fischgrund

wachraum

eine aura an der zimmerdecke, prismatisch geteilt
eine kinderstimme hinter dem paravent
vorbeischlurrende gummifüße
ein weiches bett im genick
zehenwackeln, bis acht zählen
nach dem bauch suchen und ihn finden
ansetzen zum räuspern
den atem rinnen lassen
wundern



Konzert, spätabends

parallelen treffen sich nie
doch in wirklichkeit
sind sie bögen

und treffen sich
dreißig äonen später

du bist alt geworden
faltig und fett
er nicht

er ein porträt auf einer lp
du ein kreisel dazu

als du jung warst

er zeichnet:
"well is better than unwell"

??

da sind ein karpfen
und eine libelle
zusammengestoßen

das merkt man sich

Im Licht der Idiotenlaterne ... *)

Jede Woche sehe ich mir im Fernsehen den Maler an. Er hat eine halbe Stunde Sendezeit und malt in dieser Zeit ein komplettes Bild. Zu Beginn der Sendung präsentiert er seine Palette mit den dick aufgespachtelten Farbvorräten. Die vorgrundierte Leinwand. Er erklärt alles ganz genau, aber da er Englisch spricht und obendrein sehr gedämpft, verstehe ich nicht viel.
Allerdings geht es von Mal zu Mal besser.
Er sieht aus wie 45, schlank, mit borstigem Haar. Auf der Handfläche hat er zwei winzige graue Eichhörnchen. Er zeigt sie zu Beginn der Sendung, versenkt sie in der Brusttasche seines Hemds und nimmt die Palette zur Hand, erklärt die Farben und die Leinwand. Die Brusttasche beult sich aus. Er bürstet Himmel und Wasser auf die Leinwand und fragt zwischendurch in Richtung der Tasche: "You're allright, little guys?" Innerhalb einer halben Stunde entsteht ein Berggipfel mit Gletscher, ein bewaldetes Seeufer, ein Riesenbaum links, ein kleinerer Baum daneben. Ein See mit klar spiegelndem Wasser, im Vordergrund ein Hohlweg, Gebüsch, auf die Zweigspitzen getupfte Glanzlichter, "that easy. You decide. That easy."
Ich denke dabei an Henning Mankells Kommissar, dessen Vater zeit seines Lebens zwei Sorten Waldlandschaften malte, eine mit und eine ohne Auerhahn: Seit ich die Sendereihe verfolge, ist auf allen Bildern fast das gleiche zu sehen; eine Bergkette, Wald, Fluss oder See, ein großer Baum im Vordergrund, ein kleinerer daneben. "This big tree needs a friend. You're allright, little guys?" Er spricht beinahe im Flüsterton. Fröhliche kleine Hütten, heitere kleine Berge bevölkern die Leinwand; alles ist ganz einfach und freut sich des Lebens.
Ich muss immer wieder daran denken, dass er selbst längst nicht mehr lebt, ganz jung gestorben ist, nur wenig nach Fertigstellung der Sendereihe. Ich würde gern etwas anderes von ihm lernen als Malerei, das kann ich sowieso nicht, schon gar nicht fröhliche kleine Hütten und heitere kleine Berge. Bestimmt weiß er mehr, aber das verrät er nicht. In seinem gemurmelten Tonfall, den in Rekordzeit entstehenden Traumlandschaften, Polarlicht, spiegelndem Eis, dem geflüsterten "Happy painting, and God bless you" am Ende versuche ich eine Ahnung zu finden. Die beiden Eichhörnchen in seiner Hemdtasche halten ganz still; die Beule ist sichtbar, bewegt sich jedoch nie. Vermutlich sind sie, von seinem Körper gewärmt, gleich eingeschlafen.

_________________
*) = Fernsehen

speicher

die schranktür sperrt
kleider motten
bücher muffeln im unteren fach
zwischen rostigen kofferbeschlägen
blätter dauerverklebt
mit getrocknetem kakao
und längst
verstorbenen gummibärchen

staubflusen tanzen
stopplig der strohstuhl
das kissen lässt federn

draußen leuchtet der herbst

(für Lisa :-)

Verhunzter Abend

... mit einem VHS-Videotape

die tonspur dahin
die vampirin krächzt
hinter ihrer brille hervor
viggo mortensen ein
schatten strahlenkrank
taubengurren mit
schnäbeln voll erde

akzentuiert: der schock
der schock über die
geplatzte kröte
und die blutspur im gesicht

