzt nichts, weil mir einfach die Worte fehlen. Der Orfeo ist für mich immer noch etwas ganz Besonderes, obwohl ich nicht weiß warum. Die beglückendsten Momente im Zusammenhang mit Opernmusik hatte ich bei Monteverdi - oder im Zusammenhang mit der Stimme meines Lieblingssängers. Hm.

Der Zauberstab

(Aus urheberrechtlichen Gründen alle Bilder sicherheitshalber gelöscht)

Zu Händels Oper Rinaldo in der Inszenierung von David Alden, Premiere war im Jahr 2000 bei den Münchner Opernfestspielen, habe ich mal in einer Kritik den Satz gelesen: »Alden verglich in seiner Inszenierung das überschäumende barocke Lebensgefühl mit der heutigen Spaßgesellschaft und versetzte die Handlung teilweise auf einen Rummelplatz.«

Ich kann das bestätigen, ich habe die Übertragung damals gesehen, sogar auf Tape mitgeschnitten, und es ist mir sogar gelungen, dieses Tape zu digitalisieren und auf DVD zu brennen. Ich sehe und höre es immer wieder gerne, obwohl nicht weniger als vier Countertenöre um die Wette säuseln. Einer besser als der andere.

Barockoper = Spaßgesellschaft. Eine ähnliche Vision haben wohl auch die Macher von Enchanted Island gehabt, jedenfalls wäre für die optischen Effekte in der Inszenierung aus der Met kein Superlativ zu hoch gegriffen. Voll fett, krass, überbordend, immer und immer noch einen drauf. In einem Pauseninterview sagte der Regisseur sinngemäß: »Wir haben uns gedacht, wenn wir schon Barockoper machen, dann auch gleich richtig.«

Ich glaube, die großartige Joyce DiDonato hatte in jeder einzelnen Szene, in der sie auftrat (und das waren nicht wenige), ein neues Kostüm und ein neues Haarstyling. Selbst der Luftgeist Ariel, gesungen von Danielle de Niese (agil-irrwischartig), bekam extra für die letzte Arie ein neues Kostüm verpasst, das direkt aus Farinelli stammen könnte.

(Bild gelöscht)

David Daniels (zum Niederknien wie immer) hatte, abgesehen von seinen Arbeitsklamotten (Lederschürze und Ärmelschoner) mindestens zwei aufwendige Brokatfummel. Lediglich Neptun (Placido Domingo, tragikomisch), Miranda (toll) und Caliban (Pisaroni, wuchtig) mussten mit nur einem Styling auskommen. Dafür hatte Caliban aber eine äußerst aufwendige Maske, einen künstlichen Bauch und Orkfüße. Mit ein paar kleinen Änderungen hätte er als Uruk-hai im Herrn der Ringe durchgehen können.

(Bild gelöscht)


Überhaupt gab es die eine oder andere Anleihe bei Tolkien; Prospero hatte gleich zu Beginn eine Art Palantir in der Hand, und sein Zauberstab sah sehr nach Gandalf aus.

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Womit ich endlich beim Thema bin: Der Zauberstab.
Eine der effektvollsten Theaterszenen, die ich kenne, ist diejenige aus Shakespeares Sturm, als Prospero seinen Zauberstab zerbricht. Ich habe sie leider nur zweimal im Fernsehen gesehen – einmal gespielt von Helen Mirren in der Neuverfilmung des Sturm und einmal vor vielen Jahren gespielt von John Gielgud in Greenaways Prosperos Bücher. Speziell Gielguds Darstellung werde ich nie vergessen. Nach all dem ungeheuren Aufwand, den er getrieben hatte, um sich seinen unfreiwilligen Inselaufenthalt zu verschönern, erschien er in dieser Szene nackt und bloß in ärmellosem Unterhemd. Ein schon reichlich schlaffer und krummer alter Mann, der entschlossen war, für immer auf seine Zauberkräfte zu verzichten. Sein Gesicht strahlte vor Erleichterung und innerer Befreiung.

