Der Hahn lebt noch ...



Hier schon angesprochen ...

Ich wollte, ich hätte dieses Buch in einer Leserunde gelesen. Jetzt ist es leider zu spät, eine anzuregen, sonst hätte ich es bei den Büchereulen versucht.
Vor Jahren hat mir der Autor mal einen Abschnitt zum Lesen gegeben. Den habe ich ihm damals zurückgereicht mit der Bemerkung, der Protagonist sei mir unerträglich. Mehr oder weniger stimmt das auch heute noch, aber im Gegensatz zu früher lief ich diesmal nicht Gefahr, das Buch nach zwanzig Seiten entnervt wegzulegen. Das kann natürlich daran liegen, dass ich die Exposition kannte und daher wusste, wohin der Plot letztlich steuern wird. Aber es kommt noch etwas dazu: Die Unerträglichkeit des Protagonisten beginnt schleichend. Im ersten Kapitel liegt er samstagmorgens im Bett und sinniert vor sich hin, dann (im zweiten) geht er ins Bad und rasiert sich. Es fängt also ganz gemütlich an. Er denkt so vor sich hin und vieles, was er sich denkt, ist vermutlich genau das, was die Leser auch beim Rasieren denken. (Gut, ich als Frau vielleicht nicht, aber ich kann's mir vorstellen.) Ein wenig Tom steckt in uns allen.

Unerträglich wird Herr Trabandt, wenn es um Frauen geht; dann steigert er sich allerdings enorm. Wir distanzieren uns zusehends und beobachten, wie sich Herr T. immer tiefer in seine Hybris aus Selbstbetrug und wahnhafter Siegesgewissheit verstrickt. Man kommt zuweilen auch nicht um widerwillige Bewunderung herum, etwa bei den Szenen, die er seiner Frau macht (oder sie ihm) - ein Wort gibt das andere, jedes zielgenau und treffend. Wenn das bei mir zu Hause auch so funktionierte, dann würde ich viel öfter mit meinem Mann streiten, so macht es einfach Spaß! Übrigens hatte ich, obwohl ich Beischlafszenen i.d.R. verabscheue - sie kommen mir immer vor wie etwas, was gleichsam abgearbeitet werden muss, ebenso wie der Folterkeller in einem mittelalterlichen Roman - auch bei Herrn T.s Treffen mit seiner Geliebten meinen Spaß. Ich sage nur: Leute, esst mal wieder Katzenzungen! (Wer kennt die nicht aus seiner Kindheit? Und wer käme darauf, die als Erwachsener essen zu wollen ... wenn nicht so??)

Wenn ich einen Vergleich ziehen sollte, würde ich bei diesem Buch am ehesten an Ingrid Noll denken: "Der Hahn ist tot". Tom Trabandt ist eben jener Hahn. Geschwätzig, selbstgerecht, halbintellektuell; obendrein ein Schreibender, schlimmer geht's kaum noch, ich als Schreibende weiß das. Doch wenn es um seine Interessen geht, besitzt er plötzlich die gleiche skrupellose Durchschlagskraft wie Ingrid Nolls Rosemarie Hirte. (Natürlich weitaus beredter, da Her T. ein Bildungsbürger ist und folglich mehr quatscht, auch mit sich selbst - "Adieu Irene" ist zum Großteil in erlebter Rede geschrieben; ein amüsanter Blick ins männliche Stammhirn.) Ingrid Noll lässt ihre Antiheldin am Ende im Klinikbett für ihre Untaten büßen. Das kam mir immer wie ein Kunstgriff vor, um den Leser zu versöhnen, der meint, dass die Frau nicht so davonkommen dürfe. Holger Bischoff baut seinen Plot in dieser Hinsicht geschickter: Was Tom Trabandt widerfährt, erinnert an die alte Judoregel, dass man die Energie des Angreifers auf ihn zurücklenken soll. In "Adieu Irene" ist der Hahn am Ende nicht tot. Aber sein Misthaufen, auf dem er krähte, ist ihm genommen. Hinterrücks. Und es bleiben ihm nur ein paar Kötel. (Die allerdings lässt er sich nicht nehmen. Nicht Tom!)

"Adieu Irene" gibt es hier bei Amazon oder im Elf Uhr Verlag Lauterbach. Ich fand's gut und wünsche mir nach wie vor, Herrn T.s Bücher würden gedruckt. Das eine mit der Titanic war wohl nicht so der Knaller, aber das andere, das mit dem Lektor, das würd' ich kaufen.

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