es klingt wie akopads
im ohr

und schließt mit einem
marienlied

Anprobieren

Neben mir wurden die Vorhangringe mit einem Ratsch über die Stange gezerrt. Da musste eine sehr energische Person eingezogen sein, oder eine, der Klamotten-Anprobieren ein Ärgernis ist. So eine wie ich. Ich nahm den ersten meiner vier Ringelpullis und linste kurz nach nebenan. Der Vorhang war zu, über der Stange hingen Bügel mit schwarzen Hosen.
„Erst die 38er“, sagte eine scharfe Frauenstimme. „Die sieht noch am besten aus.“
Ich hielt mir den Pulli an. Er reichte bis über die Hüfte. Nebenan erwiderte eine tiefe, brummelige Stimme: „Die Hose ist zu lang. Und vor allem zu eng.“
„Ich kann sie ja kürzer machen lassen.“
„Schon, aber nicht weiter. Du bist dicker geworden, mein Schatz.“
Selbst schuld, die Frau, wenn sie ihren Mann mit in die Kabine nahm. Ich zog mir den Ringelpulli über den Kopf und sah aus wie eine Tonne mit Beinen. Die Hände verschwanden in den Ringelärmeln.
Nebenan wurde ein Reißverschluss hochgezippt. Die Männerstimme: „Nun ja, die geht wenigstens zu. Aber von hinten, sei mir nicht böse, mein Schatz …“
Der Doppelspiegel zeigte mir mein eigenes Hinterteil. Vielleicht war ein richtig langer Pulli doch kein schlechter Kauf.
„Früher gefiel dir mein Hintern“, blaffte die Frauenstimme.
„Er gefällt mir immer noch, mein Schatz. Aber diese Hose … versuch doch lieber mal die hier, mit den Bundfalten.“
Ich hatte den Pulli inzwischen ausgezogen und griff mir den zweiten. „Du siehst auch nicht mehr aus wie in deiner Jugendblüte“, redete die Frau weiter. Es klang gepresst, als mühe sie sich gerade in eine neue Hose.
„Schwarz ist jedenfalls eine gute Wahl, das macht schlank“, brummelte der Mann. Du liebe Güte, der wollte es wirklich wissen! Was nicht schlank machte, waren Ringel. Der zweite Pulli legte einen Streifen Bauch bloß. Nicht die Art Bauch, die man gern herzeigt.
„Ich hätte mir bestimmt nicht freiwillig Schwarz ausgesucht!“, schnauzte die Frau zurück. „Diese Hose ist fürchterlich, nicht mal einen Knopf hat sie!“
„Das nennt man Hüfthosen, die bleiben durch Reibung oben! Und wegen mir brauchst du kein Schwarz zu tragen. Lass es doch einfach und zieh dich an wie immer!“
Ich hatte inzwischen den dritten Ringelpulli in der Hand, aber eigentlich keine Lust mehr, ihn anzuprobieren. Ich hielt ihn kurz vor mich – der Ausschnitt war doof – und zog ihn wieder über den Bügel. Der vierte war oberdoof – lila und weiß. Warum hatte ich den überhaupt mitgenommen?
„Ich muss bescheuert sein, dich zum Einkaufen mitzunehmen“, stieß die Frau hervor. Stoff rauschte – vermutlich pellte sie sich mit heftigen Bewegungen die Hose vom Leib. Ich verharrte regungslos, meine Ringelsammlung in der Hand.
Ratsch! Der Vorhang wurde zurückgerissen. Ich steckte den Kopf aus meiner Zelle und erhaschte gerade noch einen Blick auf die davonstöckelnde Person: schwarzes Kostüm, schwarze Strümpfe und Schuhe. Ihre Hosen hatte sie an der Vorhangstange hängen gelassen. Die Kabine war leer.

...

Ich erinnere mich, dass in meiner Schultüte ganz unten in der Spitze noch ein kleines Paket Gummibärchen war. Es rührt mich noch heute, dass sich jemand (meine Mutter? mein Vater?) die Mühe gemacht hat, dieses Paket Gummibärchen in die äußerste Spitze der Schultüte zu drücken, damit um so mehr oben drauf passt. Als ich mich in umgekehrter Richtung durch die Tüte gefuttert hatte und sie schon geleert glaubte, konnte ich immer noch mit den Fingerspitzen diese Gummibärchen herauspulen. Dieses Hineinpressen ist für mich auf ewig mit dem Gefühl des Überflusses verbunden. Die Zeiten, als ich noch rauchte und so viel Tabak hatte, dass ich eine richtig dicke Wurst ins Blättchen rollen konnte. Der Anblick, wenn ich ein Paket Spinnfasern von Ebay öffne und die Fasern quellen mit explosionsartig entgegen, als habe sie der Versender mit aller Kraft in das Päckchen gequetscht. Bunt wie ein Regenbogen, eine aufblühende Blume. Leider ist das die Ausnahme. Die Regel ist eine Blisterpackung mit viel Styropor, in dem der eigentliche Inhalt sich ängstlich vergräbt wie ein Wickelkind im Steckkissen. Oder die Packungen, in denen der Inhalt spazierengeht, wenn man sie schüttelt. Blindgänger. Rohrkrepierer. Taube Nüsse. Früher war überhaupt alles besser. Nur die Särge sind wahrscheinlich nach wie vor eng ... Ich werde eine Urne nehmen. XXL.

Selbstsicherer Abgang

sieben billionen jahre nach meiner geburt
da kommt
palmöl
aus borneo
da brennen
die wälder

und achje da kommen:
orang utan babys
waisenkinder heimatlos
in windelhosen
mit dunklen augen
tränenfeucht
derweil man
palmöl wringt
aus der verbrannten erde
aus der vordem hundert
hundert
hundertjährige bäume stemmten

biodiesel steht auf dem
zapfhahn
orang utan auf dem
spendenformular
achje das jahr
geht zu ende

Regen

das schiff liegt im hafen
es zerrt am anker
das schiff steht unter dampf
und kommt nicht vom fleck
ich sitze in der messe
trinke alle flaschen leer
salz und regen bleichen luft
mit tränen nass

das schiff liegt im hafen
es zerrt am anker
es tutet abschied
und kommt nicht vom fleck
als ich noch admiral war
warst du mein einziger fahrgast
jetzt zaubre ich
weiße winde und möwengeschrei
um deinen leuchtturm.


Bild: SuMuze (vielen Dank!)

Hausfrauenlyrik

- irish chain -


sprich du mir
nicht von liebe,
nicht von liebe!
dein pflug geht über
meinen acker, du
trägst meine sorgen
zum gerichtshof,
mit meiner stimme
sprichst du: ich
häng an einer
himmelskette,
bald verliert sich
meine
spur.





- blubbern -
für Svashtara

.
.
.
.
.
.
und wieder
havariert
im schaumbad
der schwamm
ein gelber riesenmanta
deckt den himmel

.
.
.
.
.
.
und doch
wie weich
zu liegen
auf dem
basaltnen bett

Blubbern als Kunst!

brille

Wort des Monats

"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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