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"Wie geht es deinem Knie? Alles gut überstanden? Na prima. Ja, die sitzt grade draußen und sonnt sich ... ja, Moment, ich geb sie dir."
Der Telefonhörer wird mir hinausgereicht. Das Knie - das kann nur B. sein, die seit Monaten mit einem kaputten Knie kämpft. Meine alte Studifreundin. Die mit den feuerroten Haaren.
"Bist du's, Anna? Ja hallo. Du, wir sind gerade hier an der Eisdiele. Mit dem Motorrad. Sollen wir mal eben rumkommen? Nur ganz kurz?"
Nur ganz kurz. Ich erkläre den Weg, stehe dabei von der Gartenbank auf und schaue übers Geländer auf die Straße, als müsste sie in Sekundenschnelle dort auftauchen. Der Weg ist nicht kurz. Er war sogar sehr lang: Ich habe B. seit weit über zwanzig Jahren nicht gesehen. Wieviele es genau sind, weiß ich nicht. Mag auch gar nicht darüber nachdenken. Eher sind es wohl fünfundzwanzig.
Manchmal haben wir telefoniert, Karten geschrieben. Der Kontakt war dünn, riss aber nie ganz ab. Ein Treffen war immer mal geplant, kam aber nie zustande. Obwohl wir nur eine Stunde Fahrtzeit auseinander wohnen. "Eine Schande eigentlich", haben wir uns gegenseitig am Telefon versichert, meistens mit Lachen. "Wir müssen mal was ausmachen. Irgendwann, wenn mal wieder mehr Luft ist." Mehr Luft - es kam nie dazu. Jetzt ist sie unterwegs mit ihrem Motorrad, vermutlich biegt sie gerade in den Zollweg ein, fährt über die Brücke, wie ich es ihr erklärt habe. Ich stürze ins Haus, knalle das Telefon auf, renne hoch ins Bad, schaue in den Spiegel - jetzt hat sie wahrscheinlich gerade die Brücke überquert und ist auf der Ausfallstraße nach N. Die letzte Abbiegung links ist unsere. Sinnlos, sich jetzt noch aufzubrezeln. Ich werfe das alte T-Shirt in die Ecke, ziehe ein halbwegs vernünftiges aus dem Schrank, eines von der Sorte, die "die Figur locker umspielt" - sie muss ja nicht gleich sehen, dass ich zugenommen habe in den fünfundzwanzig Jahren. Wenigstens sind es nicht so viele Kilo wie Jahre. Höchstens fünf. Oder wie viel habe ich damals gewogen? Ich stehe vor dem Spiegel und versuche mich an mein Kampfgewicht zu Studizeiten zu erinnern. Was kann ich tun, damit sie mich erkennt nach der langen Zeit? Jetzt ist sie wahrscheinlich an der Ecke zur Waldschule hin und biegt in unsere Straße ein. Ich sehe aus wie Hund. Ich stecke mir noch rasch Perlmuttohrringe in die Ohren - Ohren verändern sich nicht. Vielleicht irgendwann später, wenn ich richtig alt bin. Aber einstweilen sind meine Ohren noch recht jugendlich.
Ich ziehe Schuhe an, werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Ungeschönt, zerknittert, noch winterbleich an diesem ersten Sonnenfeiertag des Jahres. Was soll man da noch machen in den ein, zwei Minuten, die mir bleiben. Ich gebe auf. Gehe die Treppe runter, aus dem Haus und raus auf die Straße.
Da kommt es, ein Motorrad. Darauf zwei Leute in schwarzer Montur. Sicher fährt ihr Mann. Den kenne ich nicht. Übrigens hat sie schon den zweiten. Ich habe auch den ersten nicht gekannt.
Er verlangsamt das Tempo, als er mich sieht, wendet. Auf unserer Seite kann man nicht parken. Er stellt das Gefährt auf der gegenüberliegenden Straßenseite ab. Seine Beifahrerin steigt von ihrem Sitz. Sie hat eine Sonnenbrille unter dem Helm auf. Ich kann gar nichts erkennen, nur eine rote Strähne, die ihr in die Stirn gerutscht ist. Das muss sie sein.
"Anna!" Wir umarmen uns. Sie nimmt die Brille ab, steckt sie ein und fummelt am Kinnriemen des Helms.
Fünfundzwanzig Jahre. Wie wird sie aussehen? Wie ich? Ist sie alt geworden?
Sie zerrt an dem Helm. Zieht ihn ab. Schüttelt die Haare aus und lacht mich an.
Sie sieht aus wie immer.

Blubbern als Kunst!

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"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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