Ein Textfetzen
von Edmond de Goncourt:
Wenn heutzutage ein Historiker sich anschickt, ein Buch über eine Frau aus vergangener Zeit zu schreiben, so wendet er sich an all diejenigen, welche mit dem Leben dieser Frau vertraut waren, an die Besitzer jeden Fetzchens Papier, das über die Geschichte der Verstorbenen einige wenige Auskünfte gibt.
Warum bedient sich heute ein Romanschriftsteller (der im Grunde nichts anderes ist als ein Historiker unter den Leuten, die selbst keine Geschichte haben), warum bedient er sich also nicht mehr dieser Methode und greift nicht mehr auf unvollständige Brief- und Zeitungsfragmente zurück, sondern wendet sich lebenden Erinnerungen zu, die vielleicht nur darauf warten, zu ihm zu gelangen? (...)
Ich möchte einen Roman machen, der einfach nur die psychologische und physiologische Studie eines jungen Mädchens sein soll (...), einen Roman, der auf menschlichen Dokumenten beruht. (...) Nun, in dem Moment da ich mich an dieser Arbeit mache, finde ich dass es den Büchern, die von Männern über Frauen geschrieben werden, an einer Sache mangelt ... an der Mitarbeit einer Frau, und mich würde es sehr nach dieser Mitarbeit verlangen, und zwar nicht nur von Seiten einer einzigen, sondern einer großen Anzahl von Frauen.
(...)
... die ganze unbekannte Fraulichkeit im Innersten einer Frau, von welcher die Ehemänner und selbst die Liebhaber ihr ganzes Leben lang nichts wissen, das ist es, wonach ich verlange.
Und ich wende mich an meine Leserinnen aus allen Ländern mit der dringenden Bitte, in jenen leeren Stunden des Müßiggangs, in denen die Vergangenheit wieder erwacht, in diesen Stunden der Traurigkeit oder des Glücks einige der bei der Rückerinnerung auftauchenden Gedanken auf ein Stück Papier niederzuschreiben und es anonym an die Adresse meines Herausgebers zu schicken.
Anteuil, 15. Oktober 1881, Edmond de Goncourt.
(aus dem Vorwort zu "Juliette Faustin")
Da ich mir nicht um Mitternacht einen Wolf tippen mag, habe ich einiges herausgekürzt. Die seltsame Mischung aus Demut und Hochmut, die Goncourt an den Tag legt, leidet ein wenig. Ich gönne ihm den Hochmut von Herzen und wünsche einen Hauch seiner Demut all denjenigen, von denen ich schon Frauenromane gelesen habe, die mir die Schuhe auszogen. Ich nenne jetzt keine Namen, das ist mir um diese Zeit zu blöd. Als positive Gegenbeispiele nenne ich Martin Andersen Nexö (ein Denkmal seiner Ditte) und Maupassant.
Am Rande würde mich aber mal sehr interessieren, ob Edmond de Goncourts Herausgeber unter der Flut anonymer Zettel noch Luft bekam. Ich werde das mal ausprobieren, wenn mein Buch irgendwann rauskommt, der Herausgeber ist hart im Nehmen.
En passant,
schmollfisch, Goncourt lesend
Wenn heutzutage ein Historiker sich anschickt, ein Buch über eine Frau aus vergangener Zeit zu schreiben, so wendet er sich an all diejenigen, welche mit dem Leben dieser Frau vertraut waren, an die Besitzer jeden Fetzchens Papier, das über die Geschichte der Verstorbenen einige wenige Auskünfte gibt.
Warum bedient sich heute ein Romanschriftsteller (der im Grunde nichts anderes ist als ein Historiker unter den Leuten, die selbst keine Geschichte haben), warum bedient er sich also nicht mehr dieser Methode und greift nicht mehr auf unvollständige Brief- und Zeitungsfragmente zurück, sondern wendet sich lebenden Erinnerungen zu, die vielleicht nur darauf warten, zu ihm zu gelangen? (...)
Ich möchte einen Roman machen, der einfach nur die psychologische und physiologische Studie eines jungen Mädchens sein soll (...), einen Roman, der auf menschlichen Dokumenten beruht. (...) Nun, in dem Moment da ich mich an dieser Arbeit mache, finde ich dass es den Büchern, die von Männern über Frauen geschrieben werden, an einer Sache mangelt ... an der Mitarbeit einer Frau, und mich würde es sehr nach dieser Mitarbeit verlangen, und zwar nicht nur von Seiten einer einzigen, sondern einer großen Anzahl von Frauen.
(...)
... die ganze unbekannte Fraulichkeit im Innersten einer Frau, von welcher die Ehemänner und selbst die Liebhaber ihr ganzes Leben lang nichts wissen, das ist es, wonach ich verlange.
Und ich wende mich an meine Leserinnen aus allen Ländern mit der dringenden Bitte, in jenen leeren Stunden des Müßiggangs, in denen die Vergangenheit wieder erwacht, in diesen Stunden der Traurigkeit oder des Glücks einige der bei der Rückerinnerung auftauchenden Gedanken auf ein Stück Papier niederzuschreiben und es anonym an die Adresse meines Herausgebers zu schicken.
Anteuil, 15. Oktober 1881, Edmond de Goncourt.
(aus dem Vorwort zu "Juliette Faustin")
Da ich mir nicht um Mitternacht einen Wolf tippen mag, habe ich einiges herausgekürzt. Die seltsame Mischung aus Demut und Hochmut, die Goncourt an den Tag legt, leidet ein wenig. Ich gönne ihm den Hochmut von Herzen und wünsche einen Hauch seiner Demut all denjenigen, von denen ich schon Frauenromane gelesen habe, die mir die Schuhe auszogen. Ich nenne jetzt keine Namen, das ist mir um diese Zeit zu blöd. Als positive Gegenbeispiele nenne ich Martin Andersen Nexö (ein Denkmal seiner Ditte) und Maupassant.
Am Rande würde mich aber mal sehr interessieren, ob Edmond de Goncourts Herausgeber unter der Flut anonymer Zettel noch Luft bekam. Ich werde das mal ausprobieren, wenn mein Buch irgendwann rauskommt, der Herausgeber ist hart im Nehmen.
En passant,
schmollfisch, Goncourt lesend
schmollfisch - 17. Jun, 00:20