Lustiger lesen

In dem parodistischen Roman „Der Herr der Augenringe“ kommt ein Held namens Bromosel vor, der außer einem „Schwertgehenk“ (was ist das eigentlich?) eine Karottenhose und sehr spitze Schuhe trägt. Wer Boromir aus dem „Herrn der Ringe“ kennt, findet absolut keine Ähnlichkeit, bis auf das Schwertgehenk vielleicht. Bromosel ist denn auch mächtig beleidigt, dass der Autor des „Herrn der Augenringe“ ihm ein so lächerliches Aussehen mitgegeben hat, und offenbart sich irgendwo im Text folgendermaßen: „Bromosel, der Mann mit den spitzen Schuhen, war beleidigt, weil er im Text als ‚der Mann mit den spitzen Schuhen’ bezeichnet worden war.“ (Das ist kein wörtliches Zitat, sondern ein sinngemäßes, ich habe das Buch nicht zur Hand.)

So einen Text kann man natürlich nicht lesen wie einen normalen Text, man sucht überall nach Anspielungen, Wortspielen, Querverbindungen, und wovon der Text eigentlich handelt, ist zweitrangig und wenige Tage nach der Lektüre vergessen (falls man es überhaupt mitgekriegt hat). So einen Fall erlebt der Schmollfisch gerade mit einem deutschen Krimi. Es geht um einen mehrfachen Frauenmörder, und das im Mittelpunkt stehende Ermittlerpaar besteht ausnahmsweise aus zwei Frauen, Staatsanwältin und Polizistin nämlich. Einige Tatumstände legen nahe, dass der Täter die Polizistin im Fokus hatte und die eigentlich ermordeten Frauen nur als Popänze dienen (ob er die vorher um Erlaubnis gefragt hat?). Wie auch immer, ungefähr nach einem Drittel des Buches wird am Rand erwähnt, die Polizistin, Chris mit Namen, sei eine logisch denkende Person, die lieber Bach höre als Schumann.

Aha. Der Fisch macht sich darauf gefasst, dass der Mörder sich als Connaisseur entpuppt, der Britten liebt und einen Auftragskiller gedungen hat, der Händel hört. Aber das wäre zu simpel. Statt dessen wird die Ermittlerin von einem Jugendfreund bedrängt, der Schumann heißt, und der mithelfende forensische Psychologe, der eine nicht unerhebliche Rolle spielt, heißt Bach. Der Fisch fragt sich immerfort, was das bedeutet. Bach ist der Meinung, ein Serienmörder sei nicht therapierbar, die Mordlust sei eine genetische Veranlagung. Prompt wird als erster Hauptverdächtiger ein Mensch festgenommen, der Mendel heißt. Die Ermittlerin ist sich nicht sicher, ob er der Richtige ist, geht in sich und beschließt: „Hier galt es, Bach zu hören“. Mittlerweile ist der Fisch so auf Zwischentöne gebürstet, dass ihm sogar folgende Textstelle merkwürdig aufstößt: Der Ehemann der Ermittlerin legt durchwachsenen Speck in einen Schmortopf – gleichzeitig kneift ihn die Ermittlerin in den Hintern. Was könnte das bedeuten? Nachdem sich ihre Kollegin in einen ebenfalls nicht unverdächtigen Künstler namens Josef Heiliger (der kann's aber nicht gewesen sein, oder??) verliebt hat, hält der Fisch so langsam alles für möglich. Welch ein Trost, dass die Mitglieder der Spurensicherung Waldi, Tommi, Max und Scholli heißen.

Vielleicht wären alle diese Merkwürdigkeiten auch gar nicht weiter merkwürdig, wenn das Buch selbst nicht so sterbenslangweilig wäre, wenn nicht alle Charaktere derart beliebig und austauschbar wären, dass der Fisch nach vier Fünftel des Buches noch immer nicht zuverlässig die beiden Ermittlerinnen auseinanderhalten kann. Man möchte schon beinahe hoffen, dass Bach, Schumann, Mendel und Heiliger alle miteinander ein Mordkomplott geschmiedet haben, um das ganze fade Beziehungsgeflecht in die Luft zu sprengen, und von mir aus dürfen Britten und Händel ruhig die Musik dazu schreiben. Ja bitte.

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"Im Herzen rein" von Andrea Vanoni. Dem ersten Leser, der sich per Mail bei mir meldet, schicke ich auf Wunsch das Buch (innerhalb Deutschlands) und wünsche kreatives Lesen, das Buch hat es nötig.

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