Arbeitsvermittlung für Romanfiguren
Von wem stammt eigentlich noch mal schnell die Empfehlung, der Autor solle seine Figuren leiden lassen?
Seit gestern denke ich wieder mal daran, weil ich die Verfilmung eines Mankell-Romans angesehen habe: Wenn es so etwas wie ein Arbeitsvermittlungsbüro für Romanfiguren gibt, wie sähe es dort aus? Ich kenne ein paar Leute, die dort seit Monaten, wenn nicht Jahren zwecklos und gelangweilt herumsitzen, weil es keine gescheite Arbeit für sie gibt. Das sind die, die ich mir selbst ausgedacht habe. Ein paarmal habe ich den einen oder die andere zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, aber es wurde nie etwas Rechtes. Die meisten meiner Gesprächspartner waren überqualifiziert für den Job, den ich zu bieten hatte. "Was soll ich mit dem Plot? Nee, denk dir was Besseres aus und komm dann wieder. In zwei, drei Monaten vielleicht." - "Aber dann hast du in der Zwischenzeit ja gar nichts zu tun." - "Na und?"
Sonderfälle sind die Figuren, um die sich gleich eine ganze Liga Autoren reißt. Gandalf und die Orks zum Beispiel, die kommen überhaupt nicht mehr zur Ruhe, bis sie restlos ausgepowert sind. Aber am schlimmsten dran ist Mankells Kommissar Wallander. Er versteckt sich unter der Bank, sobald Mankell die Flure des Arbeitsvermittlungsbüros betritt, aber es gibt kein Entrinnen. "Mankell, alter Schwede. Kann ich nicht ein einziges Mal pinkeln, ohne dass alle mitlesen?" - "Nej pass för det." - "A--ch."
Ringu (hessische Version)
Der Tag beginnt mit Folter: Die Kaffeekanne springt. Vom Rand der Spüle hinunter ins Becken. Am Grund der Kanne bleibt ein Spalt im Glas. Kein Kaffee.
Barbara trinkt erwatzweise warmen Saft zum Frühstück und blättert in der Zeitung. Vor dem Fenster hängt Frühnebel. Noch zu früh zum Einkaufen. Draußen quietscht die Straßenbahn. Ein alter Mann schlurft von der Haltestelle weg, bleibt stehen und bückt sich nach etwas Dunklem zu seinen Füßen.
»Er findet einen Handschuh mit blutigen Löchern anstelle der Finger«, denkt Barbara und spinnt müßig eine Geschichte.
Um halb neun verlässt sie das Haus. Dieser Nebel – eine passende Atmosphäre für die Schlusssequenz. Im Gehen murmelt Barbara Satzfetzen, betrachtet die Pfützen im Rinnstein und eine kahle Birke.
Der Tunnel liegt lang und dunkel, ein nasser Schlauch, der nach Nebel und Urin riecht. Barbara verlangsamt den Schritt und mustert die fleckigen Wände. Hinter ihre schlurfen Schritte. Es platscht. Füße in Pfützen. Große Füße. Dann Stille.
Barbara dreht sich um.
Da steht ein Mann. Hinter ihr. In kaum fünf Metern Entfernung. Er hat die Arme verschränkt und schaut sie starr an.
»Wollen Sie was?«, fragte sie scharf.
»Kennst du mich nicht mehr? Ich bin Benny.«
»Benny. Welcher Benny?«
»Der, über den du geschrieben hast.«
Barbara blinzelt, versucht sich zu erinnern. Er sieht nett aus, kurzes blondiertes Haar, helle Augenbrauen mit einer grüblerischen Falte dazwischen ... Ach ja, dieser alte Gruselkrimi. Benny, stimmt. Ein netter junger Mann, eine Mordserie und um ein Haar ...
»An einer solchen Mauer hast du mich angekettet«, sagt er anklagend. »Weißt du noch? In einem nassen, eiskalten Tunnel.«
»In einem stillgelegten U-Bahn-Schacht«, erwidert Barbara, »jetzt fällt es mir wieder ein. Richtig. Hat Ihnen das Buch gefallen?«
»Nein!« Er geht auf sie los, packt sie an den Schultern und schubst sie mit dem Rücken gegen die Mauer. »Hat es nicht! Ich habe mich nie davon erholt! Zu einer lächerlichen Figur hast du mich gemacht, ich hing nackt und frierend an der Mauer und wurde von einem Geisteskranken mit vier Fleischerhunden bedroht, stundenlang, bis die Polizei kam. Stundenlang!« Seine Stimme hallt durch den Tunnel und prallt als Echo von den Wänden zurück. Barbara schwirrt der Kopf.
»Was hast du mit mir vor?«, stößt sie heraus.
»Erst mal werde ich dich hier an die Wand fesseln. So wie du mich in dem Schacht angekettet hast.«
»Du kannst mich nicht anbinden, es ist kein Ring in der Mauer.«
Er sieht sich suchend um. »Dann schreib einen!«
»Blödsinn.« Sie tritt ihm gegen das Schienbein. Er taumelt zurück. »Du wirst mir nichts tun, du bist viel zu nett. Gib’s doch zu, dass du gar nicht den Mumm hast zu so was.«
Er lässt die Arme hängen. »Mach, dass du wegkommst. Ich will dich nie wieder sehen.«
»Das entscheide immer noch ich.«
Mit stolz erhobenem Kopf geht sie davon. Am Ende des Tunnels hält sie noch einmal inne und schaut zurück. Er steht vor der fleckigen Mauer, stoppelhaarig, grüblerisch.
