Krimilesen

Ich glaube, ich habe noch nie in derartigem Tempo Krimis verschlungen wie jetzt gerade. Der Grund dafür ist, dass ich sie mir umsonst per Onleihe auf den Reader lade. Das ist die Gelegenheit, ein paar Krimis zu lesen, die mich an sich schon ein wenig interessieren, die ich mir aber aus unterschiedlichen Gründen nicht kaufen wollte. Unterschiedliche Gründe bedeutet in der Regel: Es handelt sich um einen Autoren / eine Autorin, den oder die ich mal gemocht habe, von dem oder der ich aber das Gefühl habe, dass er oder sie eindeutig abfällt.

Kandidaten für diese Rolle sind Sabine Thiesler und Mo Hayder, an denen (beiden) mich mal ihre Fähigkeit, Hexenhäuser und verwunschene Schauplätze zu schildern, gefesselt hat - ganz unabhängig von ihren Plots, die bei beiden von jeher recht durchwachsen sind. Über Sabine Thiesler habe ich ja irgendwo schon mal geschrieben. Mo Hayders letztes von mir gelesenes Verbrechen besteht aus dem folgenden Absatz. (Dazu sei erwähnt, dass er das Finale des Romans einleitet; es geht um die Verfolgung eines Entführers mehrerer kleiner Kinder, und man weiß nicht, wo er sie hingebracht hat und ob sie noch leben.)

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Ein Hubschrauber der Luftüberwachung knatterte über ihnen. Turner zog die Handbremse an und drehte sich mit ernstem Gesicht zu Caffery. „Boss. Am Ende eines Tages macht meine Frau immer das Abendessen für mich. Wir setzen und hin, öffnen eine Flasche Wein, und dann fragt sie mich, was in der Arbeit so passiert ist. Was ich jetzt wissen möchte, ist: Werde ich es ihr erzählen können?“
Caffery spähte durch die Frontscheibe in den Nachmittagshimmel, der an die Wipfel des Waldes stieß, und beobachtete den Heckmotor des Hubschraubers. Die Entfernung zwischen dem Parkplatz und den Bäumen betrug ungefähr fünfzig Meter. Man sah die verschwommene weiße Linie des inneren Absperrbandes, das sich träge im Wind hob. „Ich glaube nicht, Kollege“, sagte er leise, „dass sie hiervon etwas wissen will.“
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Mo Hayder, Verderbnis

Schlimmer gehts nimmer. Eine der Kritikerinnen bei Amazon verriss eine Szene, in der - kurz hinter dem hier zitierten Absatz - eine bewusstlose Polizistin Mr. Caffery per Telepathie mitteilt, wo er die vermissten Kinder suchen muss. Ich fand die Szene schlimm, aber nicht so schlimm wie die oben zitierte. Würde es nicht regnen, wäre garantiert noch erwähnt, dass Turner, bevor er sich mit dem einleitenden "Boss" seinem Boss zuwendet, die Sonnenbrille vom bärtig-zerfurchten Gesicht nimmt, um direkt in Cafferys stahlblaue, von dunklen Ringen der Erschöpfung umgebene Augen blicken zu können. Oder so.

Aus einem Krimi einer mir bislang völlig unbekannten Autorin habe ich die folgende Szene entnommen, die m.E. illustriert, wie mit den Mitteln des Krimis der Phantasie des Lesers Räume geöffnet werden können. Das gilt hier auch ganz buchstäblich, weil es um einen speziellen Raum geht. Eine in einem Vergnügungspark malochende Putzfrau findet im Spiegelkabinett bei der nächtlichen Putzrunde eine Leiche.

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Gott sei Dank habe ich Gummihandschuhe an, denkt sie unsinnigerweise. Sie hat hier seit drei Jahren jeden Abend sauber gemacht, aber so vorsichtig sie auch ist, ihre Fingerabdrücke werden überall sein. Ganz zu schweigen von den Abdrücken, die die Hälfte der Besucher, die seit gestern Nacht hier gewesen sind, hinterlassen haben. Man versucht zwar, die Schmierspuren einzudämmen, indem am Eingang Einmalhandschuhe verteilt werden, aber man kann die Leute natürlich nicht zwingen, sie auch zu tragen (…).
Der Ort bereitet jedem Unbehagen: Jeder befürchtet, sich zu verirren und nie wieder hinauszufinden, oder dass Geister in den Spiegeln wohnen. Allzu häufig wurde die Arbeit, die eine fast autistische Akribie abverlangt, nur hastig oder schlampig erledigt, so dass Abdrücke zurückblieben; doch an einem Ort wie diesem wird ein einziger Schmutzfleck unendliche Male vervielfältigt, und der ursprüngliche ist nur schwer aufzuspüren, wenn man sich nicht Fingerabdruck für Fingerabdruck, Glas für Glas vorarbeitet.
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Alex Marwood, Im Schatten der Lüge

Ich habe das Buch noch nicht ausgelesen; es ist wohl nichts Besonderes, eben ein Krimi und auf die konventionellen Mittel des Krimis beschränkt. Aber es nutzt eben diese konventionellen Mittel, dem Leser neue Räume zu öffnen, den Blick zu weiten, ohne Hochliteratur sein zu wollen.

Da ich ohnehin viel zu viele Bücher habe, die sich sturzbachartig über das ganze Haus verteilen, bin ich dankbar um den Reader. Der neue Zafon, den ich nichtsdestotrotz unbedingt in Papierform in der Hand halten möchte, ist heute eingetroffen.

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