Enchanted Island ist eine Kompilation aus dem Sturm und dem Sommernachtstraum, mit der Einschränkung, dass eine Oper natürlich mit sehr viel weniger Text auskommen muss als ein Theaterstück. Aber ich habe mich unendlich gefreut, dass man auf diese wunderbare Szene nicht verzichtet hat. In Enchanted Island findet sie ganz zum Schluss statt. Prospero, bis dahin gesungen von David Daniels, entsagt seiner Zauberkraft und zerbricht den Stab übers Knie. Der Text dazu dürfte sinngemäß dieser Stelle aus dem Sturm entsprechen (Übersetzung von Schlegel):


Das Fest ist jetzt zu Ende; unsre Spieler,
Wie ich Euch sagte, waren Geister und
Sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft.
Wie dieses Scheines lockrer Bau, so werden
Die wolkenhohen Türme, die Paläste,
Die hehren Tempel, selbst der große Ball,
Ja, was daran nur teil hat, untergehn.
(…) Unser kleines Leben
Umfaßt ein Schlaf.


Das Publikum wird mit diesen Worten quasi aus der Oper entlassen; was danach folgt, ist nur noch so eine Art musikalischer Schlusstriumph. Der besondere Effekt an dieser Stelle war, dass diese Schlussworte gesprochen wurden. Nicht gesungen. Und zwar von einem Sänger, bei dem die Sprechstimme sich von der Singstimme so stark unterscheidet wie nur möglich (Daniels ist Countertenor und singt im Höhenbereich des Damen-Mezzo, seine Sprechstimme würde ich irgendwo im Bariton unterbringen). Die Fallhöhe an diesem Punkt war gigantisch. Hier ist der Zauber aus. Wir dürfen nach Hause gehen.

Ein riesiges Dankeschön an alle, die dieses einmalige Ereignis möglich gemacht haben. Ich hab's zwar nur im Kino gesehen, aber trotzdem hat es mich in den Sessel gebügelt wie selten. Barockoper ist Glückspille.

Eine sehr schöne Rezension, der ich vollkommen zustimme, gibt es übrigens noch hier im Opernnetz.


(...) Ihr alle schier
habet nur geschlummert hier
und geschaut in Nachtgesichten
eures eignes Hirnes Dichten.


(Epilog aus dem Sommernachtstraum, gesprochen von Puck)

Samstag ...

ist ein großer Tag! Hier mein derzeitiger Desktop:



The Enchanted Island kommt direkt aus der Met ins Kino.
Darauf freue ich mich seit sechs Monaten oder so. (Seit ich halt weiß, dass es kommt.)

Drei Stunden in einer anderen Welt. Kommenden Samstag.

Extreme Bedingungen

In dem Klassikforum, in dem der Schmollfisch hin und wieder schwimmen geht, wurde vor kurzem diskutiert, inwieweit es legitim sei (man verzeihe mir diese Häufung von Nebensätzen), einen Sänger wegen seines Äußeren für bestimmte Rollen abzulehnen. Mit "ungeeignetem Äußeren" ist natürlich ein zuviel an Gewicht gemeint, denn (fast) alle anderen Makel kann man ja wegschminken. In jenem Klassikforum hat man sich auf ein dezidiertes Jein geeinigt, denn je nach Inszenierung kann es ja vorkommen, dass dem betreffenden Sänger das vorgesehene Kostüm absolut nicht steht. Ich meine, bis zur Lächerlichkeit nicht steht.

Noch lächerlicher macht sich unter Umständen das Fehlen eines Kostüms. Damit wäre ich beim Thema, nämlich dem Sonderpreis für Singen unter extremen Bedingungen. Ich schicke gleich voraus, dass ich natürlich nur von den mir vorliegenden Bildern ausgehen kann. Wer regelmäßig zu den Wagnerfestspielen geht, hat vermutlich noch mit ganz anderen Sachen aufzuwarten. Aber ich lasse Wagner mal außen vor und beginne mit meinem ersten Preisträger Yosemeh Adjei, der hier im "Ezio" von Händel die Titelpartie singt (und dem sein Kostüm recht gut steht):

(Bild gelöscht)

Das sieht auf den ersten Blick nicht nach erschwerten Bedingungen aus; in der Badewanne singen ja viele Leute (obwohl die meisten, die das tun, eine größere Wanne zur Verfügung haben). Aber dass wir uns recht verstehen: Der Sänger sitzt tatsächlich nackt in der Wanne. Ich weiß das, denn ich habe ihn hineinsteigen sehen. Da sang er allerdings nicht, deshalb zeige ich das hier nicht. Ätsch!

Gerade diese, nennen wir sie mal so, "Wannen-Arie" war übrigens derart bewegend und großartig gesungen, dass ich mir heute morgen bei Youtube einen Wolf gesucht habe, weil ich sie gern als Video verlinkt hätte. Aber nein, so viel Glück haben wir nicht. Das heißt, meine Leser nicht. Ich schon, ich hab die DVD. Ätsch.