»Ich schreib dir einen Ring«, murmelt sie und steigt hinauf ins Tageslicht. Nebel, Nebel. »Bevor du stirbst, siehst du den Ring. Bevor du stirbst …«
Seit gestern denke ich wieder mal daran, weil ich die Verfilmung eines Mankell-Romans angesehen habe: Wenn es so etwas wie ein Arbeitsvermittlungsbüro für Romanfiguren gibt, wie sähe es dort aus? Ich kenne ein paar Leute, die dort seit Monaten, wenn nicht Jahren zwecklos und gelangweilt herumsitzen, weil es keine gescheite Arbeit für sie gibt. Das sind die, die ich mir selbst ausgedacht habe. Ein paarmal habe ich den einen oder die andere zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, aber es wurde nie etwas Rechtes. Die meisten meiner Gesprächspartner waren überqualifiziert für den Job, den ich zu bieten hatte. "Was soll ich mit dem Plot? Nee, denk dir was Besseres aus und komm dann wieder. In zwei, drei Monaten vielleicht." - "Aber dann hast du in der Zwischenzeit ja gar nichts zu tun." - "Na und?"
Sonderfälle sind die Figuren, um die sich gleich eine ganze Liga Autoren reißt. Gandalf und die Orks zum Beispiel, die kommen überhaupt nicht mehr zur Ruhe, bis sie restlos ausgepowert sind. Aber am schlimmsten dran ist Mankells Kommissar Wallander. Er versteckt sich unter der Bank, sobald Mankell die Flure des Arbeitsvermittlungsbüros betritt, aber es gibt kein Entrinnen. "Mankell, alter Schwede. Kann ich nicht ein einziges Mal pinkeln, ohne dass alle mitlesen?" - "Nej pass för det." - "A--ch."
Ringu (hessische Version)
Der Tag beginnt mit Folter: Die Kaffeekanne springt. Vom Rand der Spüle hinunter ins Becken. Am Grund der Kanne bleibt ein Spalt im Glas. Kein Kaffee.
Barbara trinkt erwatzweise warmen Saft zum Frühstück und blättert in der Zeitung. Vor dem Fenster hängt Frühnebel. Noch zu früh zum Einkaufen. Draußen quietscht die Straßenbahn. Ein alter Mann schlurft von der Haltestelle weg, bleibt stehen und bückt sich nach etwas Dunklem zu seinen Füßen.
»Er findet einen Handschuh mit blutigen Löchern anstelle der Finger«, denkt Barbara und spinnt müßig eine Geschichte.
Um halb neun verlässt sie das Haus. Dieser Nebel – eine passende Atmosphäre für die Schlusssequenz. Im Gehen murmelt Barbara Satzfetzen, betrachtet die Pfützen im Rinnstein und eine kahle Birke.
Der Tunnel liegt lang und dunkel, ein nasser Schlauch, der nach Nebel und Urin riecht. Barbara verlangsamt den Schritt und mustert die fleckigen Wände. Hinter ihre schlurfen Schritte. Es platscht. Füße in Pfützen. Große Füße. Dann Stille.
Barbara dreht sich um.
Da steht ein Mann. Hinter ihr. In kaum fünf Metern Entfernung. Er hat die Arme verschränkt und schaut sie starr an.
»Wollen Sie was?«, fragte sie scharf.
»Kennst du mich nicht mehr? Ich bin Benny.«
»Benny. Welcher Benny?«
»Der, über den du geschrieben hast.«
Barbara blinzelt, versucht sich zu erinnern. Er sieht nett aus, kurzes blondiertes Haar, helle Augenbrauen mit einer grüblerischen Falte dazwischen ... Ach ja, dieser alte Gruselkrimi. Benny, stimmt. Ein netter junger Mann, eine Mordserie und um ein Haar ...
»An einer solchen Mauer hast du mich angekettet«, sagt er anklagend. »Weißt du noch? In einem nassen, eiskalten Tunnel.«
»In einem stillgelegten U-Bahn-Schacht«, erwidert Barbara, »jetzt fällt es mir wieder ein. Richtig. Hat Ihnen das Buch gefallen?«
»Nein!« Er geht auf sie los, packt sie an den Schultern und schubst sie mit dem Rücken gegen die Mauer. »Hat es nicht! Ich habe mich nie davon erholt! Zu einer lächerlichen Figur hast du mich gemacht, ich hing nackt und frierend an der Mauer und wurde von einem Geisteskranken mit vier Fleischerhunden bedroht, stundenlang, bis die Polizei kam. Stundenlang!« Seine Stimme hallt durch den Tunnel und prallt als Echo von den Wänden zurück. Barbara schwirrt der Kopf.
»Was hast du mit mir vor?«, stößt sie heraus.
»Erst mal werde ich dich hier an die Wand fesseln. So wie du mich in dem Schacht angekettet hast.«
»Du kannst mich nicht anbinden, es ist kein Ring in der Mauer.«
Er sieht sich suchend um. »Dann schreib einen!«
»Blödsinn.« Sie tritt ihm gegen das Schienbein. Er taumelt zurück. »Du wirst mir nichts tun, du bist viel zu nett. Gib’s doch zu, dass du gar nicht den Mumm hast zu so was.«
Er lässt die Arme hängen. »Mach, dass du wegkommst. Ich will dich nie wieder sehen.«
»Das entscheide immer noch ich.«
Mit stolz erhobenem Kopf geht sie davon. Am Ende des Tunnels hält sie noch einmal inne und schaut zurück. Er steht vor der fleckigen Mauer, stoppelhaarig, grüblerisch.
»Ich schreib dir einen Ring«, murmelt sie und steigt hinauf ins Tageslicht. Nebel, Nebel. »Bevor du stirbst, siehst du den Ring. Bevor du stirbst …«
schmollfisch - 15. Jan, 19:49