Kommen wir zu der ersten bekannten Oper überhaupt, die obendrein meine persönliche Lieblingsoper ist, nämlich "L'Orfeo" von Claudio Monteverdi. Hier im Vordergrund Orfeo (liegend) und im Hintergrund Apollo (schwebend):

(Bild gelöscht)

Apollo steht vermutlich auf einem Brettchen und hält sich (das ist in den Detailbildern zu erkennen) mit den Händen an Griffen fest, die in die Wand montiert sind. Für eine längere Koloraturpartie mit Sicherheit nicht die beste Bedingung; aber ein echter Profi kann in jeder Lebenslage singen. Zu Beginn der Szene steht Apollo sogar kopf. Aber da singt er noch nicht.


(Bild gelöscht)

Peter Rose habe ich in einem früheren Eintrag schon mal gezeigt. Allerdings läuft er hier außer Konkurrenz, denn inzwischen glaube ich zu wissen, wie Herr Rose unter diesem Eselskopf mit gleichbleibender Inbrunst weitersingen kann: Wahrscheinlich trägt er ein Kopfmikrofon. Dieser Kopf ist, wie schon früher erwähnt, eine technische Meisterleistung mit beweglichem Unterkiefer und deutlicher Mimik. Er gehört natürlich in Brittens "Midsummer Night's Dream" in der Inszenierung von Robert Carsen.

Deanne Meek singt ihre Hermia in der gleichen Inszenierung mit Kissen werfend, liegend und zwischen zwei Herren mit dem Kopf nach unten hängend. Den richtigen Schnappschuss zu finden, ist gar nicht so einfach. Nehmen wir diesen, bei dem sie den Kopf immerhin noch ein wenig oben hat. Übrigens singen die beiden Herren auch.


(Bild gelöscht)

Ein weit größeres Päckchen zu tragen hat indessen der arme Mensch, der in der Figaro-Inszenierung von Claus Guth den Grafen zu singen hat: Er trägt bei der Rache-Arie den Weltmeister im Einradfahren, Uli Kirsch, auf den Schultern. Uli Kirsch stammt übrigens aus Fulda (jawohl!) und ist, vermute ich mal, auch nicht gerade ein Leichtgewicht, da er als Amor-Engelchen einen gut gewachsenen und austrainierten Eindruck macht. Davon kann ich leider hier kein Bild zeigen, aber dafür per Link auf zwei Herren verweisen, die sich in dieser Rolle als Kraftpakete profilieren durften:

Erstens: Bo Skovhus (bitte klicken)

Zweitens: der von mir überaus geschätzte Simon Keenlyside (bitte klicken), den wir oben als im Liegen singenden Orfeo schon mal hatten - da gleicht sich's dann Gott sei Dank wieder aus. Man muss halt nehmen, was man kriegt.

Ich finde diese Leistungen allesamt beachtlich und möchte noch ausdrücklich hervorheben, dass alle ausnahmslos sängerisch Bestleistungen abgeliefert haben. Die moderne Tendenz zum Regietheater wird uns sicher noch weitere liebenswerte Verrücktheiten bescheren.

PS. Als Außenseiter möchte ich diese Szene hier nicht unerwähnt lassen, sonst erwähnt sie womöglich jemand anders. Ich habe sie in meine persönliche Liste oben vorläufig nicht aufgenommen, weil mir die Inszenierung nicht gefällt - ich kenne sie allerdings nicht vollständig, vielleicht hat sich mir dieses Konzept einfach nicht erschlossen. Wie dem auch sei, Zachary Stains steht als Ercole in "Ercole sul Termodonte" von Anfang bis Ende nackt auf der Bühne.

Heiteres Untertitelraten

"Midsummer Night's Dream" von Benjamin Britten, Act II. Oberon betritt die Bühne, sieht seine schlafende Frau im Bett mit einem Esel und singt - eingeblendet wird:

>>Das geht ja ...<

Meine Tochter rät: "... gerade noch." Ich rate: "... zu weit." Tatsächlich singt er: "... sehr schön."

Der Mann ist hart im Nehmen.

(Bild gelöscht)

ps. Möglich wäre auch (man probiere):
"... wie geschmiert."
"... voll daneben."
"... alles den Bach runter."
"... schon wieder los."

Aber "sehr schön" ist dann doch am schönsten. Passt auch am besten zu seiner Stimme.

Der Fisch schwimmt im Glück

In einem Klassikforum las der Schmollfisch unlängst das folgende Statement einer gebildeten, keineswegs unkritischen Dame: "Rolando Villazon könnte auch das Remscheider Telefonbuch singen, ich würde es mit Freuden anhören."
Der Schmollfisch konnte bisher nicht nachprüfen, ob da was dran ist, denn Händel sei Dank singt Rolando nicht das Remscheider Telefonbuch. Sondern Händel. Und so, dass die Anfahrt statt zweieinhalb auch acht Stunden und der ganze Abend von mir aus auch acht Tage hätte dauern können, ich hätte jede Minute genossen.



Was soll ich noch sagen? Der Mann kann's einfach.
Ich hoffe, sein verdientes Abendbier hat ihm geschmeckt.

Man kann hirnen wie man will ...

... und findet trotzdem manchmal nicht die Worte, zu sagen, was zu sagen wäre, weil es die Worte nicht gibt. Da habe ich mir irgendwann eine Vorliebe für Geigenmusik angewöhnt, also Musik für Violine solo, aber bisher reicht mein Spektrum nicht über Paganini und ein klein wenig Bach (die berühmte e-moll-Partita) hinaus. Eigentlich genügt das auch. Wer sich intensiv mit so etwas befassen will, dem reichen ein, zwei CDs ein Jahr lang. Ich bin sogar ein Jahr lang mit einer Audiokassette ausgekommen. Die hat mir mein Schreibfreund Martin aufgenommen, und zwar von einer Schallplatte. Wer das nicht kennt: Schallplatten sind diese runden schwarzen Dinger, die immer kratzen. Auf der Kassette meines Schreibfreundes Martin kratzt es ganz gewaltig. Aber es wird Paganini gespielt, und wie! Abgesehen davon, dass der Interpret, ein Geiger mit dem schönen Namen Zsigmondy, beim Musizieren hörbar schwer atmet, ist diese Aufnahme einfach ein Knaller. Das fetzt. Kann durchaus sein, dass das Atmen mehr bereichert als stört.
So nach und nach erwärmte ich mich für Paganini und kaufte mir die eine oder andere Aufnahme auf CD. Zum Beispiel eine von einem Geiger namens Milenkovich, der auf dem Cover eine mafiöse Miene zeigt (zurückgekämmte schwarze Mähne) und Paganini glasklar und präzise hergeigt, als spiele er Bach. Man hört ihn auch nicht schnaufen. Er hat immer alles unter Kontrolle, bis in das letzte Vierundsechzigstel Flageolet. Man möchte weinen über die eigene Unfähigkeit, sich gewählt auszudrücken; Milenkovich verliert die Contenance nicht einen Sekundenbruchteil lang. Ich muss da immer an Christian Bale denken, den ich unlängst in "American Psycho" sah. Sicher macht Milenkovich jeden Morgen hundert Situps und frühstückt ungesalzenen Reis. Dass er nach Weglegen der Geige mit der Kettensäge rumrennt, will ich ihm nicht unterstellen. Seine Musik ist überirdisch. (Reizendes Kompliment.)
Nach zwei bis drei Jahren Milenkovich und andere habe ich mir so nach und nach überlegt, die 17 Euronen sollten doch mal langsam drin sein, dass ich mir eine CD von Zsigmondy kaufe - also dem schwer atmenden Herrn, mit dem mein Paganini anfing. Gesagt, getan. Seit zwei Wochen liegt die CD hier. Und ich stelle mit Entsetzen fest: Zsigmondy spielt FALSCH! Also nicht das, was man richtig falsch nennt. Bei Geigenmusik gibt es ohnehin nicht so ein richtig oder falsch wie bei Klaviermusik. Er spielt nicht richtig falsch, er spielt schräge, gleisnerisch, zigeunerhaft; er liegt so haarscharf daneben, dass es für eine Dauergänsehaut reicht, die so anstrengend ist wie ein multipler Orgasmus. Also ich weiß nicht, ob ich ihn besser finde als Milenkovich oder nicht. Nach einer Stunde Zsigmondy sehne ich mich nur noch nach glasklarer Härte, nach einer Stunde Milenkovich möchte ich bitte die multiple Gänsehaut zurück. Und zwischendurch fragt mein Mann, ob es nicht bald ein Ende hat mit all dem Gefiedel, das für jemanden, der nicht sehr genau hinhört, ohnehin alles gleich klingt.
Aber so leid es mir tut, wenn ich dann mit "Juli" oder was auch immer aufs MTV-Niveau geworfen werde, klingt alles gleich plump. Wem ich auch immer damit auf die Zehen trete. Tschuldigung.

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